laut.de-Kritik
Wie aus einem Beatle ein Stadionrocker wurde.
Review von Giuliano BenassiDie Frau eines Ex-Beatle zu sein, ist nicht einfach. Über 40 Jahre nach dem Ende der Band gilt John Lennons Gattin Yoko Ono immer noch als die Hexe, die das Ende der legendären Combo herbeiführte. Heather Mills, Paul McCartneys zweite, war sicherlich nicht ganz unschuldig an der Schlammschlacht, die 2008 vor der Scheidung des Paares stattfand. Die Art und Weise, wie sich die Schundpresse auf sie stürzte, überraschte dann doch.
Linda Eastmann, McCartneys erste Frau, 1998 an Brustkrebs gestorben, hatte es auch nicht leicht, galt sie erst fälschlicherweise als Millionenerbin, dann, in Bezug auf ihre stimmlichen Qualitäten, als der "Hund von Wings". Dabei war die Band ein gemeinsames Projekt. Klar, dass Paul das größere Talent besaß und wahrscheinlich die meisten der "gemeinsamen" Lieder geschrieben hat. Doch nachdem seine ersten zwei Soloplatten mehr oder weniger durchgefallen waren, richtete er sich mit Wings wieder auf. Und Linda spielte dabei eine wichtige Rolle.
1976, auf dem Höhepunkt ihrer Popularität, tourten Wings um die Welt und spielten alleine in den USA und Kanada vor mehr als 600.000 Zuschauern. Paul McCartney hatte sich zum begnadeten Entertainer gemausert. Und Frieden mit seiner Vergangenheit geschlossen.
Ganz anders als die Beatles, deren lächerliche Ausstattung keine Chance gegen kreischende Teenager-Massen hatte, stand Wings stadiontaugliches Equipment zur Verfügung. Und viel mehr Zeit. Dieser Livemitschnitt umfasste ursprünglich drei Vinyl-Scheiben. Erstaunlich aus heutiger Sicht ist, dass nur wenige Beatles-Stücke zu hören sind. Aus damaliger Sicht war es sensationell, dass überhaupt welche zum Zuge kamen, denn McCartney hatte sich bis dahin geweigert, seine Bandvergangenheit auf der Bühne zum Thema zu machen.
Gelungen, damals wie heute, ist der Aufbau des Konzerts. Mit einem zehnminütigen Medley als Intro heizen Wings dem Publikum ordentlich ein. McCartneys Stimme klingt weniger angestrengt als auf seinen späteren Liveplatten, mit Denny Laine und Jimmy McCulloch standen ihm zwei Multi-Instrumentalisten zur Seite, die bei Bedarf Gitarre, Bass oder Klavier spielten und dazu noch den Gesang beisteuern konnten, in mehreren Stücken auch in der Leadrolle. Schlagzeuger Jimmy English und vier Bläser sorgten für den notwendigen Druck.
Und Linda McCartney, nun ja, bediente die Keyboards und sang. So weit im Hintergrund, dass sie kaum wahrzunehmen ist. Am ehestem hört man sie in den langsamen Stücken, ohne dass sie negativ auffallen würde. Wobei Overdubs in den 70er Jahren zur Tagesordnung gehörten und auch hier zum Einsatz kamen, wie Schlagzeuger English später zugab, "weil Leute falsch gesungen hatten".
McCartneys Fähigkeit, Hits aus dem Ärmel zu schütteln, ist legendär. Selbst nach dem Ende der Beatles. Allen voran den Bond-Song "Live And Let Die", aber auch "Maybe I'm Amazed", das eigentlich aus seinem ersten Soloalbum von 1970 stammt, aber erst in der Version aus diesem Album zum Evergreen avancierte.
In Erinnerungen schwelgen lässt besonders der zweite Teil der ersten CD, auf der so etwas wie eine Proto-Unplugged-Session stattfindet. Mit dabei die Beatles-Stücke "I've Just Seen A Face", "Blackbird" und, als Überraschung, eine der schwächsten Kompositionen Simon & Garfunkels , "Richard Cory".
Darin geht es um einen reichen Mann, der alles hat, und sich doch das Leben nimmt. Erzählt aus Sicht eines ausgebeuteten Angestellten. Den Refrain "I wish I could be Richard Cory" münzt Denny Laine am Mikro an einer Stelle in "John Denver" um und hat die Lacher auf seiner Seite. Höhepunkt ist natürlich der Überhit "Yesterday". Zwar in einer Kurzfassung, doch der ekstatische Schrei des Publikums, als es das Stück erkennt, zeugt von einem Augenblick absoluten Glücks.
