laut.de-Kritik

10 Dinge, die du nur verstehst, wenn du in den 80ern aufgewachsen bist.

Review von

Casper und Marteria zählten Anfang der 2010er zu den klanglich aufregendsten neuen Acts in Deutschland. Das bedarf in der Zwischenzeit keiner weiteren Erklärung mehr. Der Einfluss von "XOXO" oder "Zum Glück In Die Zukunft" ist bis heute deutlich spürbar, ihre Experimentierfreude blieb bis zuletzt in ihren aktuellen Projekten erhalten.

Ein Zusammentreffen dieser beiden Pop-Rap-Champions verspricht also einiges, besonders dann, wenn man trotz der unterschiedlichen musikalischen Einflüsse auch einen formidablen gemeinsamen Grund ausloten konnte: Das gemeinsame Geburtsjahr gibt den Titel des Projektes vor, die musikalische Sozialisation müsste alle möglichen Ideen greifbar machen, die Charaktere textlich ihr Übriges tun. All das im Hinterkopf hätte vielleicht niemand erwartet, dass "1982" ausgerechnet eines werden könnte: Langweilig.

Wie so oft ist das Zusammentreffen von zwei so großen Charakteren auf Albenlänge eher ein Anlass, auf die bisherigen Errungenschaften zurückzublicken, als einen Griff nach den Sternen zu wagen. Inzwischen ist der "Watch The Throne"-Vergleich für jede Zwei-Mann-Kollabo zwar abgedroschen ohne Ende, drängt sich hier aber regelrecht auf. Die Beats klingen irgendwo zwischen "So Appalled"-Kanye und "Tuscan Leather"-Drake, sprich äußerst wertig, versprühen einen gewissen Glamour und geizen doch auch nicht mit Arena-fertiger Energie.

Das macht Eröffner "1982 (Als Ob's Gestern War)" oder Leadsingle "Champions" für einen Moment auch ziemlich aufregend, so megalomanisch und ambitioniert allein Produktion und Stimmfarbe der Protagonisten klingen. Es geht um die Herkunft, um die gute alte Zeit, um die Partys der Vergangenheit. Wäre ein vernünftiger Einstieg, würde das Album sich von dort dann irgendwo hinbewegen.

Tatsächlich entpuppt sich "1982" als ein monothematischer Leviathan der Vorstadt-Nostalgie. Es geht um das Crashen von WG-Partys, um Wu-Tang-Kassetten, um alte Handyverträge. Und sagen wir es ganz unverblümt: Von allen Emotionen ist Nostalgie halt doch die beschissenste. Jeder freut sich über den heldenhaften Glanz der eigenen Jugend, aber auf lange Sicht fühlt sich diese Platte an, wie eine pathetisch vorgetragene Buzzfeed-Liste. "16 Dinge, die du nur verstehst, wenn du in den Achtzigern aufgewachsen bist".

Tracks wie "Supernova", "Champion Sound", "2018 (Glückwunsch)" oder besagtes Intro geben zu Protokoll: Früher war mehr Dorfdisco, Fußball, The Roots und wahrscheinlich auch mehr Lametta. Könnte man den beiden Mittdreißigern ja gerne lassen, würde dieses Thema nicht so große Teile des Projekts wie ein Kraken im Tentakelgriff halten.

Besonders spannend wird es auf Tracks wie "Absturz", der mit Marterias prominenter Melodieline im Refrain einen der musikalisch ansprechendsten Momente von "1982" schafft, und sich dann doch in einer Wehleidigkeit suhlt, die sich irgendwie so anfühlt, als trauerten die beiden gerade ihren besten Jahren hinterher. Das beißt sich dann eben damit, wenn das Album Party machen will, zum Beispiel, wenn Tracks wie "Adrenalin" oder "Chardonnay & Purple Haze" Elemente zwischen Trap und Drum'n'Bass in den Mix schmeißen.

