laut.de-Kritik

Damals, im Epizentrum des US-Westcoastpunk.

Review von

He was an artist and a writer
and a poet and a friend
In a man's life he will take a fall
but how low he goes it just depends
He's shooting dope in the men's room
at the station daly city train
Have you ever seen an angel well I know I have
they'll stay here for a while and then they'll fly away (aus "Daly City Train")

Es waren vier Alben, die den US-amerikanischen Punkrock aus dem vermeintlichen Untergrund in das Epizentrum des Mainstream katapultierten und das sogenannte 'Punkrevival' heraufbeschworen. Den Anfang machten Bad Religion mit "Suffer". Das war zwar schon Ende der Achtziger, sorgte aber für beträchtlichen Aufruhr und wurde einer der Grundpfeiler für Epitaph Records. Jenem von Brett Gurewitz betriebenem Label, das in der darauf folgenden Dekade so essenziell für den US-Punk werden sollte. Damals dachte man sich schon, man hätte gerade eine unfassbare Menge Alben verkauft. Who could have known: 1994 geht es dann Schlag auf Schlag.

Am 1. Februar 1994 veröffentlichen Green Day über Reprise Records "Dookie", am 8. April selbigen Jahres kommen The Offspring mit "Smash" über Epitaph. Beide Alben haben einen Überhit - "Dookie" natürlich "Basket Case", "Smash" hat "Self Esteem". Und beide Alben katapultieren Punkrock auch in den Mainstream, in die Shopping Malls, in die Stadien, in die Kinderzimmer. Die Industrie freut es, die Punk-Polizei hat massig zu nörgeln, die Bands schießen wie Pilze aus dem Boden. Klar, all das führt dann später zu "Hot Topic", zu Sum 41 und Avril Lavigne, zu Band-Shirts bei H&M und Mode-Irokesen, zu Salonfähigkeit. Darüber und über Begrifflichkeiten und Narrarative von 'Authenzität' möge die genannte Punkpolizei diskutieren.

Ein Jahr später, genauer gesagt am 22. August 1995, kommen dann Rancid mit ihrem dritten Album "...And Out Come The Wolves". Hervorgegangen aus Operation Ivy, hatte sich die Band um Sänger/Gitarrist Tim Armstrong und Bassist Matt Freeman 1991 gegründet. Nach einer ersten EP bewies auch hier wieder einmal Brett Gurewitz den richtigen Riecher und sorgte dafür, dass die Band bei Epitaph unterschreibt. Lars Frederiksen war, nachdem er bereits auf der letzten Platte gespielt hatte, endgültig festes Bandmitglied. Zuvor lehnte er dies ab, da er noch Verpflichtungen mit den UK Subs hatte. Die Industrie streckte ihre Fühler bereits aus, stritt sich um das Quartett und hofierte es.

Punk war überall, und auch wenn die Industrie immer eine gewisse Latenzzeit hatte: da hatte man bereits Blut gewittert und setzte alles daran, den nächsten großen Wurf zu landen. Darauf bezieht sich auch der Titel der Platte, man hat sich dann aber dafür entschieden, bei Epitaph Records zu bleiben.

Und raus kamen also die Wölfe, 19 Songs, 49 Minuten und 43 Sekunden lang. "...And Out Come The Wolves" war ein gehöriger Arschtritt aus Ska, Reggae und Punk, aus The Clash und Operation Ivy, aus wilden Bassläufen und räudigem Duo-Gesang, aus Karohosen und Ketten, Ganzkörper-Tätowierungen und Irokesen, Offbeat-Rhythmen, Oi und großen Refrains. "...And Out Come The Wolves" ist ein fabelhaftes Geschichtenerzähler-Album. Geschichten von Scherben und Abstürzen, von Obdachlosigkeit und gebrochenen Herzen, von Loyalität und gebrochenen Knochen, von Clubs und Hinterhofkneipen, Städten, Proberäumen, kleinen Vans vollgeräumt mit Equipment und Perspektivenlosigkeit.

