laut.de-Kritik

Ekstatisches Zerren in alle Richtungen.

Review von

Alle Alben von Rage Against The Machine sind Meilensteine. Auf dem ersten haben sie den revolutionären Sound aus Hip Hop, Punk, Metal, Funk, einer Messerspitze Jazz und einer großen Schippe antikapitalistischer und -imperialistischer Militanz erfunden, den sie auf "The Battle Of Los Angeles" perfektioniert haben. "Renegades", das Cover-Album, ist eine solidarische Verneigung und Hommage an die musikalischen Helden westlicher linker Gegenkultur und ihre Version von "Maggie’s Farm" das beste Dylan-Cover jemals. Dazwischen steht "Evil Empire" und klingt merkwürdig.

Das Debüt leuchtet unmittelbar ein. "Fuck you, I won't do what you tell me" ist ein Satz, den die allermeisten Menschen schon einmal gedacht haben. Das ist universal anschlussfähig, unabhängig von Alter, Geschlecht, sozialer Klasse oder politischer Orientierung. Sicherlich wurde über die letzten Jahrzehnte hinweg so manche Bierbong auf dem Rock am Ring-Zeltplatz zu den Klängen des ersten Rage Against The Machine-Albums getrichtert. So erklärt sich auch, warum "Killing In The Name" im Radio nach diesem gottverdammten "Aaaaaall night long, du dududu Aaaaaaall night long"-Glam Metal-Song, den man grundsätzlich nur im Formatradio oder auf provinziellen Besäufnissen hört und den ich ums Verrecken nicht identifiziert bekomme, und vor Limp Bizkits Cover von "Behind Blue Eyes" laufen kann. Das denke ich mir nicht aus, das ist letztens passiert. Fred Durst, the bad man, the sad man himself, verkündete 2014 während eines Konzerts, "Killing In The Name" habe sein Leben verändert. Rage Against The Machine-Bassist Tim Commerford gab dazu im darauf folgenden Jahr gegenüber dem Rolling Stone zu Protokoll: "I do apologise for Limp Bizkit. I really do. I feel really bad that we inspired such bullshit."

"Rage Against The Machine" erscheint Ende 1992 und ist kommerziell sehr erfolgreich. Danach ist die junge Band zwei Jahre lang mehr oder weniger ununterbrochen auf Tour und zeigt schließlich so starke Auflösungserscheinungen bis hin zu angeblich handgreiflichen Streitereien, dass sie ein halbes Jahr pausiert, bevor die Arbeiten an "Evil Empire" beginnen können. Oder, in den diplomatischen Worten von Gitarrist Tom Morello gegenüber dem Kerrang!-Magazin 1996: "Different band members have their different interests that they've been pursuing. But principally, the main reason for the delay between records was trying to find the right combination of our very diverse influences that would make a record that we were all happy with and that was great." Dieses Zerren in alle Richtungen hört man dem Album auf kreativ fruchtbare Weise an.

Auf "Evil Empire" schiebt Brad Wilk am Schlagzeug das Soundbild stärker in Richtung Hip Hop und Punk. Tom Morello entsagt seinem Achtziger-Jugendtraum, breitbeinig auf der Bühne zu stehen und fette Metal-Riffs zu spielen, widmet sich stattdessen der kreativen klanglichen Dekonstruktion des Instruments E-Gitarre. Tim Commerford hört am Bass auf zu slappen, um nicht mehr mit Flea verglichen zu werden, und erdet die Songs in einem Ruhepol, der sie durch all den wütenden Lärm hindurch stoisch zusammenhält. Die Band als Ganzes bewegt sich weg von Crossover-Rock, der trotz "some of those that work forces / are the same that burn crosses" im Radio funktioniert, und rückt um ihr Zentrum zusammen, dem, was Zack de la Rocha rappt und aus seiner Seele herausschreit.

"Evil Empire" nannte Ronald Reagan die Sowjetunion in einer Rede 1983 und begründete so die Logik des Wettrüstens durch christlich-reaktionäre Rhetorik: "I urge you to beware the temptation (...) to simply call the arms race a giant misunderstanding and thereby remove yourself from the struggle between right and wrong and good and evil." 1996, sieben Jahre nach dem "Ende der Geschichte", steht nur noch ein Imperium. Zack de la Rocha hält der kapitalistischen, rassistischen, imperialistischen Hegemonie des Westens den Spiegel vor und haut ihr gleichzeitig auf die Fresse.

