laut.de-Kritik
Die Mechanik der Selbstzerstörung.
Review von Philipp KauseLediglich drei Songs haben hier Premiere. Alles andere sind neue Versionen früherer Songs. "Out Of The Blue" von Mike & The Mechanics ruft eine Band in Erinnerung, die ihre besten Zeiten von 1989 bis '95 erlebte und nun vor allem viele alte Hits in neuen Versionen anschleppt.
Das Unterfangen mutet zäh an. Eine Auseinandersetzung mit diesen Hits, dieser Gruppe und dieser Platte lohnt sich aber dennoch. Denn diese strahlend blaue CD erzählt eine so tragische wie interessante Geschichte aus dem Pop-Business, aus der man lernen kann. Außerdem handelt es sich nicht um irgendwelche alten Nummern, sondern um solche, die einst unermesslichen Radioeinsatz ernteten, davon gar sieben an der Zahl. Vor allem in Deutschland dudelten sie unentwegt durch den UKW-Funk, und auch das Musikfernsehen war vor ihnen in den 90ern nie sicher.
Diese sieben Songs sind "The Living Years", "Beggar On A Beach Of Gold", "Another Cup Of Coffee", "All I Need Is A Miracle", "Silent Running", "Over My Shoulder" und "Word Of Mouth". Die Gänsehaut-Ballade "The Living Years" thematisiert das Verhältnis von Vater und Sohn. Ein Kinderchor und alle Bandmitglieder singen den Refrain, der den zu frühen Verlust des Vaters betrauert. Sohn und Papa leben im Konflikt miteinander und lösen ihn nicht auf, bis der Papa überraschend ums Leben kommt. Ko-Autor Mike Rutherford verarbeitete gerade den Tod seines eigenen Vaters, und der ursprüngliche Sänger Paul Carrack hatte seinen Papa früh verloren, als der in einem Bergwerk verunglückte.
Die Emotionen aus diesen Umständen liegen in der ersten Fassung, deren Flair in zahlreichen Cover-Versionen anderer Acts nie erreicht wurde. Auch von Mikes aktueller Besetzung nicht. Neben den Lyrics und den im Original sehr sensibel eingespielten Keyboards berührt auch das damalige Musikvideo mit Rutherford und seinem Sohn sehr. Faszinierend ist auch die Länge des Songs, der sich einfach Zeit nimmt. Die neue Version macht daraus einen Soul-Song, einfach, weil der Sänger Andrew Roachford den Soul in der Stimme hat. Dennoch fehlt es an Authentizität. Das neue Intro verleitet noch zum Hinhören, doch dann wird der Song eins zu eins nachgespielt. Die Abmischung im Original klingt jedoch runder und wärmer, und der Refrain hört sich in der Neufassung vor allem brav an, aber nicht 'bewusst' vorgetragen. Die Akustikfassung zeigt sogar, was man mit einem Bonus-Track kaputt machen kann. Sie legt den Fokus zwar auf den Text, stellt den Sänger aber unangenehm penetrant in den Vordergrund.
"A Beggar On The Beach Of Gold" liegt Herrn Roachford in Tonhöhe und Thematik mehr. Sowohl die neue Albumversion als auch der akustische Bonus-Track gehen in Ordnung, jedoch nicht mehr als das. In beiden Edits gibt das Piano-Pedal den Takt vor, womit die Band eine recht charmante und lockere Rhythmik erzeugt. Frisch restauriert überzeugt dagegen "Another Cup Of Coffee" durch den raueren Gesang, die trockene Instrumentierung und den völligen Verzicht auf Pathos. Auch hiervon packt die Band eine Akustikversion aufs Album. Akustikgitarre und Klavier setzen funky Akzente in den Rhythmus und machen tatsächlich ein neues Lied aus der Nummer.
"All I Need Is A Miracle" hat im Original eine typische Popsong-Struktur und entwickelt sich in der Neuaufnahme von einem altbackenen Hardrock-Intro über Blues-Passagen und eine wilde Jazz-Einlage zu einer Stadionhymne. Dass das geschmackvoll ist, werden wohl selbst hartgesottene Fans der Band irritiert anzweifeln. Überraschend ist das Ganze, aber auch 'weird'. "Word Of Mouth" soll wohl nach Status Quo klingen. Leider setzen es die Herren mächtig in den Sand, weil der Sänger die Zeilen "From the westside to the eastside, from the northside to the south" übelst trashig herausschreit und die knödelnde Bluesgitarre dazu als Klischee nervt.
