laut.de-Kritik

Mit Wut im Bauch und unverwüstlichem Charme zum Welterfolg.

Review von

Stellt sich bei einer Band kommerzieller Erfolg ein, steht die musikalische Qualität unter Generalverdacht. Das gilt ganz besonders im Punk. Dass dieser unheiligen Allianz manchmal aber nichts Anrüchiges anhaften muss, zeigt die Geschichte einer Gruppe junger Kalifornier, die sich 1994 in Los Angeles zuträgt.

Bryan "Dexter" Holland, ein Endzwanziger mit langen blonden Braids, werkelt an seiner Doktorarbeit in Mikrobiologie und fährt jeden Tag in einer armseligen Karre zur Uni. Der Wagen schleppt sich derart langsam über den Highway, dass er regelmäßig angehupt und mit Müll beworfen wird. Sein Kumpel Kevin Wasserman, genannt Noodles, schrubbt derweil als Hausmeister einer Schule die Böden. Alles ganz bodenständig. Nichts deutet darauf hin, dass die beiden bald einen Radiohit landen und weltweite Erfolge einfahren sollten.

Zumal ihre Band nicht bei einer der großen Plattenfirmen, sondern beim Indie-Label Epitaph von Bad Religion-Gitarrist Brett Gurewitz beheimatet ist. "Für uns war es einfach das nächste Album", gibt Gitarrist Noodles dem "Rolling Stone"-Magazin Jahre später zu Protokoll. "Es war sicherlich nicht so, als hätten wir auf einmal unser Sgt. Pepper's schreiben wollen."

Doch auch er glaubt im Rückblick, etwas gespürt zu haben: "Einige Songs wirkten etwas anders, das bestimmt."

Tatsächlich öffnet die Band auf ihrem dritten Album ihre stilistische Palette: Sie bereichert ihren melodiösen, schnellen SoCal-Punk um Elemente aus Ska, Surfrock und vor allem Grunge, obwohl dieser seinen Zenit zu jener Zeit bereits überschritten hat. Sei es drum: Musikalisch fällt der Sprung von Nirvana zu The Offspring so leicht wie nie, und die Youngsters docken in Scharen an: Sie machen "Smash" zum bis dahin erfolgreichsten Indie-Album aller Zeiten. Die Singles "Come Out And Play" und "Self Esteem" werden auf Radiosendern und MTV rauf und runter gespielt – Punk im Radio, allein das kommt einer Sensation gleich. Millionenverkäufe. The Offspring gehen ab durch die Decke.

Dass dies überhaupt möglich ist, sieht Dexter Holland als Verdienst von Nirvana an: Deren Video zu "Smells Like Teen Spirit" habe "ausgesehen wie ein Punk-Konzert", findet der Sänger. Die Standards in Klang und Ästhetik verschoben sich zugunsten der Punkszene. "Plötzlich schien alles möglich zu sein", sagt Holland. "Es kam näher und näher, und 94 waren die Leute bereit dafür."

Und wie: In besagtem Jahr starten nicht nur The Offspring sondern auch Green Day kommerziell durch. Einzig Kurt Cobain sollte von seiner Wegbereiter-Funktion nichts erfahren: "Smash" erscheint nur ein paar Tage, nachdem sich der Nirvana-Sänger aus dem Leben verabschiedet hat.

Die deutlichsten Grunge-Anleihen auf dem Album bietet natürlich "Self Esteem". Der Song wurde auch in unseren Breitengraden derart überstrapaziert, dass er den meisten zum Halse raushängt. Völlig verständlich. Vom gelallten Intro über die von Schlagzeuger Ron Welty und Bassist Greg K. bestrittenen Strophen bis zu Hollands verzweifeltem Gesang und dem Mitgröl-Refrain: Wirklich jede Millisekunde ist im Musikgedächtnis abgespeichert.

Auch meine Begeisterung hielt sich daher in Grenzen, als ich mich für diese Review wieder mit diesem Überhit befassen musste. Umso größer das Erstaunen, als sich zeigt: Das Ding stimuliert noch immer die richtigen Synapsen. Wieder und wieder. Prädikat: unverwüstlich.

Mit Midtempo und dem verschleppten Rhythmus ist der Song aber alles andere als typisch für den Offspring-Sound anno 1994. Denn "Smash" ist eine Pop-Punk-Platte durch und durch, mit rasanten 3-Akkord-Songs, Hollands unverwechselbar eindringlicher Stimme, dem Gespür für große Refrains und der einen oder anderen kreativen Überraschung.

Wenn sogar ein gesprochenes Intro nach hunderten Durchläufen noch nicht nervt, ist das ohnehin ein gutes Zeichen. Der charmante Erzähler, der uns viel Spaß mit "this compact disc playing on your home stereo" wünscht, mag technologisch überholt sein, hat aber bis heute nichts von seinem Charme verloren.