Wenn es dann später "Kein Benehmen, wir sind zu wild" heißt, dann möchte man die beiden am liebsten kurz beiseite nehmen, ihnen tief in die Augen schauen und ihnen so schmerzlos wie möglich klarmachen, dass sie dabei so klingen, als würden sie gerade mit Häppchen und Sektglas auf einer Universal-Firmenfeier stehen und mit freundlichem Lächeln Smalltalk betreiben.

Es ist beinahe tragisch, wie bieder und anständig dieses Album ist. Einzig "Willkommen In Der Vorstadt" versucht so etwas wie Dunkelheit mit Amphetamin-Namedropping und düsterem Beat zu evozieren, scheitert aber an Zugezogen Maskulins "Plattenbau OST"-Intensität daran, dass die drei Tracks davor allesamt den genau gleichen Lebensstil zahnlos und harmlos verherrlicht haben.

Auf "1982" klingen die so viel besungenen Absturzpartys wie ein Nostalgie-Objekt, das Marteria und Casper in einer Vitrine in ihrem Keller irgendwo zwischen Modelleisenbahnen und Diddl-Stickern aufbewahren. Wieder und wieder versucht die Platte, dieses Gefühl zurückzubringen, ohne dass der Funke auch nur ansatzweise überspringt.

"1982" ist ein Soundtrack für jeden, der mit 25 angefangen hat, kontinuierlich über sein Alter zu jammern. Es ist ein Hauch von Punkrock für den Pärchenurlaub. Musik, die so Konsens ist, dass die ambitionierte und handwerklich äußerst gekonnte Produktion genauso wie die stimmlich einwandfreien Performances bestenfalls dafür sorgt, dass man ihre Kantenlosigkeit nicht auf den ersten Blick bemerkt. Casper musste sich ja schon viel dafür anhören, Musik für Teenager zu machen. Aber wenn er seine Demographie nun in Leuten gefunden hat, die mit um die Dreißig keine Gelegenheit auslassen zu erwähnen, dass die Kater früher nicht so schlimm waren, dann will ich so bald wie möglich die vierzehnjährigen Mädels mit "So Perfekt" auf dem Jutebeutel zurück. Das waren nämlich noch Zeiten.

Trackliste

  1. 1. 1982 (Als Ob's Gestern War)
  2. 2. Champion Sound
  3. 3. Omega
  4. 4. Supernova
  5. 5. Willkommen In Der Vorstadt
  6. 6. Adrenalin
  7. 7. Chardonnay & Purple Haze
  8. 8. Denk An Dich (feat. Kat Frankie)
  9. 9. Absturz (feat. Monchi)
  10. 10. 2018 (Gratulation)

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22 Kommentare mit 52 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    ...und sagen wir es ganz unverblümt: Yannick, DU hast das Album und die Kunst dahinter leider nicht verstanden. 6, setzen!

    • Vor 6 Jahren

      *Yannik
      So viel Gölz muss sein.

    • Vor 6 Jahren

      "Ganz erhrlich? Wenn jemand hier Pop und sogar Schlager Alben rezensiert, kann ich ihn und dieses Pamphlet leider nicht ernst nehmen. Der Herr (oder Frau?) Fromm soll bitte mit Schlag(er)hose und POPcorntüte nochmal zur Schule gehen...am besten Klasse ´95, da kann er nochmal nachsitzen. 6! Setzen!"

      Kommentar von ingott11 zu "Advanced Chemistry" von den Beginnern. Nuff said.

  • Vor 6 Jahren

    Wie so oft bei Kollabo-Alben und Superbands, der Name klingt besser als er ist und es existiert kein wirklicher Synergieeffekt.

  • Vor 6 Jahren

    Man merkt halt das es sich eher um ein schnell aufgenommenes "Spaßalbum" handelt mit keiner roten Linie oder besonders durchdachten Konzepten.
    Allerdings überträgt sich dieser Spaß meiner Meinung nach gut auf den Hörer durch gut produzierte Beats, eingängige Hooks und eben kaum düsteren Themen.
    Außerdem muss ich sagen das einige Lieder wie Adrenalin Live absolute Bretter sind.
    Für mich eher 3-4/5