Dass die zweite CD das Niveau nicht halten kann, erstaunt nicht. "My Love", "Listen to What the Man Said", "Let 'Em In" und "Silly Love Songs" waren große Hits, "Band On The Run" ist wahrscheinlich das beste Stück, das McCartney nach den Beatles geschrieben hat. Doch driftet er in allzu seichte Gefilde ab und erinnert zu stark an Elton John. Das ist nicht weiter tragisch und schmälert nicht die Qualität einer Liveplatte, die nach der Veröffentlichung Platz 1 in den US-Charts erreichte und vor Spiellaune nur so strotzt.
Nun, da McCartney die symbolischen 64 überschritten hat, bastelt er an seinem eigenen Monument, indem er seine alte Platten aufpoliert und noch einmal auf den Markt bringt. In den letzten 25 Jahren hat er mehrere gelungene Livealben herausgebracht. Doch während sie ab "Trippin' The Live Fantastic" (1990) in erster Linie Nostalgie-Darbietungen waren, liefert "Wings Over America" den Beweis, dass er auch jenseits der Beatles eine musikalische Daseinsberechtigung hat.
Auch dank seiner Frau Linda, der er diese Remastered-Ausgabe neben dem 1979 an einer Heroin-Überdosis gestorbenen Jimmy McCulloch widmet.
17 Kommentare
Aus der Post-Beatles-Zeit kenne ich nicht einen einzigen wirklich tollen Track von McCartney. Abgesehen von Ringo Starr hat er in dieser Zeit das langweiligste Werk aller ehemaligen Beatles vorzuweisen. Und auch zu Beatles-Zeiten hat er für die meisten Durchhänger auf einer Platte gesorgt. Klingt vielleicht jetzt arg fies von mir, aber ich schätze McCartney durchaus. Im Vergleich zu den anderen Beatles verblasst er allerdings etwas.
McCartney ist halt ein nettes "Landei".
Immer freundlich, höflich, ein netter Gentleman. Er war kein expressiver Weltverbesserer wie Lennon und kein spiritueller, in sich gekehrter Harrison.
Sein Post-Beatles-Werk ist sehr durchschnittlich, es finden sich aber trotzdem manche Perlen, wie etwa "maybe I'm amazed".
die fireman sachen, die er mit killing jokes "youth" gemacht hat, sind teilweise sehr gut....ansonsten gebe ich dir recht....die dame ono steckt ihn künstlerisch 10 mal in den sack und ist auch die deutlich interessantere personlichkeit....walking on thin ice....@Ragism (« Aus der Post-Beatles-Zeit kenne ich nicht einen einzigen wirklich tollen Track von McCartney. Abgesehen von Ringo Starr hat er in dieser Zeit das langweiligste Werk aller ehemaligen Beatles vorzuweisen. Und auch zu Beatles-Zeiten hat er für die meisten Durchhänger auf einer Platte gesorgt. Klingt vielleicht jetzt arg fies von mir, aber ich schätze McCartney durchaus. Im Vergleich zu den anderen Beatles verblasst er allerdings etwas. »):
Klar, Lennon hat solo auch eine Menge durchwachsener Songs herausgehauen, und seine besten hatte er wohl schon zu Beatles-Zeiten skizziert. Trotzdem begeistern mich Songs wie "God", "Oh Yoko!", "Jealous Guy", "(Just Like) Starting Over" noch sehr viel mehr als wirklich alles, was ich von McCartney noch hören durfte - von "Imagine" mal ganz zu schweigen. Ich finde die Nachricht aber klasse, daß es ne neue Fireman-Platte geben wird!
@Fear_Of_Music (« diskussion erinnert mich irgendwie an das geschreibsel zu einer anderen band-legende, nämlich an Gabriel vs. Collins, nun gut, wer hier künstlerisch gewonnen hatte war ja dann auch schnell ziemlich klar (kommerziell eher ausgeglichen) »):
Collins mochte ich schon während Genesis Zeiten nicht!
hab deswegen auch nur die ersten sieben(?) Alben, die Gabriel mitgestaltet hat.
Ich behaupte einfach mal ganz subjektiv, dass Gabriel mehr aufm Kasten hat, auch künstlerisch
Ram ist beste.