Auch "Silent Running" mit der Mega-Hit-Zeile "Can you hear me running, can you hear me?" hätten sie lassen können, tut aber in der neuen Version auch nicht weh. Ohne Paul Carrack fehlt dem Song seine Magie. "Over My Shoulder" spielen die Mechaniker fantasielos nach. Es empfiehlt sich das Unplugged davon am Ende der CD, allerdings trifft Roachford die Töne ohne Volumen und Kraft.
Kaum eine Band wurde so konsequent, lange und häufig in den 90ern von fast jedem Pop-Radiosender in Deutschland mit so vielen Nummern gespielt. Kulturwellen, Rocksender, Charts-Funk, MTV, VH-1 und Viva, jeder rotierte diese Hits, und zwar auch noch, wenn sie nicht mehr aktuell waren. Wie die auf dem Cover-Pic abgebildeten Heißluftballons stieg die Band ganz hoch und schwebte über den wechselnden Eintagsfliegen der 90er, die kommen und gingen.
Hinter der neuen Platte steckt der sicher so lieb wie kommerziell gemeinte Ansatz, den treuen Tour-Besuchern einen neuen Tonträger mit an die Hand zu geben. Doch auf "Out Of The Blue" wirkt etliches zu künstlich, gewollt und hingebogen, vor allem die neuen Songs. "One Way" müht sich redlich, klingt aber mies abgemischt und wabert sinnentleert durch Phrasen wie "in the end it don't mean a thing" und "I know, I'm in love with you, ohne sich für eine klare Story zu entscheiden. Von Schlagerstars und Boygroups ist der Song nicht weit entfernt.
Der Titelsong "Out Of The Blue" verspielt seine Chance - als grauenvoller Fahrstuhl-Pop. Auf YouTube floppte diese Single zunächst und bringt es auf je gut 1.000 Klicks pro Tag weltweit, relativ wenig für eine Band, die fünf Alben in den Top Ten hatte und vom ehemaligen Genesis-Gitarristen geleitet wird. Auch Sänger Roachford war in den 90ern kein No-Name, sondern hatte einige starke und auch sehr schöne Hits wie "The Way I Feel" und "This Generation".
Immerhin der Unplugged-Teil punktet und bietet doch einiges. Zwei weniger bekannte Titel blühen hier auf, "Don't Know What Came Over Me (Acoustic)" und "The Best Is Yet To Come (Acoustic)". Letzterer Titel stellt sich sogar als Höhepunkt der ganzen Platte heraus. Eine EP mit den sechs bis sieben guten Aufnahmen hätte mehr gebracht, aber so zersetzt die Band ihren eigenen Mythos. Gefühle, die einst autobiographisch gefühlt wurden, kann man schwerlich nachspielen. Und die 80er und 90er sind nun einmal vorbei, Nostalgie lässt sich nicht erzwingen.
2 Kommentare
Die betitelte Selbstzerstörung ist doch ziemlich weit hergeholt. Das Album macht unterm Strich einfach Spaß. Mehr muss diese Art von Pop-Rock auch nicht machen. Rutherford ließ zum neuen Album verlauten, man wolle mit dem Studio-Album den Konzertbesuchern quasi den Stand der Livekonzerte bieten. Eine Live-CD hätte natürlich auch ein ähnlichen Effekt gehabt. Vielleicht will man die aber auch nur später nachschieben. Die Leute wollen natürlich auch von was leben. Zudem stehen die alten Sänger nun mal nicht mehr zur Verfügung und die beiden neuen gibts es auch bereits auf 2 Studioalben zu hören. Beide halte ich für eine perfekte Auswahl. Roachford gibt den Songs noch mehr Soul mit, als Carrack das vermocht hat.
Ich bin genau derselben Meinung wie "ich beeil mich". Einfach ein wunderbares Album 2019