laut.de-Kritik

Selten klangen Hymnen auf dicke Joints so extravagant.

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Die Tracklist von Mortens neuer EP "10551 Moabit Island Season 1" irritiert zunächst. Endet doch jeder Song mit einem Pünktchen und den drei Buchstaben "flp". Diese Dateiendung gehört zum Produktionsprogramm FL Studio – auch bekannt als Fruity Loops. Die eigenwillige Benennung kommt nicht von ungefähr: Denn von den Beats über den Gesang bis hin zu den Effekten macht der Berliner alles selbst. Und das hört man.

Morten nutzt die Doppelrolle als Rapper und Produzent effektiv aus, um seiner Musik eine ganz eigene Detailverliebtheit zu verleihen. Alles wirkt aufeinander abgestimmt: Die düster-verspulten Beats passen wie angegossen zu Mortens dynamischer Stimme. Diese wiederum verdichtet er durch reichlich Adlibs und weitere Hintergrundgeräusche. Heraus kommt ein Soundentwurf, der so vielschichtig ist, dass man die zahlreichen Audiospuren der flp-Projektdatei quasi vor sich sehen kann.

Bei einer solchen Hingabe an den eigenen Sound, lässt sich die textliche Schlichtheit des Moabiters verschmerzen. Andere Themen als seinen Graskonsum und das Leben im Westberliner Kiez beackert er kaum. Allerdings platziert er seine simplen Lyrics so pointiert auf den eigenen Instrumentals, dass selbst stumpfe Zeilen ihre Wirkung entfalten. "Dein Mädel ist nicht so schlau, doch hat was im Schädel" mag auf dem Papier nach einem Spruch von Halbstarken aus der Rauchecke der örtlichen Gesamtschule klingen. Der große Bruder von Marvin Game aber macht mit seiner unnachahmlich lässigen Delivery selbst diese Zeile zu einem hörenswerten Höhepunkt.

Den rar gesäten textlichen Tiefgang findet man in der Mitte des Tapes mit "Jesse Presley.flp". Zwar versteckt sich Morten hier ebenfalls hinter Lifestyle-Phrasen und Querverweisen, doch bröckelt die Fassade etwas. Hier schwingt die Melancholie früherer Solo-Releases mit. Hinter der überheblichen Kiffer-Fassade steckt eben doch ein sensibler Mensch. Und diese Sensibilität verwandelt er mit Herzblut in Musik.

"10551 Moabit Island Season 1" ist deshalb mehr als die Summe seiner Teile, mehr als einzelne Lines oder Beats. Morten gibt hier einen Einblick in seine Gedankenwelt – und diese drückt er vorrangig eben nicht mit Lyrik aus, sondern mit der Musik als Ganzes. Sein gesamter Sound ist seine Poesie.

Davon zeugen auch die "Trailer"-Skits, die jedem Song vorgeschaltet sind. Auf den Audioschnipseln sind Mortens Freunde zu hören, die versuchen, ihn zu erreichen. Sie laden ihn ein zum chilligen Beisammensein in der Berliner Hood. Doch Morten antwortet nicht. Er öffnet nicht die Tür, wenn sie klingeln. Er sitzt an seinem Laptop und schraubt an Musik: "Ja, ja, locker 400 Hits auf'm Laptop / Ja, ja, alleine zwanzig auf'm Desktop." Der Rapper arbeitet laufend an seiner Kunst, gestaltet die eigene Soundästhetik immer weiter aus. "10551 Moabit Island Season 1" mit den als Projektdateien betitelten Songs ist deshalb nicht zuletzt Ausschnitt dieses Prozesses.

Es wäre ein Leichtes, Mortens neue Platte oberflächlich als einfachen Kiffer-, Mumble- oder Cloud-Rap-Entwurf abzutun. Doch seine Musik ist mehr: gerne experimentell, manchmal verschroben, aber immer stylish. Selten klangen Geschichten aus dem grauen Westberlin und Hymnen auf dicke Joints so ästhetisch abgerundet und extravagant. Bleibt nur zu hoffen, dass Season 2 der Erzählungen von Mortens innerer Insel nicht allzu lange auf sich warten lässt.

Trackliste

  1. 1. Spacejoints.flp (Trailer)
  2. 2. Spacejoints.flp
  3. 3. 10551 Moabit Island.flp (trailer)
  4. 4. Episode 1: 10551 Moabit Island.flp
  5. 5. Jesse Presley.flp (trailer)
  6. 6. Episode 2: Jesse Presley.flp
  7. 7. $tra$$en$chlau.flp (trailer)
  8. 8. Episode 3: $tra$$en$chlau.flp

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