Er beginnt das Album mit "since fifteen hundred and sixteen / Mayans attacked and overseen" auf "People Of The Sun". "Never forget that the whip snapped ya back / your spine cracked for tobacc-oh / I'm the Marlboro Man", rappt er in harter Kadenz, aber elegant an der Bassline entlang. Zack de la Rocha hält in der Tradition antikolonialer Denker wie Frantz Fanon oder Malcolm X am Ende von "Evil Empire" fest, dass die Gewalt des Unterdrückers schlussendlich zum Absender zurückkehren wird: "With the five centuries of penitentiary so let the guilty hang / in the year of the boomerang". Dazwischen arbeitet er sich an dieser Gewalt als Zustand lyrisch ab, und was das Album so gut und die Welt da draußen so beschissen macht, ist die Tatsache, dass diese Lyrics heute genauso explosiv zünden wie 1996, weil sich der Zustand im Wesentlichen verschlimmert hat.

In gewisser Weise finde ich, dass "Evil Empire" mehr Sinn im Jetzt ergibt als in den im Rückblick zynischen, vom Sieg des Kapitalismus' verkaterten Neunzigern (tausend Dank an den hochgeschätzten Kollegen Cordas, der den damaligen Zeitgeist in seiner 1999er Review zu "The Battle Of Los Angeles" mit "Ich war ja auch schon immer ein Sozialrevolutionär und bla bla bla" so prägnant konserviert hat). Unsere Regierung schafft gerade die Grundlage dafür, eine ganze Generation junger Menschen aus der Arbeiterklasse in den Fleischwolf der modernen Kriegsführung zu schicken. Karriereberatung bei der Bundeswehr: "Have no illusions, boy / vomit all ideals and serve / sleep and wake and serve and / don't think, just wake and serve and".

In "Vietnow" muss man sich nur ein paar Anachronismen wegdenken und es ist ein Song über die rechte Medienlandschaft von Julian Reichelt über die Manosphere bis Erika Kirk: "While the paranoid try to stuff the void / let’s capture this AM mayhem / undressed and blessed by the Lord", "Terror's the product ya push". Währenddessen erinnert "Roll Right" einen daran, dass Deutschland wahrscheinlich bald wieder ohne Beschränkungen Waffen an die israelische Armee liefern wird, die unter dem dünnen Deckmantel eines "Waffenstillstands", der seinen Namen nicht verdient, den Genozid in Palästina fortsetzt: "Lick off the shot, my stories shock ya like Ellison / Mainline adrenaline, Gaza to Tianmen". Die Line zeigt zudem, dass er kein bescheuerter Betonkommunist ist, wo Panzer über Zivilisten rollen, ist es Unrecht, ob in West- oder Ostasien. "Without A Face" ist die lakonisch skizzierte Bestandsaufnahme der Situation aller illegalen Immigrant:innen ("Got no card so I got no soul / life is prison, no parole, no control").

Zack de la Rocha schreibt dabei nicht nur präzise politisch auf den Punkt. Er ist ebenso sehr ein in Metaphern verliebter Lyriker, wie er Anarchist ist, obendrein ein technisch versierter Rapper. Seine Texte sind nie stumpfe Propaganda, entziehen sich auf den zweiten Blick überraschend oft der Eindeutigkeit und vergessen über die politische Aussage nicht den emotionalen Punch. "Your friendship is a fog / that disappears when the wind redirects" auf "Snakecharmer" kann man als einen Kommentar zur Geschichte der Sozialdemokratie in den letzten hundert Jahren hören oder als einen Urschrei persönlicher Enttäuschung (was im Prinzip auf das Gleiche hinausläuft, aber egal). Beides funktioniert.

Das, was Morello, Commerford und Wilk zu alldem musikalisch abfackeln, gleicht in seiner Struktur einem Grundmotiv in de la Rochas Lyrics: Was sich aufstaut, muss irgendwann ein Ventil finden, eine Katharsis, einen Moshpit. Alle Songs auf "Evil Empire" funktionieren aus dieser nach vorne drängenden Dynamik heraus, variieren sie aber sehr geschickt. Man muss sich in die ganze rohe Noiserock-Ästhetik definitiv einhören, sich daran gewöhnen, dass Stimme und Bass dort sind, wo man im Klangbild eines Rocksongs sonst die Gitarre vermuten würde, die mitunter ein Riff spielt, das aus einem einzelnen, rabiat verzerrten Akkord besteht. Sie wollten einen anderen, ungewöhnlichen, mitunter verstörenden Sound und haben ihn bekommen. Irgendwann macht es Klick und "Evil Empire" wird zu einer befreienden Raserei.