Das pfeilschnelle "Nitro (Youth Energy)" setzt gleich den Ton: Ron Welty prügelt die Band vor sich her, Noodles und Holland lassen die Saiten glühen und ab und an auch mal quietschen. Die im Titel versprochene jugendliche Energie lösen die vier locker ein, und eine Refrain-Zeile wie "Live like there is no tomorrow" resoniert nicht nur bei Heranwachsenden.

"Bad Habit" beginnt mit einer einsamen Bassfigur von Greg K., führt aber auf die falsche Fährte. Die reduzierte Passage dient einzig dazu, Hollands Worte besser zur Geltung zu bringen: "Hey, man, you know I'm really okay / The gun in my hand will tell you the same", beteuert er mit psychotischem Unterton, nur um kurz darauf in rasende Wut zu verfallen – genau wie der Rest der Band. Der Song handelt von Aggressionen im Straßenverkehr und klingt auch wie eine vertonte Bleifußfahrt. Nur einmal werden The Offspring kurz ausgebremst, danach brettern sie in mörderischem Tempo weiter. Wer bei "You stupid dumb-shit goddamn motherfucker!" nie mitgeschrieen hat, lebt in einer Bubble.

"Gotta Get Away" zeigt die Band erstmals in gedrosseltem Tempo und von ihrer nachdenklicheren Seite. Doch auch im Midtempo kriegen sie packende Riffs und diese Gesangsmelodien hin, die im Ohr kleben bleiben. Der Protagonist sinniert darüber, warum er sich bloß so down fühlt, und wünscht sich Abstand von sich selber. Auch hier: die perfekte Identifikationsfläche.

Das folgende "Genocide" ist wieder punkig-flott unterwegs und schlägt gesellschaftskritische Töne an. Noodles packt für einmal sogar eine Single-Note-Melodie auf die Schrammelriffs. Ein Break mit akzentuierten Drum-Schlägen bringt Spannung rein, doch als bester Song des Albums geht der hier nicht vom Platz. "Something To Believe In" zeigt einen ganz ähnlichen Aufbau und fällt in der zweiten Hälfte auf ein basslastiges Gerüst zusammen. Dank weitaus stärkerem Refrain – mitsamt 'Ooooh-aaaah-oooah'-Backup-Gesang – hinterlässt aber mehr Eindruck.

Wir erreichen die Albummitte, und nun fahren The Offspring die schweren Geschütze auf: "Come Out And Play" ist ein so verspielter wie mitreißender Track, der mit Surf-Vibes und einem prominenten orientalischen Gitarrenlick aus der Reihe tanzt. Die mittlerweile ikonische Ansage "You gotta keep 'em seperated" ist das Highlight in einem augenzwinkernden Text. Die betonte (und vertonte) Lockerheit sollte aber nicht über den ernsten Inhalt hinwegtäuschen: In den Lyrics verarbeitet Holland Eindrücke seiner Fahrten durch den Ostteil von Los Angeles, Gang-Gebiet. Die Unruhen von 1992 wirkten noch nach.

Dank seinem ansteckenden Party-Groove wurde der Song zum ersten großen Band-Hit überhaupt. Mit "Self Esteem" legen die Jungs gleich den zweiten nach. Die undankbare Aufgabe, daran anzuschließen, fällt "It'll Be A Long Time" zu. Die Nummer sprintet in Pennywise-mäßigem Tempo los, fällt aber – vielleicht wegen der undankbaren Platzierung auf dem Album – etwas flach aus.

Grämen lohnt sich aber nicht, denn "Killpop Powerboy", ein Cover der Band The Didjits, ist allein für den Spaßfaktor da und erfüllt mit seinen knackigen zwei Minuten Laufzeit genau diesen Zweck. Diesen Faden spinnt das überdrehte "What Happened To You?" weiter: Ska-typischer Humpta-humpta-Beat und schickes Gitarrensolo ziehen die Mundwinkel automatisch nach oben.

Irgendwo habe ich mal aufgeschnappt, dass The Offspring auf "Smash" noch Spaß gemacht haben, ohne albern zu wirken. Genau so ist es. Der Peinlichkeitsfaktor all der übers Knie gebrochenen Möchtegern-Sommerhits der späteren Jahre liegt noch in undenkbarer Ferne. Hier wirkt der Schalk noch authentisch.

Der nur einminütige Abriss "So Alone" schickt die Platte auf die Zielgerade und leitet den wiederum sehr starken Schlussteil ein: "Not The One" ist ein sozialkritisches Stück, das sich ein Dauerthema jeder jungen Generation vorknöpft: die beschissene Verfassung, in der man die Welt übernehmen soll. "I'm not the one who made the world what it is today / I'm not the one who caused the problems started long ago", klagt ein saurer Holland an, und recht hat er. Enden muss er mit der resignierten Aussicht, dass die nächste Generation das genau gleiche Lied wird anstimmen müssen.

