laut.de-Kritik

Gut getextete Popsongs sind unwahrscheinlich, aber möglich.

Review von

Maxim setzt seine ornithologische Phase fort: Etliche Jahre sind schon wieder ins Land gezogen, seit er "Grüne Papageien" fliegen ließ. Jetzt schickt er ihnen mit der "Nachtigall" einen deutlich dezenter gefärbten Vogel hinterher. Wie so oft bei ihm: Das Bild passt.

Angesichts der Härte der auf dem Vorgängeralbum verhandelten Themen erschien das Schwert, das Maxim damals führte, geradezu unverschämt leicht. Im Gegensatz dazu durchzieht diese neue Platte nun eine Schwere, über die auch die angenehmsten Melodien, die schmissigsten Rhythmen und die schwelgerischsten Streicher nicht hinwegtäuschen. Die Melancholie erscheint allgegenwärtig, und sie sitzt tief, durchzieht die Songs wie Pilz-Myzel den Waldboden.

Von der luftigen Aufbruchsstimmung und der leisen Heiterkeit von "Grüne Papageien" zeigt "Nachtigall" nicht mehr viel. Ernüchterung und Zweifel scheinen wieder an Boden gewonnen zu haben, unterschwellige Unruhe macht sich breit: "Alles wird gut, wenn wir da sind, aber da sind wir eigentlich nie." Es wird wieder dunkler, ein Funken Hoffnung glimmt aber noch: "Wie unwahrscheinlich es auch ist, völlig unmöglich ist es nicht."

Den Beweis, dass es sich immer lohnt, das Abnorme zu erwarten, liefert Maxim gleich mit. Mit gut getexteten Popsongs rechnen in diesem Land ja wirklich nur noch absolut unverdrossene Optimist*innen, doch, guck an! Auch hier ist das Unwahrscheinliche möglich. Wie ein emotionaler Seismograf registriert Maxim kleinste Veränderungen in Stimmungen und Gemütslagen und verwandelt seine Beobachtungen hernach in sprachliche Bilder von fotografischer Präzision.

Das Sofa bei der verlassenen Kaserne, auf dem er sitzt und wartet, die Sonne, die hinter dem Steinbruch versinkt, das morbide Bild der beiden bis in alle Ewigkeit Händchen haltenden Skelette mit den ineinander verschränkten knöchernen Fingern ... all das lassen Maxims Worte vor dem inneren Auge Gestalt annehmen. Man sieht seine Schiffe den Fluss hinunterfahren. Man meint, den Brief, auf dem Klavier liegen zu sehen, ungeöffnet, voller Antworten auf Fragen, die schon so lange schwären, dass man sich gar nicht sicher ist, ob man wirklich wissen möchte, was das Kuvert birgt.

"Ich Erinner' Mich An Alles", beschreibt Maxim auch gleich die Kehrseite seiner Fähigkeit, genau hinzuschauen. Je detaillierter seine Schilderungen von Herzschmerz, Verlangen, Frust, Schlaf- und Machtlosigkeit ausfallen und je unverbrauchter die Analogien, die er findet, um all das zu verdeutlichen, um so nachhaltiger und tiefer brennen sich die Emotionen ein.

Über menschliche und zwischenmenschliche Regungen und die Angst vor der Flüchtigkeit des Glücks haben schon viele gesungen. Ich kann mich nicht erinnern, auch nur von einem einzigen anderen gehört zu haben, wie er sich mit "Plastikrosen" durch die Straßen peitschen lässt oder dann, wenn die Nacht am tiefsten ist, am Küchenfenster sitzt, um einem Vogel die Lieder zu stehlen. "Ich bin ein einfallsloser Mann" - ach, ja? Wo genau liegt eigentlich die Grenze zwischen Tiefstapelei und faustdicker Lüge?

Wie auf jedem seiner Alben fasziniert und fesselt dieser angeblich einfallslose Mann mit Lyrics, die diese Bezeichnung tatsächlich verdienen. Man kann das kaum genug preisen. Schade wäre trotzdem, gerieten über der Kraft der Worte Schönheit und Stimmigkeit der Musik in den Hintergrund. Auf Kompositionen und Arrangements verwendet Maxim nämlich mindestens so viel Augenmerk, und genau wie bei den Texten lassen sie allerhöchstens ahnen, wie viel Sorgfalt und Liebe nötig war, bis alles so natürlich, organisch, so selbstverständlich klingt, wie es klingt und eins so widerstandslos ins andere greift wie die Stimmen von Maxim und Antje Schomaker in "Nie Da" respektive Lina Maly in "Fenster Oben Links".

Ob mit üppigem Streicher-Background wie in "Hinter Der Provinzstadt" oder auf das Wesentliche reduziert wie im irrsinnig beklemmenden, zugleich absolut hypnotisierenden "Eine Waffe", ob basslastig und zart zugleich, wie in "Nachtigall", angeschlagen, rau, fast zornig wie in "Ich Erinner' Mich An Alles" oder ganz schlicht mit akustischer Gitarre in Szene gesetzt wie im abschließenden "Nicht Allein": Maxims Lieder treffen, genau wie sein unikat angekratzter Gesang, immer den richtigen Ton.

Trotzdem ist gut, dass diese "Nachtigall" nicht länger singt: Nach zehn Tracks hat Maxim die emotionale Farbpalette, die ihm diesmal zur Verfügung stand, doch ziemlich ausgeschöpft, der ein oder andere bunte Akzent wäre jetzt so willkommen wie nötig, und man gönnte diesem Mann ja auch wieder einen Höhenflug. Der kann ja aber noch kommen: Es gibt noch viele farbenprächtig gefiederte Arten im Vogelbestimmungsbuch.

Trackliste

  1. 1. Hinter Der Provinzstadt
  2. 2. Nachtigall
  3. 3. Zuhause
  4. 4. Nie Da
  5. 5. Ich Warte
  6. 6. Fenster Oben Links
  7. 7. Ich Erinner' Mich An Alles
  8. 8. Eine Waffe
  9. 9. Plastikrosen
  10. 10. Nicht Allein

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