laut.de-Kritik

Wenn "Blue Monday" mal keine Rolle spielt ...

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Wenn New Order im Herbst 2019 wieder Konzerte geben, stehen sie alle auf der Setlist: "Blue Monday", "True Faith", "Temptation", die Evergreens für die breite Masse. Als die Band 2017 für fünf Nächte die Old Granada Studios in Manchester betrat, war das Setting nicht nur anders, sondern auch historisch. Hier spielten 1978 vier unbekannte Mancunians um die 22 als Joy Division zum ersten Mal im Fernsehen. Die Sendung hieß "So It Goes", legendär aufgrund des Moderators Tony Wilson, der bald darauf Factory Records gründete. Ein guter Anlass also, aus dem riesigen Back Catalogue mal die oft zur Seite geschobenen Rosinen heraus zu picken.

Ian Curtis ist tot, Peter Hook vom Hof gejagt, aber was zählen Personalien? Die Musik ist in den Köpfen der Menschen, auch wenn die genannten Personen daran mehr als nur maßgeblichen Anteil hatten. Während Bassist Hooky in seiner ganzen Verzweiflung seit Jahren unter dem Namen The Light komplette New-Order-Alben live aufführt, lassen Sänger Bernard Sumner und Drummer Stephen Morris öffentliche Forderungen nach einer Aussöhnung mit dem Bühnenberserker eiskalt abprallen. 2015 erschien sogar ein neues New-Order-Album mit Hookys Nachfolger Tom Chapman, doch beim Hören von "Music Complete" ahnte man, dass ihr Gesamtwerk eigentlich schon geschlossen war.

Auf dem letzten Livealbum "Live At Bestival" mischte man Chapmans Bass noch beschämt in den Hintergrund, als wolle man Vergleiche mit dem Vorgänger vermeiden. "∑(No,12k,Lg,17Mif) New Order + Liam Gillick" revidiert diese Vorstellung (der britische Künstler Gillick konzipierte die Live-Show). Man merkt gleich zu Beginn, dass sie es diesmal ernst meinen. Vom sowohl bandintern wie aus Fansicht ungeliebten Break-Up-Album "Republic" (1993) stammt die Eröffnung "Times Change" und das kann man sich durchaus geben, so lange Sumners peinliche Rap-Versuche eliminiert sind. Breite Synthteppiche überlagern die für die Früh-90s typischen Rave-Beats.

Ganz klar: Hier werden die harten Fans angesprochen, die sich eventuell auch über farbiges Dreifachvinyl freuen. Joy Division darf da natürlich nicht fehlen: "Disorder" legen sie mit einem Tempo aufs Parkett, das keine Alterserscheinungen erkennen lässt, ebenso wenig vermisst man Hookys legendären Bass. Sumner selbst war sicher nie der größte Sänger, was die Notwendigkeit von New-Order-Livealben stets in Frage stellte, doch für den alten Freund Wilson zeigt er sich hier schon von seiner besten Seite. Auch wenn Ian Curtis' bebendes "I've got the spirit, but lose the feeling" in "Disorder" selbstredend unkopierbar bleibt.

Die schauerlich-hilflose Elegie "In A Lonely Place", von Curtis kurz vor seinem Tod geschrieben und von New Order als B-Seite ihrer ersten Single "Ceremony" veröffentlicht, behält dank originalgetreuer Minimalistik seinen majestätischen Charme. Opulente Popsongs wie "All Day Long" sind dagegen für diese Art Fan-Wunschkonzert obligat, wenn man schon mit einem 12-köpfigen Synthesizer-Ensemble auf der Bühne steht.

Die von Hook 2005 nur widerwillig aufgenommene Trance-Nettigkeit "Guilt Is A Useless Emotion" spielt die Band selbstredend mit Hochgenuss, vielleicht ausschließlich aus diesem Grund. Doch selbst eher spannungsarme Songs wie "Plastic" (von "Music Complete") funktionieren in diesem Setting zwischen neu arrangierten Oldies "Shellshock" oder "Bizarre Love Triangle" - diesen Hit erlauben sie sich dann doch. Allein der Aufschrei der Fans zu Beginn des rauschhaft-meditativen "Elegia" (auf "Low-Life, 1985) zeigt noch einmal nachdrücklich, mit welcher Intensität diese Band für ihre Mischung aus stürmischem Indie, schimmerndem Dance und fragilem Pop geliebt wird.

Dass anstelle eines einzigen "Get Ready"-Songs die verschlafene "Crystal"-B-Seite "Behind Closed Doors" auserwählt wurde, nimmt man angesichts des Gesamtkonzepts gerne in Kauf. Schließlich ehren Sumner und Co. mit "Heart & Soul" zuvor einen der besten Joy-Division-Songs überhaupt.

Trackliste

  1. 1. Times Change
  2. 2. Who's Joe
  3. 3. Dream Attack
  4. 4. Disorder
  5. 5. Ultraviolence
  6. 6. In A Lonely Place
  7. 7. All Day Long
  8. 8. Shellshock
  9. 9. Guilt Is A Useless Emotion
  10. 10. Sub-Culture
  11. 11. Bizarre Love Triangle
  12. 12. Vanishing Point
  13. 13. Plastic
  14. 14. Your Silent Face
  15. 15. Decade
  16. 16. Elegia
  17. 17. Heart & Soul
  18. 18. Behind Closed Doors

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1 Kommentar

  • Vor 5 Jahren

    Liest sich von der Setlist ziemlich interessant. Da sind schon einige meiner bisherigen JD- und NO-Favoriten mit oben ("Disorder", "Sub-Culture", "Your Silent Face", "Vanishing Point", "Decades" und natürlich das unerreichte "Heart & Soul").