laut.de-Kritik
Schlusspunkt einer Maßstäbe setzenden Live-Inszenierung.
Review von Alexander AustelMan könnte dem Irrglauben verfallen, Rammstein könnten sich nach all den Jahren im Show-Geschäft nicht mehr steigern. Der vorliegende Film, der Konzertmitschnitt aus Paris, beweist, dass sie doch immer wieder eine weitere Schippe Bombast auf die Bühne bringen. Diese erinnert an eine alte Fabrik und lässt auch ohne das Sextett erahnen, dass es hier in den nächsten zwei Stunden heiß hergehen wird. Wenn sie sich dann aber mit wehenden Fahnen und einer brennenden Fakel beinahe mittelalterlich ihren Weg durch die Fans auf dieses Monstrum von Bühne bahnen, kommt Gänsehaut auf.
"Sonne" bringt direkt viel Schwung in die Masse, die staunend den emporsteigenden Flammen nachschaut. Die Funken aus ihren Kragen schießenden Gitarristen bei "Wollt Ihr Das Bett In Flammen Sehen" umrahmen die Band an den Flanken, während Till sich bei den härteren Passagen wie wild auf den Oberschenkel trommelt. Das anschließende Funkenmeer, in dem der Sänger beinahe untergeht, unterstreicht die Wirkung der Worte "Sex ist eine Schlacht, Liebe ist Krieg". Eine Reizüberflutung bahnt sich an, balanciert sich allerdings aus, so dass einen der Film zwar in den Bann zieht, aber nicht strapaziert.
Dass die Ramm-Männer dieses Konzert als Spielfilm angekündigt und als solchen nun verkaufen, erschließt sich nur bedingt. Åkerlund, der Regisseur diverser Rammstein-Videos ("Pussy", "Mann Gegen Mann") und verantwortlich für vorliegenden Streifen, versucht dennoch, hier und da einige Merkmale einzustreuen, die "Rammstein: Paris" zu einem etwas anderen Live-Mitschnitt macht. So lässt er Till plötzlich eine Schlangenzunge aus dem Mund fahren, vermischt verschiedene Bilder der Köpfe oder stattet Flakes Keyboard-Spiel mit Blitzen aus. Außerdem wechseln sich stimmungsvoll Schwarzweiß-Bilder, Zeitlupen und gestochen scharfe Nahaufnahmen zu einem stimmigen Ganzen ab.
Diese Effekte treten allerdings nur dezent auf, das Konzert und die Protagonisten stehen klar im Vordergrund. Ein absoluter Kracher und so noch nie in Szene gesetzter Song ist "Mein Teil". Till kommt blutverschmiert als eine Mischung aus Metzger, Koch und Bäcker mit einem Messer bewaffnet auf die Bühne und schiebt einen übergroßen Kochtopf vor sich her. Heute auf der Speisekarte: Flake-Gulasch, flambiert. Letzteres zur Schau getragen mit einem relativ großen Flammenwerfer. Als dieser nicht den gewünschten Effekt erzielt, nimmt sich Lindemann die nächste Größe und steckt die halbe Bühne inklusive Kochtopf in Brand. Unfassbar. Gegen Ende des Songs flitzt Flake knallend und Funken sprühend über die Bühne. Ein Spektakel der Extra-Klasse.
Dass auch "Bück Dich", "Du Riechst So Gut" und "Sehnsucht" im Programm steht, sollten vor allem die Fans der ersten Tage freuen. Besonders erstgenannter Song wird bildhaft und nicht ganz jugendfrei dargestellt, daran schließt sich "Pussy" natürlich nahtlos an. Wenn dann die Lichter nach zwei Stunden voll mit fulminantem Rammstein-Material enden, durften sich besonders die Pariser Fans über den allerletzten Song "Frühling In Paris" gefreut haben, den Åkerlund in schwarz-weiß festhält. Da kommt Gänsehaut auf, in einer für Rammstein untypischen Art und Weise.
Ob man als Fan nach der Best-Of-Platte und der "Rammstein In Amerika"-DVD nun wirklich das nächste Konzert im Regal stehen haben will, kann man anzweifeln. Das neue, angeblich bereits aufgenommene Material soll ja in eine andere Richtung gehen. Auch was die Show angeht, will die Band neue Wege gehen, so liest man. Im amerikanischen Metal Hammer sagt Kruspe gar: "Rammstein war immer so eine Band, bei der einem zuerst die Show und das Feuer einfiel. Und niemand sprach über die Musik. Das hat mich immer gestört, Und vielleicht können wir das mit dem neuen Album ändern." So gesehen könnte man "Rammstein: Paris" möglicherweise auch als fulminanten Schlusspunkt einer Maßstäbe setzenden Live-Inszenierung sehen. Ein Höhepunkt ist es allemal.
5 Kommentare mit 7 Antworten
Wäre der Akerlund nicht so übel auf Schnittgeficke und After-Effects-Droge, könnte das hier das Referenzmaterial für einen Konzertmitschnitt sein. So halt "nur" eine weitere gute Rammstein-DVD.
Ist es nicht genau andersrum? Stellenweise ist der Schnitt zwar ziemlich epileptisch, aber gleichzeitig auch so lebendig und nah dran wie bei keiner anderen DVD. Gerade bei Sehnsucht kommt das sehr schön zur Geltung.
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
Wärst du des Lesens mächtig, wüsstest du, dass "Paris" weder als stinknormaler Konzertmitschnitt geplant noch angekündigt war. Vielleicht sollte man es dann auch nicht so bewerten
Ja, ja, es ist als Konzertfilm konzipiert. Nur, nach dem, was ich davon gesehen hab, ist es inhaltlich eben doch "nur" ein Konzertmitschnitt, bei dem der Regisseur zu sehr bei der Nachbearbeitung freigedreht hat. So oder so ist es für mich nicht ansprechend genug, die DVD/BLuRay zu kaufen.
Den Kochtopf zu "Mein Teil" gab es doch schon auf der ersten DVD...
Wollt ich auch grad schreiben. Das "Teil" ist nie anders aufgeführt worden, soweit ich weiß..
Doch, gab ne Erweiterung. Der zweite Flammenwerfer ist neu (plus neues Outro).
Nicht auf der ersten (Live aus Berlin), aber auf Völkerball.
Das Editing ist echt abartig, mehr Schnitte als in nem YouTube Vlog. Hat mich sehr gewundert, dass die Band das durchgewunken hat. Warum was live aufnehmen wenn es am Ende wieder wie ein Musikvideo aussieht?
Es ist tatsächlich Absicht und so geplant dass der Film wie ein überlanges Musikvideo aussehen soll!
die Band Rammstein ist mit dem Alter kreativer geworden, die Lyrics jedoch immer platter und langweiliger