laut.de-Kritik
Wie man loslässt? Genau so!
Review von Dani Fromm"Muss ich erst auf die harte Tour lernen, wie man loslässt?" Im Eröffnungssong seines Albums stellt Maxim diese Frage in die weite Landschaft, und selbst der unbeleckteste, mit Werk und Geschichte des Sängers unvertraute Mensch in seiner Zuhörerschaft weiß es sofort: Dieser Mann hat auf die härteste denkbare Tour gelernt.
Ginge es bei Kunst auch nur am Rande um Logik, "Wie Man Loslässt" hätte der Titeltrack dieser Platte sein müssen. Egal, ob der spontane Aufbruch nach "Marseille" Thema ist, eine längst fällige Aussprache samt Eingeständnis begangener Fehler und des eigenen Scheiterns in "Alter Freund", oder eben "Die Asche Von Claude": Nahezu jedes Stück handelt in der einen oder anderen Form vom Loslassen.
Maxim nennt diese Platte aber nicht "Wie Man Loslässt", er nennt sie "Grüne Papageien". Der kargen Schwere früherer Albentitel - "Staub", "Das Bisschen was Wir Sind" - stellt er diesmal ein farbenfrohes, federleichtes Bild von Freiheit und Fröhlichkeit entgegen, und guck! Tatsächlich handelt es sich bei "Grüne Papageien" um das fluffigste, beschwingteste, groovendste Werk, das der Sänger, Songwriter und neuerdings auch Produzent seit vielen Jahren zustande gebracht hat.
Alles wirkt zugleich handgemacht und highend-ausproduziert. Finger quietschen über Gitarrensaiten, die Drums knallen rein, als hätte man soeben die Tür zu einer Bar aufgestoßen, in der "Heute Live-Musik!" auf der Tageskarte steht. Zugleich sitzt aber jeder elektronische Effekt, jedes Grummeln und Fiepen in genau der richtigen Dosierung an genau der richtigen Stelle.
Die Akribie, mit der Maxim hier (diesmal ohne die Hilfe prominenter Produzenten) arrangiert, poliert und feinjustiert hat, quillt aus jedem Takt jedes Songs. Das endet trotzdem nicht in kaltem Perfektionismus. "Grüne Papageien" erinnert statt dessen anheimelnd vertraut an 70er-Jahre-Fototapeten und den Soundtrack von "Captain Future", ohne dabei ein winziges bisschen gestrig zu klingen: ein echtes Mysterium, und, wie gesagt, Maxims leichtestes Werk seit ... ewig.
Es mutet völlig verrückt an, über ein Album zu diesem Urteil zu gelangen, das "Die Asche Von Claude" birgt, diesen Herz und Seele zerfetzenden Abgrund von einem Song. Ich habe alles in allem vielleicht zwei oder drei Rapsongs gehört, die ähnlich tief schnitten. Für - im weitesten Sinne - Popmusik dürfte diese Nummer in ihrer schonungslosen, brutalen Offenheit komplett allein auf weiter Flur stehen.
Maxim erzählt hier das eigentlich Unsagbare: Er erzählt, wie sein Großvater, ein Missbrauchstäter, das Leben der Mutter zerstört und der Familie über Generationen hinweg unheilbaren Schaden zugefügt hat. Nichts an dieser Geschichte ist leicht oder auch nur irgendwie auszuhalten. Dass man eine solche Last loswerden will, loswerden muss, um zu überleben: mehr als verständlich. Womit wir wieder beim Loslassen sind: Das geht eben nur, wenn man etwas zuvor aufgehoben, festgehalten und begriffen hat. Auch das Unantastbare, Unbegreifliche. Gerade das.
Dass Maxim für den über Dekaden in ihm und seinem nähsten Umfeld schwärenden Schmerz überhaupt Worte gefunden hat, grenzt an mehrere Wunder und stellt seinen wirklich herausragenden Fähigkeiten als Texter einmal mehr ein brillantes Zeugnis aus. Sein Talent, sich geschliffen, angemessen und - im ursprünglichen Wortsinn - originell auszudrücken: in der Floskeleinöde deutschsprachiger Popmusik ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Das allerdings ist nun wirklich überhaupt keine neue Erkenntnis.
Neu dagegen: Maxim gestattet sich inzwischen die kleinen und gar nicht so kleinen Glücksmomente. Er rauscht mal eben mit der Liebsten nach "Marseille", träumt den "Grünen Papageien" hinterher und weiß am Ende, "Wohin Ich Gehör". Möglicherweise ist genau das der Grund, warum in seinem immer etwas spröden Gesang diesmal so viel Zuversicht mitschwingt. Über weite Strecken macht dieses Album schlicht Spaß. Trotz allem.
6 Kommentare mit 8 Antworten
Musik ist natürlich ungehört. Aber das Thema ist spannend. Auf meiner deutschen Seite mußte meine Urgroßmutter ihren Vergewaltiger heiraten. So wurde es damals erwartet, und viele Ehen wurden so geschlossen. Diese praktisch immer unverarbeiteten Scheußlichkeiten werden an die Nachfolgegenerationen weitergegeben und begleiten sie wie Geister in den Häusern. Praktisch alle deutschen oder europäischen Familiengeschichten erzählen ähnliches.
Ich hab es 30 Sekunden versucht, aber es geht einfach nicht. Die alten Songs, die ich angetestet habe, fand ich arg affektiert, nur dick poppig ausproduziert für deutsche Verhältnisse
@Ragi
Okay, und hast Du das Gefühl, dass der beschriebene Umstand irgendeinen Anteil an deiner vor einiger Zeit getroffenen Entscheidung hatte, sich fortan in einer Salzmine häuslich niederzulassen?
Da wohne ich, weils da so viele Lecksteine gibt wie meine Kuhzunge es sich nur wünschen kann.
Galt natürlich nur allgemein der Musik. Das dieses Thema wichtig und gewichtig ist, steht außer Frage.
Klar. Ist halt lauchiger Deutsch-Hip-Hop. Selbst die Creme de la Creme des Genres hat ne Halbwertzeit von ungefähr zwei Jahren.
Stimmt schon. Das ist hier aber auch extrem nah an Formatradiopop. Marseille zb klingt für mich wie dieses Max Mutzke Lied, nur pathetischer vorgetragen
Weiß man eigentlich, ob KIZ irgendwann nochmal ein neues Album rausbringen, wenn nun inzwischen schon zwei Mitglieder auf Solo-Pfaden unterwegs sind?
Das hier ist nicht der Maxim von K.I.Z.
Aber ja, ein neues Album von denen wäre schon was.
Bin gespannt
Kommt meiner Meinung nach nicht an die letzten beiden Platten ran, schade.
„Das bisschen was wir sind“ war düsterer, kälter, pessimistischer. Mir gefällt‘s, dass er mit dem neuen Album eine andere Richtung einschlägt, die teilweise hart an Alternative-Studentenpop à la „Von wegen Liesbeth“ vorbei schrammt. („Automat“)
Vielleicht nicht einer der eindrucksvollsten Sänger, aber tausendmal besser als seine Formatradio-Kollegen mit ihren Wandtatoo-Wohlfühltexten und „O-ho-hoo“-Refrains.
wichtig ist es zu erkennen und die Kette der Weitergabe zu durchbrechen.
Wir können alle dazu beitragen, daß diese Platte nicht weitergegeben wird!
Tut mir leid, der Satz war eine "100%ige" Torchance.