Ein Buch über Ruhm, Rausch und Rock'n'Roll, über Amore und - Wanda sind Wiener, wie könnte es anders sein? - über den Tod.
Wien (dani) - "Wenn das ganze Ding so weiterfährt, dann wird eh irgendwann irgendwer ein Buch schreiben. Da steht dann alles drin." So orakelte Marco Wanda in einem der ersten Interviews, die er überhaupt gab. Dass er selbst besagter "irgendwer" sein würde, stand zu erwarten. Dass jedoch elf Jahre ins Land ziehen würden, ehe sich diese Prophezeiung erfüllt, hätte wahrscheinlich niemand gedacht. Warum es gar so lange gedauert hat? Nach der Lektüre von "Dass es uns überhaupt gegeben hat" (Zsolnay Verlag, 288 Seiten, gebunden, 25 Euro) wissen wir es: Es blieb einfach keine Zeit für Atempausen. Wir wissen außerdem, warum die Alben von Wanda klingen, wie sie jeweils klingen, und warum die Videos aussehen, wie sie aussehen.
Darüber hinaus erfahren wir noch eine ganze Menge mehr. Marco Wanda erzählt von den mühseligen Anfängen und dem dann doch schwindelerregend rasanten Aufstieg seiner Band, vom Ruhm und seinen Schattenseiten, von körperlichen, mentalen und zwischenmenschlichen Herausforderungen und davon, was passiert, wenn alles aus dem Ruder läuft. Eine weniger Sex-, dafür um so mehr Drugs-and-Rock'n'Roll-Story, wie sie (jetzt tatsächlich) im Buche steht, und wie man sie so oder sehr ähnlich schon hundertmal erzählt bekommen hat. Könnte man meinen.
Aus dem Wiener Untergrund ins Mainstream-Radio
Allerdings hebt sich diese hier in mehrerlei Hinsicht von der Masse ab. Zum einen, weil Wandas Erfolgsgeschichte halt einfach eine beispiellose war: Die atemberaubende Geschwindigkeit, in der sich diese Combo aus dem Nichts über kleine, kaschemmige Clubs zu Arenen, vom Neunsitzer-Van zum Nightliner, vom Wiener Untergrund-Geheimtipp zu Everybody's Darlings ge-upgradet hat, hat kaum ein Act vor ihnen erreicht, und auch keiner seitdem. Mir fällt außerdem sonst niemand ein, dem der Durchbruch ins Mainstream-Radio mit einer Single über inzestuöse Träumereien über die eigene Cousine gelungen wäre, Chapeau.
Zum zweiten spult Marco Wanda da eben nicht nur eine Band-Geschichte herunter. Nö, er schreibt über Freundschaft, über Entfremdung, übers Wieder-zueinander-Finden (oder eben nicht), und er schreibt über die Liebe, Amore eben. Darüber hinaus geht es um Suff, Sucht und Selbstzerstörung und (es sind Wiener, wie könnte es anders sein?) um den Tod und die Krater, die er in den Herzen der Überlebenden hinterlässt.
Über Amore, den Rausch und den Tod
Der Abschied von Keyboarder Christian Hummer vor zwei Jahren mag für viele überraschend gekommen sein. Wie lange seine Bandkollegen mit dem Wissen um seine Krebserkrankung leben mussten und wie übermenschlich viel es ihnen abverlangt haben muss, dieses Wissen vor dem Rest der Welt zu verschleiern: "Dass es uns überhaupt gegeben hat" verschafft immerhin den Hauch einer Vorstellung vom Ausmaß dieses Kraftakts. Wenig später verlor Marco Wanda seinen Vater, ebenfalls an den Krebs, und auch, wenn "Bei Niemand Anders" das mit weitem Abstand herzzerreißendste Lied ist, das seiner Feder jemals entflossen ist, bleibt ihm zu wünschen, dass er niemals wieder einen solchen Song schreiben muss.
Ich weiß gar nicht, warum mich gar so überrascht hat, wie heftig mich "Dass es uns überhaupt gegeben hat" getroffen hat. Jemandem, der ein solches Lied übers Abschiednehmen, übers Sterben und übers jemanden Überleben ersinnen konnte, hätte ich eigentlich ruhig zutrauen können, dass er schreiben kann und obendrein die richtigen Worte findet. Ich war dann aber doch an vielen Stellen schlicht baff, wie genau Marco Wanda eine Szene, einen Moment, ein Gefühl zu packen bekommt und welch passende Bilder er dafür benutzt.
