laut.de-Kritik

Falco weint im Grab.

Review von

RAF Camora bleibt ein Aushängeschild von Deutschrap und gehört ohne Zweifel zu den prägenden Figuren des letzten Jahrzehnts. Mit "Palmen Aus Plastik" und Bonez MC katapultierte er Dancehall, Straßenrap und Afrobeats in den Mainstream. Doch was einst vielleicht einmal visionär klang, wirkt 2025 wie eine Endlosschleife: Hochglanzproduktionen, inhaltsleere Texte, Autotune-Matsch. "Forever" will an alte Größe anknüpfen, liefert aber nur Routine. Statt frischer Vision gibts Monotonie, Belanglos-Inhalt mit immer denselben Themen zwischen Reichtum, Rastlosigkeit und Selbstinszenierung sowie das routinierte Wiederholen der eigenen Erfolgsformel – mit abnehmender Strahlkraft. Wer die urbane Pop-Ästhetik von RAF Camora mag, wird mit "Forever" seinen Spaß haben. Für mich ist das Album aber eher Straßenrap-Klischee und ein Symbol dafür, was im deutschsprachigen Rap alles schiefläuft.

Los gehts noch stabil mit "Eden": epischer Aufbau, inhaltlich halbwegs kohärent – einer der besseren Momente des Albums. "Rossi" legt mit treibendem Beat nach, ironisch-lustige Lines inklusive. Tanzbar und mit Dancehall-/Afrobeats-Vibes zum Hüftekreisen, ja, aber textlich so lose zusammengewürfelt, dass es kaum über Instagram-Caption-Niveau hinauskommt. Zeilen wie "Lege mein Geld an wie Zlatan", was sich wohl auf Fußballer Zlatan Ibrahimovic bezieht, hinterlassen mehr Fragen, als sie Antworten geben. Ibrahimovic investiert sein Geld nämlich unter anderem in den Fußballclub AC Mailand, und mit Fußball hat RAF Camora nicht sonderlich viel zu tun. Was solls, Hauptsache einen bekannten Namen erwähnt, oder?

"Connected" mit Reezy eröffnet vollends den Abwärtsstrudel. Eine Drogen-Hymne auf durchgaloppierendem Standardbeat ohne Varianz. Reezy bringt wenigstens etwas Flow rein. Inhaltlich werden streckenweise einfach unterschiedliche Substanzen aufgezählt, während eine Autotune-verzogene weibliche Stimme zwischendrin "Tell me how you like it" raunt. "Gib mir deine Power bis zur Afterhour", murmelt RAF Camora mit Autotune-verzerrter Stimme mehr, als er rappt. Vielleicht ist eine Afterhour genau der Ort, bei dem der inhaltsleere, ins Mikrofon gestammelte Rap überhaupt noch ankommt. Dann, wenn nach drei Tagen wach auf starken Amphetaminen die Gehirnzellen so malträtiert wurden, dass RAF Camoras niedrigschwelliger Textinhalt der einzig noch zu verarbeitende äußere Reiz ist. Mir jedenfalls gibt der Song in nüchternem Zustand definitiv keine Power, sondern entzieht mir eher Lebensenergie.

Auch "Bottega" bleibt symptomatisch: Beat stabil (unaufdringlich, aber eingängig), Rap unverständlich verzerrt, inhaltlich mit Markenreferenzen so aussagekräftig wie die Maoam-Werbung: "Sie will keinen Mann, sie will die Welt / Bottega voller Scheine wie Tokio / Männer spielt sie wie auf 'ner Nintendo / Für sie alle Steine wie Domino / Viele schwere Jungs in ihrem Netz / Damit steht sie über dem Gesetz (ah) / V.I.P., nur wenn sie dich lässt, ey." RAF Camora klingt so lethargisch, als würde er etwas zu bekifft fünf Meter entfernt vom Mikro auf der Couch lümmeln. "Squadra" zieht zwar das Tempo hoch und pumpt mit Techno-Drops, doch selbst wenn der Beat zieht, stolpert er über seine Autotune-Lastigkeit und unpräzise Texte. Wenigstens blitzt kurz Gesellschaftskritik auf: "Und glaub' denen nix wie Politik". Tiefgründiger wirds auch fast nicht mehr.

Gerade in der Mitte von "Jupiter", wenn sich Apache 207s und RAF Camoras leicht gesungene Parts abwechseln, zeigt der Feature-Song gnadenlos, wo mehr Talent schlummert: Das eine klingt nach Musik, das andere grenzt an Arbeitsverweigerung. Kein Wunder, dass RAFs größte Erfolge meist Features waren. Inhaltlich ist der Track übrigens kein sonderlicher Hochgenuss: "Schnapp, schnapp, schnapp / Komme mit Apache, mache ein Duell / Warum so frech? Du bist mein Double / Bruder, um dich zu (ah), brauch ich kein'n Duden, ah." Vielleicht hätte ein Duden bei der Albumproduktion für etwas mehr Sprachvarianz sowie Kohärenz zwischen einzelnen Sätzen jedoch nicht geschadet.

