laut.de-Kritik
Lieder von der Flucht aus der Stadt.
Review von Matthias Manthe2006 rief der Unabbildbare - Peter Licht weigert sich beharrlich, auf Promoshots sein Gesicht zu zeigen - den Beginn der postkapitalistischen Gesellschaft aus. Nunmehr operiert er tief im Inneren des Subjekts. Licht forscht nach nichts Geringerem als dem Grundgefühl unserer Gesellschaft.
Dabei hat sich sein Blick auf den status quo rein äußerlich kaum geändert in den letzten zweieinhalb Jahren. Es ist dies die selbstauferlegte Doktrin des Prekariats, zwischen Marktwirtschaft und Privateigentum seinen Platz zu behaupten. Aber die Perspektive hat gewechselt.
Nicht der herbei-immanentisierte Sieg über das System Kapitalismus steht länger oben auf der Agenda, sondern die Sichtbarmachung von Auswegen im Alltag. Wie neulich erst die Wienerin Gustav (wer möchte, inkludiere die gesamte Neo-Hippie-Bewegung von Devendra Banhart bis MGMT) spielt der Kölner mit der Idee der Landflucht. "Räume Räumen", "Heimkehrerlied" und "Landlied" zeugen davon schon im Titel.
Das Lyrische Ich legt "der Infrastruktur die Hände auf" und verneint im selben Atemzug das schlechte Leben: "Lass uns glücklich sein, oder verschwunden sein." Es stellt fest, wie das Diktat der Selbstverwirklichung nach dem Ende des Kalten Kriegs in letzter Konsequenz einen ewigen Kampf bedeutet: "Es gibt keine Feinde mehr – oder war es andersrum?" Es fragt sich die Fragen der Globalisierung: "Ob wir nicht stehengeblieben sind, und die Kugel rollt weg unter uns?"
Bemerkenswert an diesen wachen Beobachtungen ist, dass Licht zu keiner Zeit in reinen Eskapismus abgleitet. Vielmehr funktionieren seine Lieder als Ermutigung zur Befreiung aus einem ideologischen Gefängnis. Dem westlichen Menschen bescheinigt er Heimatlosigkeit und verortet ihn am Ende der Welt, "wir sind Endverbraucher". Und dennoch: Das Individuum hat vielleicht "kein Geld, aber der Traum geht weiter". In "weiter Ferne lauter Licht".
Jedes Lied trägt einen fast altersweisen Optimismus in sich, der die Komplikationen unserer Gegenwart eben nicht wegblendet. Dass der Musiker und Schriftsteller zugleich auch frühere Nonsense-Schinken wie "Fuzzipelz" fast vollkommen aus der Kartei gestrichen und gegen sentimentale Piano-Schönheit eingetauscht hat, macht "Melancholie Und Gesellschaft" mindestens zur Platte der Saison. Seine Worte bewegen. Wir könnten ein Stück mit ihm gehen.
21 Kommentare
Wenn der Text wenigstens ansatzweise auf die Musik eingegangen wäre könnte ich es als Rezension durchgehen lassen. So ist es lediglich ein Essay, schade!
kein fuzzipelz? kauf ich nicht
ich wills haben!
schöner gehts kaum!
Ich liebe das Album.
Wer seine Texte mag, sollte sich auch sein erstes Buch "Wir werden siegen! Buch vom Ende des Kapitalismus" zulegen. Ist meiner Meinung nach noch besser als das zu diesem Album erschienene "Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends".
Aber zur Musik: Habe selten so schöne Melodien auf einem Album gehört. Mein Favourit ist da "Alles was du siehst gehört dir". Grossartig.
In dem Sinne: "Ich geh raus, zieh die Schlappen aus, mach Sockentanz".
@Blitzbügler (« der macht sich, bevor er die texte einsingt, wahrscheinlich nicht mal notizen. »):
lol... ist doch gerade das gute ^^