laut.de-Kritik
Alltägliches zwischen Hirnteilchen im Auto und Fußmassagen.
Review von Josef Gasteiger"I love you, Pumpkin, I love you, Honey Bunny. Everybody be cool this is a robbery! Any of you fuckin' pricks move and I'll execute every-motherfucking-last one of you!"
Quentin Tarantino hat eigentlich ziemlich einen an der Klatsche. Und das meine ich nur in der positivsten, verehrenswertesten Art und Weise, zählt er doch mit seinen Werken seit mittlerweile zweieinhalb Dekaden zu den einflussreichsten Filmemachern der großen Leinwand.
Fester Bestandteil seiner zum Kult- und Kulturschatz aufgestiegenen Filme: die Soundtracks. Egal, ob Michael Madsen in der verlassenen Lagerhalle in "Reservoir Dogs" zum luftigen "Stuck In The Middle With You" am Ohr herum schnippelt oder Jamie Fox zu einem ordentlich bouncenden Mashup aus 2Pac und James Brown ein Südstaatenhaus in "Django: Unchained" zerballert – die Szenen, über die man spricht, wenn man aus dem Kino kommt, sind unausweichlich mit Musik verbunden. Und natürlich mit ausführlicher Gewaltdarstellung, meisterhaft alltäglichen Dialogen, die längst zu T-Shirt-Sprüchen graduierten und einer unchronologische Erzählweise. Tarantino halt.
Aber hier spielt ja Musik. Meist von den privaten Vinyl-Platten des Regisseurs gerippt, sind Tarantino-Soundtracks quasi Einblicke in des Meisters Plattensammlung, versetzt mit den Kultdialogen zum immer wieder anhören. Unantastbar auf Platz Eins dieser Erlebnisse: Der Soundtrack zu "Pulp Fiction".
Über den Film muss man nichts mehr sagen. Hunderte, tausende Zeilen stehen in den Geschichtsbüchern über den ironisch-schwarzen Humor interpoliert mit Gewalt, die Tribalisierung des Alltäglichen inmitten von Heldengeschichten und den absolut unanfechtbaren, meterdicken Deckmantel der Coolness.
Über den Soundtrack dafür umso mehr, vor allem über seinen Platz in der Popkultur-Historie. Ohne den Pulp Fiction Soundtrack wüssten Generationen von Menschen nicht, was Surf Music ist. Hätten keine Ahnung, dass es eine Band namens Urge Overkill mit dem wohl besten Neil Diamond-Cover aller Zeiten gibt. Und hielten Dusty Springfield wohl nur für einen Charakter aus den Simpsons.
Der Reihe nach: Als ewiger Fan der Spaghetti-Western fand Tarantino in der Gitarren- und beatgetriebenen instrumentalen Surf-Musik der Sechziger mit zentnerschweren Hall und Wellenrauschen seine "Rock'n'Roll-Version von Western-Scores" und damit sein zentrales Fundament für seine Gangster-Episoden.
Dick Dales Version von "Misirlou", dessen Kernmelodie auf ein mediterranes Folkstück zurückgeht, bläst gleich nach dem ersten Versatzstück eines typischen Tarantino-Dialogs mit der ersten Surf-Kostprobe die Türen auf und dreht ordentlich am Adrenalin-Regler. Wie ein aufgebrachter Bienenschwarm läuft Dicks Gitarre das Griffbrett rauf und runter, tausendfach treibender als die Verramschung dieses Samples durch die Black Eyed Peas 15 Jahre später mit "Pump It". Uh.
Weiter gesurft wird auf dem Soundtrack auf "Bustin' Surfboards" (inkl. echtem Wellenrauschen, während im Film die Frau von Vincents Drogendealer ihre Piercings zählt und erklärt), "Bullwinkle Part II" (passend wabbelige Untermalung von Vincents Heroin-Konsum), "Comanche" (die legendäre Gimp-Szene) und "Surf Rider" über die End Credits. Alles Nummern, deren Namen und Interpreten vielleicht in Vergessenheit geraten sind, ihre rumpelnde Atmosphäre jedoch unvergleichlich passt wie die Faust aufs Auge. Die Vorstellung, dass die Charaktere tatsächlich diese Sounds während der Szene im Transistorradio aufdrehen und ihrem alltäglichen Gangsterleben zwischen Hirnteilchen im Auto und unangebrachten Fußmassagen nachgehen, wirkt quasi selbstverständlich.
Zwischen die Surfstücke schlängelt Quentin auch noch einen großen Batzen 60er- und 70er-Soul, der mit seinen Harmonien und seinem Feelgood-Vibe meist das skurrile Leinwand-Geschehen konterkariert. Der funkige "Jungle Boogie" von Kool & the Gang läuft, während zwei bewaffnete Auftragskiller sich über europäische Fast Food-Eigenheiten unterhalten. Einer der schönsten Lovesongs, die das Soulgenre zu bieten hat, untermalt die Planung eines abgekarteten Boxkampfs, an dessen Ende die beiden Protagonisten wohl nur eines nicht wollen: "Let’s Stay Together" (Al Green).