Gleiches bei "Ocean" mit Ufo361: Beat und Hook bieten beim halb deutschen, halb englischen Song etwas Abwechslung, Ufo zeigt, dass auch er RAF Camoras Autotune-Tristesse problemlos kopieren kann: ein belangloser Modus-Mio-Klon. Textlich bleibts bei Urlaub, Chicas und Verkehrsmitteln: "Steig' auf die Yacht / Fahr'n durchs Meer wie 'ne U-Bahn / Viel Tapas auf ein Tablett (Tablett) / Sortiment für die Sheytanas / Woll'n mit mir ein Quartett (Quartett) / Dessous unter den Pyjamas / Hajar im Bett, bin open / Trink' Magic Potion / Mit Blick auf Ocean."

Selten kriegt RAF Camora die Kurve. "Cut" hat einen melancholischen Vibe und ist inhaltlich einer der stärkeren Tracks des Albums. Es geht zwar nur darum, im Leben einen Cut zu machen, was für ihn offensichtlich hauptsächlich einen Umzug in eine andere Stadt bedeutet, oder einen nicer Dubai-Urlaub, aber er beschäftigt sich zumindest kohärent mit einem Thema. "Jubiläum" sticht positiv heraus: verständlicher Rap ohne Autotune, guter Flow, mit Storytelling und Kopfnicker-Beat – plötzlich erinnert man sich daran, dass RAF Camora mal wirklich was konnte. Auch "Anthrazit Forever" klingt vom Flow zumindest so, als hätte er den Song im Stehen aufgenommen. Man muss zuerst durch ein bis zur Unverständlichkeit vernuscheltes, lustloses Intro, um dann aber wenigstens einen Text zu bekommen, der um mehr geht als nur Frauen und Drogen und Luxusobjekte: "War nie mein Ziel, mal ihr Star zu sein / Der Himmel ist dark, seh Sterne noch heller / Doch irgendwann ist selbst das vorbei."

Doch diese Lichtblicke bleiben rar. Stattdessen herrscht viel Schablone: "Kein Drama" und "Sawasdee Kap" klingen wie klassische Shisha-Bar-Song, die auf dem Album einfach mitlaufen. "Wow" (feast. Bausa) reiht sich mit hohlen Autotune-Phrasen in die Belanglos-Riege ein – irgendwie geht es immer um Frauen und Autos. "Muss Nicht Mehr Scheinen" ist technisch solide, mit eingängigem Refrain, der Stil muss einem halt gefallen. Ebenfalls kein Highlight, aber immerhin auch ein Song, der nicht komplett zerfällt. Gut, dass RAF Camora nicht mehr scheinen muss, er tut es nämlich auch offensichtlich nicht mehr.

Der abschließende Bonus-Track "Out Of The Dark" ist dann eine wirklich unsägliche Falco-Neuinterpretation, die mich als leidenschaftlichen Falco-Fan persönlich beleidigt. Der Original-Refrain wird ohne den ursprünglichen Kontext entstellt und mit einem Pop-Beat verwässert. Das ist keine Hommage, eher eine Schändung. Falco würde sich im Grab umdrehen, wenn er in einem Track mit seiner Stimme solch fast krude Lines hört wie: "Frequenz, Cybertruck, Mann / Kein Benz, rauch' Ketama / Bewaffnet und sehr intelligent / Keiner fickt mit Vienna / Probier, wenn du willst / Hol mir Mila Kunis / Out of the dark, out of the dark / Bruder, bin dort, wo du nicht bist (ahh)."

Unterm Strich bietet "Forever" zu viele Wegwerf-Tracks und zu wenige Highlights. "Eden", "Jubiläum", ein paar Beat-Ideen: Das wars. Innovation? Fehlanzeige. Das altbekannte Problem bleibt: RAF Camora wiederholt seine Erfolgsformel, ohne neue Akzente zu setzen. Viel Autotune-Gewaber, viel Oberflächlichkeit, immer wieder Frauen, Luxus, Autos und Drogen, aber kaum Neues, kaum Leidenschaft. Die Features retten, was zu retten ist, doch selbst sie wirken manchmal wie durchgeschleust.

"Forever" klingt nach einem Künstler, der mehr an seine Marke als an seine Musik glaubt, auch genauso uninspiriert. Wer noch die Vision von damals vor Augen hat, wird hier mit ernüchternder Routine enttäuscht. Dabei war RAF Camora ja einmal der Visionär, der Deutschrap veränderte. Doch heute wirkt er nur noch wie ein Schatten seiner selbst: zwar noch groß produziert, aber inhaltsleer und vom eigenen Sound gelangweilt.

Trackliste

  1. 1. Eden
  2. 2. Rossi
  3. 3. Connected
  4. 4. Muss Nicht Mehr Scheinen
  5. 5. Squadra
  6. 6. Bottega
  7. 7. Odyssee
  8. 8. Wow
  9. 9. Cut
  10. 10. Jupiter
  11. 11. Sawasdee Kap
  12. 12. Kein Drama
  13. 13. Ocean
  14. 14. Jubiläum
  15. 15. Anthrazit Forever
  16. 16. Out Of The Dark

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