Im Sumpf der Sucht
"Dem Alkohol verfallene Gespenster hören den Ruf. Am Anfang springt man von Bar zu Bar, wie ein Schmetterling von Blume zu Blume. Es sind fleischfressende Pflanzen, und langsam schließen sich die Blätter um einen herum. Man ist jung und hat Kraft, und man zieht weiter, bevor man verschlungen wird. Das geht so eine Zeit lang gut, bis man den Ruf hört. Einer der vielen Bars gelingt es, und man wird sesshaft. Man hat keine Kraft mehr, von Bar zu Bar zu springen oder den Ruf zu ignorieren. Man setzt sich und lässt sich verschlingen. Man ist jahrelang irgendwohin gefahren, um es zu tun. Das hat man getan, um sich zu schützen. Aber dann entdeckt man die Bar ums Eck. Die Bar in der Nachbarschaft. Und man hört den Ruf. Diese Bar verlässt man nicht mehr. Man kann um zwei oder drei in der Früh nach Hause gehen, aber eigentlich hat man die Bar nicht verlassen. Man sitzt immer am selben Platz, und das Leben hört auf, sich zu bewegen. Man fühlt sich aus vielen Gründen schuldig und ist dankbar, endlich bestraft zu werden. Man weiß nicht, wohin mit all der Zeit und all dem Geld, also wirft man alles in diese Bar und lässt sich verschlingen. Die Bar hält einen mit einer Hand fest umklammert, und mit der anderen mixt sie Whisky Sour. Man trinkt einen Whisky Sour nach dem anderen, und man trinkt die Bar. Sie ist jetzt in einem, und man nimmt sie überallhin mit. Man denkt, man ist glücklich, und man denkt, man ist angekommen, aber man weiß nicht mehr, wie man glücklich ist."
Eine treffendere Beschreibung vom Versumpfen, von fortschreitendem Alkoholismus und davon, was Sucht mit einem anstellt, habe ich noch nie gelesen. Um so bewundernswerter, dass es Marco Wanda gelungen scheint, am Ende doch noch die Reißleine zu ziehen und nach Kokain und diversen anderen teils legalen, teils illegalen Drogen auch dem Alkohol zu entsagen.
Kylies Shirt und Voormanns Unterhosen
Man braucht jetzt aber nicht zu befürchten, dass dieses Buch eine ausschließlich traurige Angelegenheit wäre. Bei aller (der Story angemessenen) Dramatik steckt "Dass es uns überhaupt gegeben hat" dennoch voller witziger Anekdoten. Wir erfahren zum Beispiel, wie seine Bandkollegen ihrem Bassisten Ray mittels einer Wette die allen außer ihrem Träger verhasste Muschelkette abluchsten, wieso Marco Wanda tagelang mit Kylie-Minogue-T-Shirts herumlaufen und warum Klaus Voormann mit ihm Unterhosen kaufen gehen musste.
Der an sich schon verwunderliche Umstand, dass es Wanda überhaupt gegeben hat, erscheint immer noch wahrscheinlicher, als dass sie irgendwann tatsächlich bei Problembär Records untergekommen sind - nach der Aufwartung, die sie deren Chef Stefan Redelsteiner einst bei einer Labelnight gemacht hatten. Sich an selbigen heranzuwanzen hatten Marco und Christian bei der Show versucht - mit zweifelhafter Strategie: "Ich bin bis heute so froh, dass Nino nicht erschien und sich Redelsteiner an unser erstes Treffen nicht erinnern konnte, als er uns später unter Vertrag nahm ..."
Rauchend unterm Blumenbanner
Auch auf die ersten Promotermine seiner Band blickt Marco Wanda halb kopfschüttelnd, halb nachsichtig zurück: "Für Deutschland hatten wir uns etwas überlegt. Wir wollten irgendwie auffallen, also stellten wir John Lennon und Yoko Onos 'Bed-in' in einem billigen Hotel in München nach und legten uns alle kettenrauchend in ein mit Rosenblättern ausstaffiertes Bett und empfingen die fünf JournalistInnen, die sich für diesen Blödsinn interessierten. Lukas und ich hatten in stundenlanger Arbeit ein Transparent mit einem aus Blumen geformten Amore-Schriftzug angefertigt, und wie wir da in Lederjacken unter dem Blumenbanner mit Schuhen im Bett lagen, das hätte zu Recht unsere Karriere beenden dürfen, bevor sie angefangen hatte."
Wie wir wissen, kam es anders. Wanda sind hoch geflogen, hart gefallen, zum Trio geschrumpft, aber immer noch da. "Dass es uns überhaupt gegeben hat" erklärt zwar auch nicht wirklich schlüssig, wie das passieren konnte. Es gestattet aber tiefen Einblick ins Bandgefüge, noch tieferen in die Seele ihres Frontmanns, und der Wandel vom leicht weinerlichen Säuferblues der ersten beiden Alben zum auf "Ende Nie" immer wieder durchscheinenden echten Leid, nachdem das Leben zwei, drei wirklich harte Hiebe platziert hat, erscheint nun vollkommen nachvollziehbar: ein unerwartet berührendes, deswegen um so berührenderes Buch. Lest das.
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1 Kommentar mit einer Antwort
So, könnten wir dann bitte bis zum Jahresende Artikel veröffentlichen, in denen nicht mehr das Wort bzw. die Chiffre "Anders" vorkommt? Wir wird ganz anders langsam - was geht hier eigentlich vor?
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