Besonders stark schließt dann der Titeltrack ab: Noodles' Riffs eiert schief vor sich hin, Ron Welty aber gibt dem Ganzen mit eisern durchgezogener Punk-Polka Struktur. Im Mittelteil verlegt er sich kurz auf die Cymbals, doch bald drischt er wieder störrisch auf die Snare ein. Auch die Mitstreiter holen nochmals das Beste raus: Die Riffs knallen, die Lyrics sind ein Stinkefinger an gesellschaftliche Erwartungshaltungen: "I'm not a trendy asshole / Don't give a fuck if it's good enough for you / Cause I'm alive." Ich kann bei dem Song bis heute nicht still sitzen bleiben.

Wie könnte ein Punkalbum auch besser ausklingen? Mit den beiden Hidden Tracks jedenfalls nicht, die das Album auf üppige 46 Minuten aufblähen. Und dennoch: "Smash" zeigt The Offspring in Höchstform: verspielt, inspiriert, mit gesunder Wut im Bauch und einfachen Wahrheiten auf der Zunge. Das Album ist das exakte Gegenteil von verkopft, mehrere Songs entstanden ohnehin auf den letzten Drücker, darunter der Titeltrack. Womöglich genau deshalb klingt die Platte bis heute so verdammt frisch und in-die-Fresse.

Der immense Erfolg überraschte und überforderte – so sieht es zumindest die Band – schlussendlich die Verantwortlichen bei Epitaph. Der Triumph über die Majors wurde so zum Pyrrhussieg: Das nächste Offspring-Album erschien bei Columbia. Natürlich war "Smash" der Anfang der Kommerzialisierung von The Offspring, öffnete einer ganzen MTV-Punk-Welle mit die Schleusen. Und natürlich lieferten auch Holland, Noodles und Co. danach höchstgradige Peinlichkeiten ab. Aber "Smash" ist ein 90s-Album, das man – ungeachtet des Absenders – als guilty pleasure bis heute richtig gut finden kann.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Time To Relax
  2. 2. Nitro (Youth Energy)
  3. 3. Bad Habit
  4. 4. Gotta Get Away
  5. 5. Genocide
  6. 6. Something To Believe In
  7. 7. Come Out And Play
  8. 8. Self Esteem
  9. 9. It'll Be A Long Time
  10. 10. Killboy Powerhead
  11. 11. What Happened To You?
  12. 12. So Alone
  13. 13. Not The One
  14. 14. Smash

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LAUT.DE-PORTRÄT The Offspring

Mitte der 80er Jahre besucht Bryan Holland, Spitzname Dexter, die Pacifica Highschool in Garden Grove in Kalifornien. Sein festes Ziel ist, Arzt zu werden.

8 Kommentare mit 5 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Das war damals kein Album für die "Masse" - wer das schreibt - sorry - hat nichts verstanden.
    Das Album wurde einfach gemacht und war erst einmal nichts - kein Erfolg - ich habe sie mit dem Album auf Tour gesehen in einer Kneipe, die einen Hinterraum hatte für ca. 200 Leute - dort haben die gespielt und das Album promotet...
    Das nachher alle darauf abgefahren sind - Karma...
    Aber bei dem Album von "Massenalbum" zu sprechen ist ungefähr so, als wenn man die Jeans als Erfindung für die breite Masse bezeichnen würde...
    So ein Unsinn

  • Vor 2 Jahren

    Dookie gefiel mir immer einen Ticken besser, nichtsdestotrotz eine Schlüsselplatte meiner Jugend

  • Vor einem Jahr

    Die Würdigung geht schon ok. Hinter Superunknown von Soundgarden und Troublegum von Therapy war es ein Highlight aus 1994. Alleine die Gröhlnummern Self Esteem + Come Out gehören auf jede 90er Playlist. Leider hatten die Nachfolgescheiben nicht mehr die Songquali dieses Frühwerkes.

    • Vor einem Jahr

      Den Nachfolger (Ixnay on the hombre) fand ich auch noch sehr stark, und bis heute ziemlich unterschätzt. Da waren jetzt keine großen Hits drauf, aber das Album klingt sehr homogen und ein ziemlich gutes Geknüppel ist es auch.

    • Vor einem Jahr

      Das.
      Anders als in der Review angegeben, erschien es auch noch bei Epitaph. Erst „Americana“ kam dann beim Major Columbia raus.

    • Vor einem Jahr

      Ixnay kam nur in Europa bei Epitaph Europe raus, in den USA und dem Rest der Welt kam es schon via Columbia