laut.de-Kritik
Kontrollierter Ausbruch künstlerischen Wahnsinns.
Review von Ulf KubankePhillip Boa macht es weder sich noch seinem Publikum leicht. Der Indiepionier unseres Landes hat mit "Aristocracie" und "Copperfield" Meisterwerke für die Ewigkeit in petto, zudem ein paar veritable Hits ("Container Love", "Love On Sale", "And Then She Kissed Her") und eine Menge internationaler Anerkennung.
Trotzdem wartet man seit zwei Dekaden auf eine Boa-Scheibe, die endlich ausnahmslos alle Stärken des Dortmunders bündelt. Nun ist es soweit: Vorhang auf für den komplettesten Boa, mindestens seit "Boaphenia". "Loyalty" verdient die gleiche Treue, in jeder Sekunde des Hörens. Ein Fest!
Ein Dutzend Lieder für das zwölfte Jahr des Millenniums. All killer, no filler. Dazu ein perfektes, teils neues Team, besetzt mit echten Könnern ihres Fachs: Brian Viglione, der unter anderem schon kräftig zum Gelingen von Nine Inch Nails' "Ghosts" beitrug, scheint dem sensiblen Musiker ein Bruder im Geiste.
Der Ideenreichtum der Arrangements sprudelt ungehemmt wie bei "Kill Your Ideals!" anno 1988. Mangels deutscher Alternativen schnappt sich Boa als Soundhexer und Mixer-Ikone den Postpunkmeister Ian Grimble (Bauhaus, Manic Street Preachers, Siouxsie & The Banshees, The Fall, P.Murphy). Er entwirret Boa-typische Ideen wie keiner zuvor. Wie lässig 'The Ear' Grimble die Farbenpracht des Sounds erhält, gleichwohl ein extrem transparentes Klangbild erzeugt: eine audiophile Meisterleistung, die man weltweit selten trifft. Chapeau.
Obendrein: La Lunda mit gewohnt durchsetzungsfähigen Vocals zwischen niedlich und lasziv terminierend, diesmal jedoch ohne die Görenhaftigkeit früherer Tage. Ladylike kontert die blonde Beauty den kehligen Ungesang des Boa-Biestes: eine wichtige Entwicklung im Klangbild, die den bewusst harschen Kontrast beider Stimmen endlich nahezu perfektioniert. Anspieltipps dazu: das schwelgende "Sunny When It Rains" sowie das romantische "You Are Beautiful And Strange" mit herrlich hymnischer Drillbohrergitarre.
Boas Lyrics pendeln zwischen inspirierten Kryptogrammen und ein paar charmanten, anscheinend bewussten Germanismen. Alles kulminiert dennoch in der ebenso einfachen wie deutlichen Botschaft des Titelliedes: "Don't run away. Show some loyalty." So richtig gelungen klingt ein Boa Album jedoch erst, wenn der künstlerische Wahnsinn kontrolliert ausbricht. "Want" knuffelt sich entsprechend mit einer unwiderstehlich neurotischen "Im Garten Eines Kraken"-Attitüde in die Ohren.
Doch das Beste kommt zum Schluss. "When The Wall Of Voodoo Breaks" ist auf den ersten Blick 'lediglich' schicker Boa-Rock in angenehmer Melodie. Mehr und mehr indes bricht im Verlauf die Gitarre aus diesem schön klingenden Käfig aus und reißt die ganze Mauer of Song ein. Mit einem extrem songdienlichen Solo klingt das 17. Album des Wahl-Maltesen dramaturgisch ebenso perfekt wie unkonventionell aus. Das Warten hat sich gelohnt.
7 Kommentare
Warum nur vier Sterne, wenn es nichts zu kritisieren gibt?
das ist immer d i e frage....klar....hätte man 5 geben können....hätte ich gegeben, wenn noch sowas stranges wie 'pfirsicheisen' (helios) dabei wäre....subjektiver anteil des ganzen.......aber letzten endes ist das doch latte....der text spricht bände....punkte sind doch eh nur ein bescheidenes hilfsmittel bei der beschreibung von kunst. wir sind hier ja nicht in der schule...auf alle fälle eine meiner platten des jahres
Der Text spricht allerdings Bände, was auch der Grund für meine Frage war. Aber wie du sagst Punkte sind Schall und Rauch. Werde auf jeden Fall dank deiner Eloge mal reinhören. Meine einzige Boa-CD ist Boaphenia, mit der er mich aus dem Mainstream in die Indie-Ecke ziehen könnte - oder war es der Anblick seiner (damaligen?) Lebensgefährtin/Sängerin?
Habe vorher, auch wenn ich selbst nicht sagen könnte, woran das lag, leider nie den Zugang zu Boa gefunden wie viele andere und wusste daher auch gar nicht, dass ein neues Album kommt. Herrn Kubankes Rezension hat mich dann aber doch dazu verleitet, Boa noch eine Chance zu geben und es hat sich definitiv gelohnt: Großartiges Album, auch wenn für mich "Til the Day We Are Both Forgotten" den Höhepunkt bildet.
Ich habe mir jetzt die Deluxe Edition mit drei Bonus-Songs bestellt und bin schon sehr gespannt. Die Review steigert auf jeden Fall schon mal die Vorfreude. "Diamonds Fall" hat mir sehr gut gefallen, für mich der kompletteste Boa war aber bisher der auf "My Private War". Für "Diamonds" würde ich 4, für "War" 5 Sterne vergeben. Mal hören, wo sich "Loyalty" da einreiht.
Enttäuscht worden bin ich bisher jedenfalls noch nie von Boa. Selbst auf den Alben, wo er nicht das gebracht hat, was ich vielleicht gern gehabt hätte, war er doch immer interessant, fordernd und anregend. Auf jeden Fall nie beliebig oder langweilig - wie sonst das Meiste aus Deutschland.
man hat ja immer eine meinung mehr am tisch als personen, wenn es um boa geht....interview ist raus