Am Wochenende diskutierte Herausgeber Mark Greif sein Werk "Hipster" u.a. mit Thomas Meinecke und Tobias Rapp. Das Buch eröffnet Einblicke in die vielleicht meistverachtete Subkultur der Nullerjahre - von Andy Warhol bis Lady Gaga.
Berlin (mma) - "What was the Hipster?" lautet der Titel einer 2010 herausgegebenen Abhandlung vom "neuen Star am literarischen Sozio-Pop-Himmel" Mark Greif. Grundlage des Buchs bildet ein 2009 gehaltenes Symposium in New York. Unter Leitung des US-Kulturmagazins n+1 diskutierten seinerzeit Feuilletonisten, Popautoren und weitere Kenner der Materie ein Phänomen, das offenkundig den Emo als meistgehasste Subkultur unserer Zeit abgelöst hat.
Ein unangepasster Narziss
Der Konsens des damaligen Panels lautete in etwa so: Der Hipster der 2000er Jahre ist angepasst ans Unangepasst-Sein - ein Narziss auf der Suche nach distinguierter Überlegenheit. Der meist männliche weiße 18- bis 30-Jährige vergreift sich ideengeschichtlich an den "Original Hipsters", der schwarzen Bebop-Avantgarde der 1940er (etwa Thelonious Monk), sowie modisch an den Eigentümlichkeiten der vergangenen Jahrzehnte. Als Mitglied der urbanen Mittelschicht mit zu viel Kleingeld ausgestattet, bedient er sich ironisch rekontextualisierend am Repertoire rebellischer Ausdrucksformen authentischerer Subkulturen.
Die um Essays deutscher Autoren erweiterte Mitschrift dieses Diskurses erschien Ende Januar im Suhrkamp Verlag als Taschenbuch unter dem Titel "Hipster. Eine transatlantische Diskussion" (18 Euro, 208 Seiten). Am Wochenende sprach Herausgeber Mark Greif mit den Autoren Thomas Meinecke, Tobias Rapp (Spiegel-Redakteur & Autor der Berlin-Techno-Analyse "Lost And Sound") und Jens Christian Rabe (SZ) über einen Begriff, zu dem jeder eine Meinung zu besitzen scheint.
Dass es beispielsweise in Berlin mittlerweile Partys unter dem Motto "Kill all Hipsters" gibt, ist dabei nur eine von unzähligen Randnotizen. Während sich die Diskussionsrunde vor allem in Greifs distanziert intellektueller Stereotypisierung des Hipsters als individualismusgeiles Konsumopfer und Gentrifizierungsbeschleuniger ergab, lohnt das Buch insbesondere dank der neu angefügten Beiträge zum Thema Hipster-Hass.
Lady Gaga als große Klammer
Als äußerst aufschlussreiches Kapitel entpuppt sich der Dialog zwischen Thomas Meinecke (Autor, DJ, Musiker) und Eckhard Schumacher (Literaturdozent in Greifswald). Sie spannen den Bogen vom Hipster-"Urvater" Andy Warhol über den rekontextualisierenden Look des Hip Hoppers André 3000 hin zu Jarvis Cocker und den Riot Grrrls. Meinecke, selbst Jahrgang 1955, sieht in den Ressentiments gegenüber der Subkultur häufig eine "Rechtfertigung über Dreißigjähriger, spätestens Vierzigjähriger, sich vom lästigen, weil stets hochkomplexen Geschehen der Pop-Avantgarde zu verabschieden: seniles Gehabe, bürgerliches Feuilleton".
"Künstler-Hipster" wie Lady Gaga (hip in der Betonung des Artifiziellen) oder Antony Hegarty (hip in der Betonung von Gender) sind für Meinecke lediglich Zusammenfasser. Sie verkörpern Aushängeschilder einer sich ständig verändernden kulturellen Avantgarde, die zuvor aus einzelnen performativen Gesten und Handlungen einen ideellen Konsens gebildet hat. Diese Bewegung "von unten heraus" wäre damit einer stereotypen Benennung immer den entscheidenden Schritt voraus.
Konsequenterweise gelte der Hass auf Hipster demnach vor allem dem massenmedial präsenten "Kopisten" eines kurz zuvor noch avancierten Looks oder Denkens oder Handelns. Darüber hinaus, vermutet an anderer Stelle die amerikanische Literaturkritikerin Jennifer Baumgardner, spiele in der Antipathie möglicherweise Homophobie eine wichtige Rolle.
