laut.de-Kritik
Der verzweifelte Versuch, zu Architektur zu tanzen.
Review von Philipp Kause"Kommst du zu unseren Konzerten?", fragt Sänger, Bassist und Texter Andy McCluskey im Interview. Der nette Pionier des Synthiepop spricht nicht nur gerne über das neue OMD-Album "Bauhaus Staircase", sondern auch über die ruhmreiche Vergangenheit. Dabei hieß es vonseiten des Labels noch, man möge sich auf Fragen zum neuen Album konzentrieren - nein, nicht des Labels, sondern des Digital-Vertriebs. Die einstige Cash Cow diverser Label-Big-Player publiziert heute nämlich ohne Label, White Noise heißt einfach die Firma von McCluskey selbst. Ein passender Name, denn der neue Song "Evolution Of Species" wirft genau das in den Raum, weißes Rauschen. Die Grundfarbe des Albums ist jedoch textlich düster.
"Sind wir realistisch, mehr als 30.000 Exemplare werden wir nicht verkaufen", unkt der Orchestral Manouevres In The Dark-Sänger über "Bauhaus Staircase", schließlich hat Synthpop an physischen Tonträger-Umsätzen kaum noch einen nennenswerten Anteil, und Themenfelder wie Architektur ("Bauhaus Staircase") und Menschheitsgeschichte ("Evolution Of Species", "Anthropocene") dürften in diesen sowieso schon krisenhaften Zeiten selbst den Native Speakers im Brexit-UK zu schwere Kost sein. Leider haben wir es hier obendrein mit einem der schwächsten OMD-Alben seit 1978 zu tun. Gerade mal "Anthropocene" markiert einen der wenigen Haltepunkte im musikalischen Einerlei. Das einminütige Instrumental-Intro baut Spannung im Stile von Yello auf. Dann wirft McCluskey Zahlen in den Raum: Fünf Millionen Menschen lebten vor 10.000 Jahren, hundert Millionen vor 1000 Jahren. Peitschende Beats stören jäh die Lieblichkeit des weichen Space-Intros.
Die Manouevres setzen im Sound auf einen Kunstgriff der 80s: Spoken Word auf beschleunigten Beats mit Science Fiction-Feeling. Das Lied bounct wie ein Raumschiff durch die Menschheitsgeschichte und ergründet den Einfluss der Holz, Kohle und Öl verfeuernden Fleischfresser:innen, die Ökosysteme zerstören. "Crushing all diversity!": Computerstimmen kommentieren das Grauen in ironischer Freundlichkeit, weil Andy sie mit K.I.-Software generierte. Er selbst sprach alles ein, klingt aber manchmal wie eine Frau beim Säuseln eines Warteschleifen-Textes. Teilweise zerbröselt es die K.I.-Voices, doch in kurzweiligen sechs Minuten wird mehr als klar, was sie sagen wollen: Der Mensch hinterlässt einen unvorstellbaren Fußabdruck.
Andere Nummern kommen leider über Schlager-Niveau kaum hinaus: "Look At You Now" knüpft ans bewährte Rezept des Schunklers "Seven Seas Of Love" an. "G.E.M." beerbt eine ganze Garde von 80er-Acts mit einem Sequencer, der penetranter als Odysseus' Sirenen die Route lotst, bei Human League, Thomas Dolby und vielen weiteren sattsam gehört und schon auf OMDs "Crush"-Album (1985) extensiv ausgewalzt, verziert mit einem Metronom-Beat Marke Trio. Mit Weltschmerz-getränktem New Wave-Gesang bewegt sich auch "Aphrodite's Favourite Child" ganz nah an Talk Talk. Das meditative, flächig gespielte "Veruschka" behandelt den Traum vom ewig lebenden, fliegenden Menschen, und das stringente, mitunter hart knackende "Kleptocracy" versickernde Geldflüsse in den Sphären der Mächtigen (siehe Cum-Ex und Maut).
Ungern habe man sich wiederholen wollen und deshalb lieber Neues probiert, heißt es aus dem Hause OMD. Innovativ ist hier aber das wenigste. Vor allem fehlen ausgemachte Hit-Hooks. Während die Vorab-Singles vor allem Humpftata sind, setzt sich bei "Evolution Of Species" zum Glück noch Kraftwerk-Experimentierfreude durch. Humphreys und McCluskey dekonstruieren ihre Harmonien mit warnenden Robot-Vocals, die 'Extinction Rebellion' und 'Letzte Generation' aufgreifen.
OMD haben sich offenbar viele Gedanken über den kranken Planeten gemacht. Dabei kommen sie klanglich bei den identischen Mustern heraus, mit denen sie vor vier Jahrzehnten die Angst vor nuklearer Aufrüstung vertonten. Bleibt der Trost, dass sie auf Tour Anfang 2024 genau fünf Tracks aus "Bauhaus Staircase" auswählen und mit Klassikern umrahmen. Denn ehrlich: Eine Handvoll neue Tunes reichen, das Gesamtwerk hat dagegen so viel Aufregendes zu bieten.
5 Kommentare mit 2 Antworten
Leider braucht den Sound von OMD heut zu Tage keiner mehr, außer vielleicht OMD selbst. Olle Kamellen die Soundtechnisch nix neues bieten. Für Menschen die gerne in der Vergangenheit abhängen, ansonsten sind die alten Werke wirklich um einiges besser, oder waren es zumindest.
Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.
Anthropocene und Yello? Null Verbindung m.E.!
Schunkler „Seven Seas of Love“? Auf welchem OMD-Album soll der sein?
Der Schunkler heißt natürlich "Sailing on the Seven Seas". Könnte man wissen als Musikjournalist der ein neues OMD Album bespricht.
Stark! 5/5
Ich tue mich schwer mit der Kritik von laut.de, wenn ich mir OMD kaufe erwarte ich OMD, und genau das bekomme ich hier geboten nicht mehr und nicht weniger. Ich bin leider oder vielleicht zum glück, ich weis es nicht, in den 80zigern stehen geblieben und freue mich wenn die zunft der 80iger wieder was neues raus bringen und es sich genau danach anhört, nämlich nach 80iger!