laut.de-Biographie
Ras Kass
"Iron Man", "Reasonable Doubt", "Atliens", "Hell On Earth" und "All Eyez On Me": Es gibt schlechtere Jahrgänge als die Klasse von 1996. Trotzdem behauptet sich neben den Schwergewichten um Jay-Z oder Tupac ein weiteres Debüt auch in der Retrospektive: "Soul On Ice" von Westcoast-Lyricist Ras Kass.
Trotz der (gerade im Vergleich zu den Produktionen von RZA, Havoc oder Organized Noize) nur knapp überdurchschnittlichen Beats rappt sich der 1973 im kalifornischen Watts geborene John Austin IV aka Ras Kass mit superben Wortspielen, doppelbödigen Punchlines und poetisch-politischen Texten in den Vordergrund.
"... most MCs ain't prepared / So what I say goes over your head like pubic hair / In 1999 (flip the script) triple six / One world government 'Novus Ordo Seclorum' / Check your dead president, represented on the one dollar bill / And if Clinton was the answer it was a stupid question / My soul's on ice, baby." ("Soul On Ice")
Ras Kass steht Mitte der 90er in den Startlöchern, um neben Buddy Kurupt in die New York-Phalanx der auch im Mainstream erfolgreichen Lyriker wie Raekwon oder Nas vorzustoßen. Label-Probleme, Knast, falsches Timing oder einfach nur Pech hindern ihn jedoch daran. Erst 18 Jahre später, mit dem Album "Blasphemy", knüpft Ras an die große Kunst jener Anfangstage an.
Ein Rückblick: Ras Kass breakt und rappt sich schon früh als B-Boy, ganz in der Tradition von KRS-One, Rakim und Co., auf den kalifornischen Block-, Club- und Gartenpartys den Arsch ab. Sein erstes Ausrufezeichen setzt er mit der Indie-Single "Remain Anonymous", die das Source-Magazin zum Hip Hop-Quotable des Monats kürt. Bereits hier lassen seine Lyrics große Gedanken und ebenso großes Potenzial erahnen.
"I comes off with positions like pornographics / Twenty questions - animal, vegetable, or mineral / What am I? Atom - amphibian, invertebrate, or mammal? / Homosapien, specifically ock swell up like gout / Then spread out like centrifugal force (what?)."
Die nationale Rap-Szene preist ihn, so landet er noch ohne Debütalbum im Rücken auf Posse-Cuts wie dem legendären "Wake Up Show Anthem 94" mit Nas, Lauryn Hill, Chino XL, Organized Konfusion und Saafir. Die Majorlabels stehen Schlange. Ras entscheidet sich für Priority/EMI Records.
Das hat Folgen. Zuerst nimmt alles seinen Lauf. Ras Kass sorgt 1996 mit "Soul On Ice", wie erwartet, für Aufsehen und darf für sein zweites Album "Rasassination" zwei Jahre später Top-Notch-Beats von Easy Mo Bee, RZA und Dr. Dre auswählen. Der Aufstieg läuft nach erneut guten Kritiken und dem langsamen Vormarsch in den Mainstream bilderbuchartig nach Plan.
Bis zur Fusion von Priority mit Capitol Records: Das bereits fertig produzierte dritte Werk "Van Gogh" mit Beats von DJ Premier, Hi-Tek und Dre gerät zwischen die Fronten der Labelübernahme und landet 2000 frühzeitig als Bootleg im Netz und auf den Straßen.
Ras versucht zwar alles, nimmt neue Songs auf, doch das Momentum und die Marketingkohle sind gleichermaßen Geschichte und "Van Gogh" eines ihrer vielen traurigen "Was-wäre-wenn"-Kapitel. Ein zweites soll folgen. Wie Ex-Fußballstar Andy Brehme weiß: "Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß."
2001 ist Ras Kass immer noch mitten im Game und will die Chance auf den endgültigen Durchbruch mit seinem vierten Album nutzen. "Goldyn Chyld" enthält wiederum Beats von Primo und dem Doktor, doch nachdem sich Rapper und Label nicht auf eine Single einigen können und Ras Kass wegen Trunkenheit am Steuer zu 19 Monaten Gefängnis verurteilt wird, landet auch "Goldyn Chyld" auf dem Friedhof der Festplatten.
Rückblickend hat Ras Kass trotz allen Dramas seinen Frieden gemacht. Gegenüber dem XXL Magazin sagt er 2006: "Dieser Scheiß gehört der Vergangenheit an. Sie können diese Platten haben, ich habe zu tun mit dem Zeug, das ich heute mache ... Timing ist alles. Stell dir nur vor, Dre würde versuchen, 'The Chronic' heute herauszubringen: Es würde lange nicht dermaßen einschlagen. Also kümmere ich mich nicht mehr um diese Alben, die ich 2001 oder 2002 aufgenommen habe. Wenn sie damals nicht rauskamen, ist mir auch nicht mehr wirklich wichtig, dass sie heute herauskommen. Ich muss weitergehen. Es ist ja auch nicht so, als ob ich nichts Neues mehr machen könnte."
Die nächsten zehn Jahre nach Ende des Priority-Vertrages prägen der Beef mit The Game und viele Mixtapes und Straßenalben, die ihn im Gespräch halten, aber nie an seine erste Phase heranreichen. Ras Kass wird Teil der Supergruppe The Horsemen mit Canibus, Killah Priest und Kurupt und tut sich mit Xzibit und Saafir zu den Golden State Warriors zusammen. Bis zu seiner Wiedergeburt 2014 veröffentlichen beide jedoch keine offiziellen Platten.
Erst Detroits Boom Bap-Producer Apollo Brown legt Ende 2014 auf "Blasphemy" mit seinen straighten, tief-souligen Kopfnickern das richtige Fundament, auf dem Ras Kass seine poetisch-politischen Reime kicken kann. Nicht umsonst steht er bei About.com unter den Top 50 Emcees, und Pitchfork Media feiert ihn als "einen der besten Rapper aller Zeiten". Doch der Kalifornier macht sich, abgesehen von einigen Kompilationen, weitgehend rar.
Erst der zunehmende Rechtsruck in der US-amerikanischen Gesellschaft animiert ihn wieder zu neuen Aufnahmen. Anlässlich der Amtseinführung von Donald Trump rechnet er in "Amerikkkan Horror Story" mit dem maroden amerikanischen Wahlsystem und der rassistischen Wählerschaft ab. "Mir war nicht klar, dass fast die Hälfte unseres Landes immer noch so viel Hass in ihrem Herzen trägt, so viel Rassenhass", gibt er im Interview zu Protokoll: "In den letzten 250 Jahren haben wir buchstäblich nichts erreicht."
Im Spätsommer 2019 lässt er "Soul On Ice 2" folgen, das in Songs wie "White Power" und "Opioid Crisis" den Kampf mit den drängenden Problemen der USA aufnimmt. Mit Snoop Dogg, Cee-Lo Green oder Pete Rock ist es zudem hochkarätig besetzt.
Im Interview lässt er trotz seines politischen Engagements durchblicken, bei Bedarf seine Heimat verlassen zu wollen: "Ich denke, jeder möchte einfach mit menschlichem Anstand behandelt werden. Es gibt andere Orte, wo das möglich ist. Wenn ich das hier nicht bekomme, bin ich bereit zu gehen und ein Weltbürger zu sein."
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