laut.de-Kritik
Von Fräuleins, Gigolos und Backfischen.
Review von Artur SchulzErstaunlicherweise firmiert die Kunst Raabes in seiner Heimat noch immer oft im Bereich skurriler Schrulligkeit, während der Rest der Welt ihm und seinen Mitmusikern des Palastorchesters längst zu Füßen liegt. Tobende Chinesen etwa belegen diese Einschätzung, und der Ritterschlag erfolgt 2008 mit einer ausverkauften Konzerttour durchs Mutterland der Weltstars, den USA. Wer das verwöhnte Publikum der legendären Carnegie Hall voll und ganz in seinen Bann zieht, ja, der hat schon etwas ganz Besonderes erreicht.
Und all das heimlich, still und leise. So passt es in diesen Kontext, dass gerade im Zenit des weltweiten Erfolgs Max Raabe mit "Übers Meer" ein sehr ruhig und zurückgenommen eingespieltes Solo-Album veröffentlicht. Gänzlich ohne das bewährte Orchester, sondern nur in Begleitung seines langjährigen Pianisten Christoph Israel. Gesang und Klavier, mehr braucht es nicht, um bewegende, intime Augenblicke zu zaubern. Die Veröffentlichung enthält eine handverlesene Auswahl von Titeln aus der Zeit der versunkenen Weimarer Republik.
Die Wiederentdeckung dieser Nummern demonstrieren eindrucksvoll, mit welchem Stil, Können und textlicher wie kompositorischer Klasse die damaligen Song-Schreiber und Komponisten ihre Themen umsetzten. Und wie zeitlos: Es mag heute keine Fräuleins oder Backfische mehr geben, doch ihre Nachfolgerinnen fühlen und handeln doch noch immer gern wie einst, ebenso wie ihre Gigolos und Lebemänner als Gegenparts.
Auf Gassenhauerhaftigkeit wie in der Arbeit mit dem Palastorchester passend und amüsant dargeboten, verzichtet Raabe hier gänzlich. Die Auswahl der zwölf Songperlen zeigt sich von Melancholie und Nachdenklichkeit geprägt. Natürlich, da finden sich schon heiter und licht anmutende Nummern wie "Ein Lied Geht Um Die Welt" oder das höchst frivole und sehr eindeutig-doppeldeutige "Weisst Du Was Du Kannst". Doch in erster Linie widmen sich Israel und Raabe der Interpretation wehmütiger Texte.
Ein Lied wie "Lebe Wohl, Gute Reise" klingt zwar vordergründig durchaus beschwingt, doch die Intention ist eine ganz andere: eine Liebste entschwindet, und es schwingt die Furcht hindurch, ob nach ihrer Rückkehr noch immer alles so sein möge wie zuvor.
Das wunderbare "Ganz Dahinten Wo der Leuchtturm Steht" erlebte unlängst im Captain's Club durch Kim Frank eine ebenfalls reizvoll anzuhörende Wiederauferstehung. In "Weisst Du Was Du Kannst" legt Raabe Pfeif-Fertigkeiten an den Tag, wie man sie hierzulande seit Illse Werner nicht mehr hörte.
So ganz nebenbei glückt Raabe das Unterfangen, dem Umgang mit der dunkelsten Phase jüngster deutscher Geschichte eine nachhaltige und sehr persönliche Note hinzuzufügen. Denn der Großteil der hier vorgestellten Texter und Komponisten sind jüdischer Herkunft. Mit Bedacht und Überlegung gewählt, gibt diese Tatsache dem Album deshalb seinen Titel.
"Übers Meer" bedeutet nämlich die USA-Emigration vieler Künstler vor dem aufkeimenden Unheil, das Hitler-Deutschland schon früh mehr als nur andeutet. Nicht wenige kehren nach dem Krieg dennoch wieder zurück in ihre einstige Heimat. So hält Raabe auf zurückhaltende und gleichzeitig sehr bewusste Weise die Erinnerung an eine längst verschwundene Kultur im Bereich unserer Unterhaltungsmusik nachdrücklich wach.
Ebenso stilvoll und elegant wie die musikalische Umsetzung zeigt sich das Cover-Artwork. Denn die Rückansicht des einsam am Meer stehenden Raabe weckt unweigerlich Assoziationen an Caspar David Friedrich, den Großmeister der deutschen Früh-Romantik. "Übers Meer": eine Geschichtsstunde, die nicht belehren will, sondern einlädt, einzutauchen in eine sehr kreative Phase unserer Musik-Historie, und dabei ganz besondere, unvergessliche Momente bereithält.
14 Kommentare
Herr Raabe hat irgendwie einfach Stil, Ich mag den Kerl.
und das zu Recht
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@xumux (« Was würde er als Künstler im Rockbereich alles leisten können. »):
Gott bewahre!
was soll er denn bitte im "Rockbereich" leisten?
Nicht jedem sein Ding, klar, aber dort genau richtig. Und grandios!
@Herr Andrack (« @DVDmaniac (« Hat der Rezensent nicht beachtet, dass die Tournées Herrn Raabes mit und ohne Orchester regelmäßig schnellstens (=bis zu 6 Monate im voraus) ausverkauft sind? »):
Gewiß. Es dreht sich dabei aber nicht um ausverkaufte Konzerte, sondern um den (leider) noch so oft vorherrschenden, falschen Eindruck, da wird einfach nur 'alter Kram runtergeleiert'. »):
Echt? Ist mir nicht vorgekommen... Im Feuilleton sowie unter Musikern sind sowohl er wie das Orchester als Kenner der Musik der "Belle Epoque" in hohem Ansehen. Vielleicht lese ich einfach die falschen (==richtigen) Sachen...
I'll take your word for that.
bin echt gespannt, das er mehr kann als den Kaktus ist klar....aber das find ich echt gut: http://www.youtube.com/watch?v=yyq_3OKcKVo