Mit den Zeilen "Hangin' out with Lars down on 6th street / he knew that I was in trouble / I was feeling much like devil / there was something burning deep inside of me / ran into three Puerto Ricans / these girls took us to the funhouse / where we played a lonely pinball machine", beginnt eines der großartigsten Stücke des Albums, "Olympia W.A.". Armstrong und Frederiksen sind starke Texte gelungen, die streckenweise eine Nähe zum biographischen Ton der Protagonisten der Beat Generation aufweisen.

Klar, "Ruby Soho", "Time Bomb" und "Roots Radicals" sind die größten Hits das Albums, aber bei neunzehn Stücken gibt es viel mehr zu entdecken. Beim hinteren Teil der Platte gehen die Meinungen oft auseinander. Manche meinen gar, das Album habe Überlänge, hätte nach dem grandiosen "Old Friend" alles gesagt gehabt, andere (den Autor dieser Zeilen eingeschlossen) lieben die leicht hingeschleudert wirkenden letzten Stücke. Herzreißend, wie nonchalant im Refrain von "You Don't Care Nothin'" die Besungene gleich mit Vor- und Nachnamen adressiert wird: "Jenny Demilo, you don't care nothin' bout me".

"..."And Out Come The Wolves" hat alles drauf: Die Punkkracher, die Reggae- und Ska-Nummern, aber auch die ausufernderen Stücke. "Journey To The End Of The East Bay" beispielsweise: Wieder so ein fundamentales Bass-Riff von Matt Freeman, wieder Geschichten, vom Anfang der eigenen nämlich. "Reconcile to the relief / consumed in sacred ground for me / there wasn't always a place to go / but there was always an urgent need to belong“ heißt es da beispielsweise - die alten Tage im Minivan, im briefmarkengroßen Proberaum: "Matty came from far away, from New Orleans into the East Bay / He said this place is Mekka / I said this ain’t no Mekka man, this place is fucked".

Es haben sich viele die Mäuler darüber zerrissen, wie authentisch oder eben unauthentisch Rancid seien, wie gerne sie The Clash sein wollen, wie schräg Tim Armstrongs Versuch, einen britischen Akzent zu imitieren, klingt. Auch, dass Rancid den Irokesenschnitt MTV-fähig gemacht haben wurde ihnen angekreidet. Diejenigen, die sich in erster Linie um soclhe Nebensächlichkeiten kümmerten, haben das Wesentliche verpasst: Rancid gelang mit "...And Out Come The Wolves" ein Riesenwurf. Ihr drittes ist Wahrscheinlich das beste Album ihrer Karriere, durchaus mit einer Tonne an Reminiszenzen an die Vergangenheit versehen, aber ohne Kalkül, doppelten Boden, Reißbrett-Attitüde oder Trendbewusstsein.

"...And Out Come The Wolves" feiert im Sommer 2015 seinen zwanzigsten Geburtstag, und es hat den Anschein, als wäre es besser gealtert als "Dookie" oder "Smash". Vielleicht auch deshalb, weil das Album nicht so überpräsent war wie die beiden kommerziell noch erfolgreicheren Kollegen. "...And Out Come The Wolves" ist die Quintessenz vom bunten, wilden Mix, der Rancid ausmachte und es auch heute noch tut. Als wäre es gestern gewesen: "Good morning heartache, you're like an old friend, come and see me again", singen Armstrong und Frederiksen wie Straßenköter in Lederjacken - und so ist das auch mit "...And Out Come The Wolves", zwanzig Jahre später.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Maxwell Murder
  2. 2. The 11th Hour
  3. 3. Roots Radicals
  4. 4. Time Bomb
  5. 5. Olympia W.A.
  6. 6. Lock, Step, & Gone
  7. 7. Junkie Man
  8. 8. Listed M.I.A.
  9. 9. Ruby Soho
  10. 10. Daly City Train
  11. 11. Journey To The End Of The East Bay
  12. 12. She's Automatic
  13. 13. Old Friend
  14. 14. Disorder And Disarray
  15. 15. The Wars End
  16. 16. You Don't Care Nothin'
  17. 17. As Wicked
  18. 18. Avenues And Alleyways
  19. 19. The Way I Feel

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