Resignifyin'
Auch für Eckhard Schumacher steht die Frage im Raum, ob sich der Hipster, der sich paradoxerweise an der Vergangenheit bedient, um maximale Gegenwärtigkeit herzustellen, überhaupt in der Gegenwart fixieren lässt. "Sehr viel hängt (…) daran, dass man nicht bei dem einen Dreh stehen bleibt, Unterhemd, Vollbart, Ironie, Nostalgie, und es sich dann sozusagen im White Trash gemütlich macht, sondern in der Lage ist, im Zweifelsfall (oder auch schon eher) weiterzudrehen, weiter zu resignifizieren, gegebenenfalls ohne Rücksicht auf den letzten Stand der Dinge." So bezeichnet Schumacher unter anderem Prince als Pionier des Resignifyin'.
Ähnlich diskursiv geht Jens-Christian Rabe von der Süddeutschen Zeitung mit dem Hipster-Bashing aus New York zu Werke. Wo Mark Greif den Hipster "als Mittelsmann zwischen der Straße und den Marketing-Abteilungen der Konsumgüterindustrie" entwirft, dekonstruiert Rabe den Mythos, der Hipster der 1940/50er sei per se authentisch gewesen. Er zeigt auf, dass der damalige Typus dem Vorwurf von Oberflächlichkeit, Hedonismus und Infantilität ganz genauso wie heute ausgesetzt war.
Das Internet: Synchronizität von Zukunft und Gegenwart
Anschließend beleuchtet Rabe die Ambivalenz, mit der der Mainstream dem Hipster begegnet: Einerseits scheint er ihn für seine Gegenwartsorientiertheit zu verachten, andererseits komme mittlerweile kaum ein kulturbezogener Artikel mehr ohne den Rückgriff auf den Hipster zur Verortung aus. Ob Plattenkritik, Restaurantguide oder Modezeitschrift: Der Hipster personifiziert all das, was im urbanen Kontext angesagt ist – und ist damit quasi als Wegmarke unverzichtbar geworden.
Rabe beschreibt hiernach treffend, wie wir uns durch die digitale Revolution und die einhergehende Verfügbarwerdung aller Güter vom Käufer zum User gewandelt haben. "Vom User jedoch, jenem nervösen Streuner auf der Suche nach dem nächsten digitalen Reiz, zu dem uns das Netz alle gemacht hat, ist der Weg zum Hipster sehr kurz. (…) Mit Seiten wie Twitter oder Facebook, mit deren Hilfe man sich im Sekundentakt mit den laufenden Ereignissen synchronisieren kann, ist die Gegenwart heute für Millionen Nutzer so nah an die Zukunft gerückt wie noch nie zuvor." Schlussendlich sei der allgegenwärtige Hass auf den Hipster entscheidend auch ein Selbsthass auf das eigene Gefangensein im Immerzu-Uptodate-Sein-Müssens.
Der Hipster in dir
Eine allseits befriedigende Antwort auf die Bedeutung dieser Subkultur können letztlich weder Buch noch Podiumsdiskussion geben. Zweifellos greift jede Monokausalität in der Definitionsfrage zu kurz, weil der Hipster immer nur partiell greifbar bleibt: Für die einen ist er vor allem an homogenen äußerlichen, oft modischen Attributen zu erfassen, für die nächsten an seiner sozialer Herkunft bzw. seinem Wert im neoliberalen Wandel der kapitalistischen Städte, und für wieder andere steht Hipstertum positiv synonym für einen kulturellen Avantgardismus (alternativ: einen Adaptionskünstler).
In dessen Gefolge trägt früher oder später vermutlich immer auch der Mainstream Merkmale des Hipster-Kanons an sich – sei es nun die Nutzung der Instagram-App, der Besuch von Vintage-Flohmärkten oder die Vorliebe für 'animalischen Primitivismus', wie er bei Bands wie Animal Collective, Grizzly Bear oder Fleet Foxes und Filmen wie "Into The Wild" oder jüngst Hans Weingartners Kinodrama "Die Summe meiner einzelnen Teile" zum Ausdruck kommt.
Von Mark Greif sind im Suhrkamp Verlag auch "Occupy!: Die ersten Wochen in New York. Eine Dokumentation", "Bluescreen: Essays" sowie "Rappen Lernen" erschienen.
46 Kommentare
1. Kennen bestimmt 95% der "Hipster" Thelonius Monk nicht.
2. 4% Prozent der restlichen 5% die Thelonius Monk kennen, hören ihn nicht, da sie entweder kein Jazz mögen, oder er ihnen zu wenig "folk" oder electro war.
3. 1% Prozent der Hipster kennen und hören Thelonius Monk, besitzen aber weniger als 1% seiner musikalischen Genialität.
Über jede Krankheit muss ein buch geschrieben werden.
@keine ahnung
kann man hier wirklich von "subkutur" sprechen? dafür sind mir die "grenzen" und attribute des hipster-daseins zu verschwommen.
ein hipster schmunzelt über den anderen.
The original Hipster:
http://hipsterhitler.com/
Ansonsten freu ich mich schon auf den Berlin-Mitte-Jute-Beutel auf dem steht: "Ich töte Hipster".
Die wurden früher von den Größeren immer gehänselt.