Und dann kam Dusty mit "Son Of A Preacher Man", die aufgrund der Verwendung des Liedes im Film einen zweiten Frühling erlebte. Nach eigenen Aussagen hatte Tarantino den Hit aus dem Jahr 1968 schon im Kopf, als er sich die Szene ausdachte: Das erste Aufeinandertreffen von Mia Wallace und Vincent Vega im Film, beide alles andere als Chorkinder. Unschuld trifft Sünde, ein geplant langweiliger Abend endet beinahe fatal. Und Teufel eins, wenn der Song nicht auch im Jahr 2015 nichts an seiner Pop-Perfektion eingebüßt hat. Gern geschehen, der Ohrwurm.
Böse Zungen behaupten, dass einer der Erfolgsfaktoren von Pulp Fiction ein tanzender John Travolta war, Jahre nach seinen Parketteinlagen in "Grease" und "Saturday Night Fever". Zu Chuck Berrys famosem "You Never Can Tell" erlaubte ihm Tarantino hier ein glorreiches Tanz-Comeback im Rampenlicht. Und zum Duck Walk Chuck packt Travolta auch flugs sein ganzes Repertoire an klassischen Moves aus. Denn egal ob Surf Music, Soul, Funk, Pop oder geschmeidiger Rock'n'Roll – im Pulp Fiction-Mixtape schwingt das Tanzbein ordentlich mit.
Beim Stichwort "Tanz" darf natürlich eine nicht fehlen: Uma Thurman, die zu Urge Overkills Neil Diamond-Cover "Girl, You'll Be A Woman Soon" zuerst mit ihrem Wohnzimmertanz ganze Heerscharen von Zuschauern verzaubert, nur um nachher den Songtitel zu wörtlich nimmt und quasi unabsichtlich eine Heroin-Überdosis erleidet. Als frischeste Band auf dem Album waren die Chicagoer Alternativ-Rocker von Urge Overkill – gegründet 1985 – wohl der größte No Name. Die starke Coverversion musste allerdings von Neil Diamond selbst freigegeben werden. Sechs Durchläufe bräuchte Diamond der Legende nach, bis er verstand, was sich da auf der Leinwand abspielt. Danach war er aber begeistert – und die Jungs von Urge Overkill hatten einen Hit.
Dazu gesellen sich noch Haudegen wie Ricky Nelson, The Statler Brothers und Maria McKee, die allesamt das Folk/Bluegrass/Singer&Songwriter-Fach bedienen und so auch Licht in Quentins Sammlung werfen. Besonders Maria McKees "If Love Is A Red Dress (Hang Me In Rags)" präsentiert ein beeindruckendes Stück Gänsehaut erzeugender Gesangspower, das gut und gerne einen prominenteren Platz hätte einnehmen dürfen. Aber wie gesagt, ganz lupenrein ist QT ja schon lange nicht mehr.
Tarantino hob mit dem Pulp Fiction-Soundtrack vergessene Hits sowie alte und neue Schätze aus der Versenkung und bewies ein perfektes Händchen dafür, diese Perlen trotz aller Unterschiede auf einem Soundtrack zusammen zu führen. So verschmelzen die Songs untrennbar mit ihren dazugehörigen Szenen und vice versa. Was den Pulp Fiction-Soundtrack jedoch vom Rest der OSTs abhebt, ist die Funktionalität losgelöst von visuellen Reizen aller Art. Einfach Platte rein, Tanzschuhe an, und zwischendurch legendäre Dialogzeilen der Filmgeschichte schmettern. Es klappt selbst heute noch wunderbar.
Also noch einmal, mit Feeling: "Ezekiel 25:17."The path of the righteous man is beset on all sides by the iniquities of the selfish and the tyranny of evil men / Blessed is he who, in the name of charity and good will, shepherds the weak through the valley of darkness, for he is truly his brother's keeper and the finder of lost children. / And I will strike down upon thee with great vengeance and furious anger those who attempt to poison and destroy my brothers. And you will know my name is the Lord when I lay my vengeance upon thee."
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
9 Kommentare mit 4 Antworten
Geiler Soundtrack, tolle Review. Danke!
cheers!
Vor zwei Wochen erst als Vinyl gekauft. Großartiger Soundtrack!
zum weiterhören: http://laut.fm/surf
Definitiv verdient! Kann bis heute nicht sagen, ist jetzt der Film besser oder der Soundtrack. Bei Jackie Brown hält es sich die Waage. Und ja - auch der Soundtrack von Jackie Brown hätte einen Stern verdient. Warten wir mal ab, was noch kommt. :-}
Hö? Nur einen Stern für Jackie Brown?
Achso, oder meintest du einen Stein? Hab grad irgendwie ein Brett vorm Kopf...
* schwelg*
Toller soundtrack. Aber der trainspotting soundtrack ist meine Nummer eins.