Auf Songs wie "Bulls On Parade", "Roll Right" oder "Snakecharmer" dreht Tom Morello die Idee davon, wie ein Gitarrensolo klingen kann, radikal auf links: Zum Beispiel wie ein scratchender DJ oder ein Verkehrsunfall. Während "Bulls On Parade" vom ersten Schlag auf die Snare an wie ein Schwerlaster klingt, der durch eine Betonwand kracht, schleicht sich die Eskalation in "Revolver" oder "Wind Below" allmählich an, um einem dann umso fester eine Schelle zu verpassen. "Snakecharmer" und "Tire Me" funktionieren wie die Rage Against The Machine-Version von klassischem Punk, nur mit mehr Jazz am Bass. "Vietnow" oder "Down Rodeo" ("I’m rolling down Rodeo with a shotgun / these people ain't seen a brown skin man since their grandparents bought one") sind im Herzen Public Enemy-Songs. Auf "Roll Right" und "Year Of Tha Boomerang" schneiden die Feedbacks so garstig durch den Groove, dass es klingt, als müssten die Membranen der Lautsprecher davon Schaden nehmen. Letzterer biegt plötzlich in ein John Frusciante-Lick ab, bevor Zack mit "Ah, Power to the people" in den Beat kracht. Es macht extrem viel Spaß, diese Musik zu hören.

"Joy as an act of resistance" war immer Teil des Programms dieser Band. "Evil Empire" ist Anklage und Arschtritt, aber auch die zwingende, unmissverständliche Aufforderung zu wütender Ekstase. Sich Klarheit zu verschaffen, wo es möglich, und sich im Rausch zu verlieren, wo es nötig ist. Dazu, trotz aller Verzweiflung am Zustand der Welt nicht in einer beschissenen, schimmligen, zurückgezogenen Dunkelheit zu leben, sondern anzuerkennen, wie es ist, und darauf menschlich zu reagieren: "They force our ears to go deaf to the screams in the south / but we in the wind below".

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. People Of The Sun
  2. 2. Bulls On Parade
  3. 3. Vietnow
  4. 4. Revolver
  5. 5. Snakecharmer
  6. 6. Tire Me
  7. 7. Down Rodeo
  8. 8. Without A Face
  9. 9. Wind Below
  10. 10. Roll Right
  11. 11. Year Of Tha Boomerang

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3 Kommentare mit 5 Antworten

  • Vor 7 Tagen

    Als ich den Titel des neuen Meilensteins gelesen habe, wollte ich schon zu einem großen Plädoyer für The Battle of Los Angeles als geeigneteren Kandidaten dafür ansetzen, da mir der Sound darauf tatsächlich nochmal deutlich besser gefällt.
    Der erste Abschnitt hat mir direkt den Wind aus den Segeln genommen - schöne Review mit guten Bezug zu unserer Gegenwart.
    Schade, dass wohl musikalisch von denen nix mehr kommen wird. Bei der momentanen Lage der Welt (und vor allem USA), wäre ein neues Album angebracht.

  • Vor 7 Tagen

    "die unter dem dünnen Deckmantel eines "Waffenstillstands", der seinen Namen nicht verdient, den Genozid in Palästina fortsetzt"

    Herrlich dämlicher Take, der eine Seite des Konflikts kompeltt ignoriert und ihr Narrativ übernimmt..

  • Vor 7 Tagen

    schön geschrieben die Rezi, aber wenn man sich das Album anhört, dann wird wohl etwas anderes gemeint sein als dieses. Denn die Songs sind im Durchschnitt und der stumpfen Monotonie gefangen; Ausnahme: Bulls on Parade und mit Abstrichen Down Rodeo.

    • Vor 7 Tagen

      Gerade nach dem Lesen der Rezi hab ich mich gefragt, warum die Platte bei mir kaum gelaufen ist. Jetzt weiß ich es wieder, deine Beschreibung passt! Und es ist wirklich kaum was hängen geblieben, vor Allem im Vergleich mit dem übermächtigen Debüt.
      Na ja, ich denk ich wage morgen trotzdem mal einen Versuch...

    • Vor 7 Tagen

      Bulls on Parade überstrahlt wirklich ein wenig den Rest des Albums. People of the Sun zählt aber auch schon zu den Band-Klassikern und fehlte seit Release eigentlich nie auf der Setlist. Down Rodeo, Snake Charmer und Year of tha Boomerang gehen in meinen Augen auch noch sehr gut ab, aber der Rest des Albums ist nicht ganz auf dem Niveau des Vorgängers und dem des Nachfolgers.

    • Vor 5 Tagen

      Das Problem der Platte im Vergleich zum Debut ist für mich die Vorhersehbarkeit der Songstrukturen. Da gab es im Vergleich mehr Tempowechsel und Wendungen. Auf Evil Empire sind die Songs kürzer und meistens nach dem "gerappter Verse ---> gebrüllter Refrain ---> das Ganze nochmal ---> Quietschsolo ---> Refrain und Ende"-Schema gestrickt.
      Ist natürlich trotzdem Meckern auf hohem Niveau, wenn du Brecher wie Bulls on Parade, Vietnow, Revolver oder Down Rodeo am Start hast.