laut.de-Kritik
Der König des Universums verteilt wieder Ohrfeigen.
Review von Michael SchuhFünf Jahre sind mittlerweile ins Land gegangen, seit der Brite ohne festen Wohnsitz wieder "den ihm zustehenden Platz als König des Universums" (Stephen Morris, New Order, verächtlich) eingenommen hat. Seither befeuerten zwei Studioalben seine frisch erworbene Relevanz zu Recht in beträchtlichem Ausmaß.
"Years Of Refusal" klingt nicht nur vom Titel her wie eine Autobiographie, es bündelt in gewisser Weise auch das rund 20-jährige Schaffen des Solokünstlers Morrissey auf knapp 45 Minuten. Nie kam er seinem weithin unterschätzten Glam Rock-Werk "Your Arsenal" (1992) so nah wie auf diesem größtenteils live eingespielten Album.
Alles gut also? Fast. Zwangsläufig fehlt bisweilen die elegante, besonders auf "Ringleader Of The Tormentors" vom Arrangement-King Tony Visconti auf die Spitze getriebene Kunstfertigkeit. Dafür gibt es Druck, Intensität und das lauteste Schlagzeug seit Jahren.
Inmitten dieses zölibatären Dezibel-Theaters weidet sich Morrissey, mittlerweile 49-jährig, mit gewohnt einzigartigem Gesang an der überraschenden Tatsache, dass ihm das Leben inzwischen gar nicht mehr so übel mitspielt. "I'm doing very well / it's a miracle I even made it this far", konstatiert er gleich zu Beginn. Ganz am Ende reißt er sich gar zu einer Zeile mit Endgültigkeitsanspruch hin: "Now this may surprise you but / I find I'm OK by myself."
Glückseligkeit im Alter trotz leidgeplagter Teenagerjahre, ist es nicht das, was wir ihm alle gewünscht haben? Zwar betont der ewige Einzelgänger immer wieder, dass ein erfülltes Leben für einen Songwriter das Schlimmste bedeute, für ihn scheint diese Regel aber nicht zu gelten.
Aber mal ehrlich, welche tut das schon? In eine Welt, in der Männer Kriege anzetteln und Frauen Pelze tragen, hat er nie gewollt. Da ist es schon irgendwie beruhigend zu sehen, dass selbst einer wie Morrissey keine Wahl hat, dass selbst er in dieser Welt voller "Schweine in grauen Anzügen" weiter kämpfen muss, selbst wenn ihm sogar in Paris die große, reine Liebe nur in Form von eiskaltem Stahl begegnet.
Auch musikalisch gelingt ihm mit "I'm Throwing My Arms Around Paris" wieder die ganz große Geste und nebenbei eine seiner besten Solosingles. "Mama Lay Softly On The Riverbed" rummst von einem stakkatohaften Galeerenbeat in melodieselige Refraingewässer und bekommt pointensicher zum Einsatz des Wortes "Grab" die Kirchenorgel verpasst.
Morrisseys Latino-Jünger jenseits des Atlantiks dürften bei der überraschenden, an Flamenco angelehnten Nummer "When Last I Spoke To Carol" dahinschmelzen, während das ruhige "You Were Good In Your Time" als späte Danksagung an die Idole seiner Jugend fungiert - und nebenbei pikanterweise auch eine finale Ohrfeige an die Smiths-Reunion-Träumer parat hält ("Are you aware wherever you are / that you have just died?").
Mit dem zart beginnenden und dem Thema entsprechend immer lauter und düsterer werdenden "It's Not Your Birthday Anymore" erreicht die Platte ihren dramatischen Höhepunkt. Besser (weil ehrlicher) wurde die Erfahrung einer verblassenden Liebe wohl nie beschrieben: "It's not your birthday anymore / did you really think we meant / all of those syrupy, sentimental things / that we said?"
So festigt der König des Universums auf "Years Of Refusal" im Prinzip vor allem seinen Status als charismatischer Verführer einer von technischem Fortschritt und globaler Gleichzeitigkeit gebeutelten Anhängerschaft, die mit missionarischem Eifer in einem Mann Halt sucht, dessen gallige Kritik an scheinbar überholten Werten sich im Alltag kaum noch einer leisten kann ("no true friends in modern life", "no love in modern life"). Ganz zu schweigen von seiner frömmischen Weltabgewandtheit, die sich keiner leisten mag.
Und wenn schon, Morrissey, es gibt schlimmere Dinge als nicht geliebt zu werden, zum Beispiel ein durch Autounfall verursachtes Rückenleiden.
22 Kommentare
Neues Album, neue Single.
Editiere seit einer halben Stunde herum und poste das ganze dann morgen.
da freut man sich.
mit den beiden letzten alben konnte man ja größtenteils kann zufrieden sein.
Wenn du "man" bist, dann ja.
Single:
I'm Throwing My Arms Around Paris
9. Februar
Album (16.2.)
Tracklist
1. "Something Is Squeezing My Skull" (Morrissey, Alain Whyte) – 2:38
2. "Mama Lay Softly on the Riverbed" (Morrissey, Whyte) – 3:53
3. "Black Cloud" (Morrissey, Boz Boorer) - 2:48
4. "I'm Throwing My Arms Around Paris" (Morrissey, Boorer) – 2:30
5. "All You Need Is Me" (Morrissey, Jesse Tobias) - 3:12
6. "When Last I Spoke to Carol" (Morrissey, Whyte) - 3:23
7. "That's How People Grow Up" (Morrissey, Boorer) – 2:59
8. "One Day Goodbye Will Be Farewell" (Morrissey, Boorer) – 2:56
9. "It's Not Your Birthday Anymore" (Morrissey, Whyte) - 5:10
10. "You Were Good in Your Time" (Morrissey, Whyte) - 5:01
11. "Sorry Doesn't Help" (Morrissey, Tobias) - 4:03
12. "I'm OK By Myself" (Morrissey, Tobias) - 4:48
@en.wikipedia.org («
The photo on the album cover for Years of Refusal is a portrait by Jake Walters. The baby pictured with Morrissey is Sebastien Pesel-Browne, who is the son of Charlie Browne, Morrissey's Assistant Tour Manager. Sebastien's mother met Charlie at a Morrissey concert in Boston. [9] On 11 December 2008, Morrissey, along with Polydor president Ferdy Unger-Hamilton, unveiled Years of Refusal in London to a select group of journalists with a special listening of the album at Piccadilly's Pigalle Club. First impressions of the album have been universally positive. »):
Das Cover lässt ja einmal wieder Spekulationen zu.
das album ist so wunderbar.
ich bin vor allem total fasziniert, wie 'that's how people grow up' im kontext des albums noch einmal vollkommen neu aufblüht.
ich = total begeistert. und im juni! live!
Schade, Konzert in Berlin war schon ausverkauft
Was fuer ein geniales Album!
Black Cloud, Paris, That's how people, One day goodbye will be farewell, Sorry doesn't help, I'm OK by myself.... So viele geile Songs!
Bin mit diesem Album erst auf Morrissey aufmerksam geworden, und frage mich jetzt, wie ich so lange ohne seine Musik leben konnte. Kenne kaum einen Saenger, der seine Gefuehle so intensiv rueberbringen kann.