laut.de-Kritik
Gefühle sind eingefroren, Rücksicht ist der Schritt ins Verderben.
Review von Stefan Johannesberg"I'm only nineteen, but my mind is old. And when the things get for real, my warm heart turns cold". 1995 schockten Prodigy und Havoc mit "Shook Ones Part II" von ihrem zweiten Album "The Infamous" alle falschen Fuffziger, Möchtegern-Gangster und Wannabe-Rapper. Ihre Welt in den Häuserschluchten von Queensbridge war eine kalte Welt. Gefühle sind eingefroren, Rücksicht ist der Schritt ins Verderben, gefressen oder gefressen werden - nur Überleben zählte und nichts anderes. Wie fasste es Mobb Deep-Kumpel Raekwon im selben Jahr zusammen: "You don't believe in heaven 'cause we're livin' in hell".
"Hell On Earth", die Hölle auf Erden findet sich auch ein Jahr später in den dunklen Straßen und zwielichtigen Kellerstudios New Yorks. Trotz des Charterfolgs von "The Infamous" und dem Plattenvertrag beim legendären Label Loud Records dampft jene Eiseskälte noch intensiver aus allen Poren ihres dritten Albums. Kein Licht, keine R'n'B Refrains, keine Hoffnung und keine positiven Soul-Vibes tauchen aus den Beats von Havoc und den blutigen Lyrics Prodigys auf. Die High-Hat tickt noch härter und treibt die mechanischen Drums und minimalistisch-dramatischen Sample-Loops noch unaufhaltsamer vor sich her als zuvor, während Prodigy mehr Bilder für Tod und Verderben findet als ganze Filme.
"It's P live and direct, stab the neck / Icepick bloodied up your whole entire shit / Live shit, one-nine-nine-six, ask your bitch". Als P beim Opener "Animal Instinct" arrogant und ignorant ans Mic steppt, reduziert Havoc noch einmal den Sound auf Drums und einzelne Bass-Lines, um dessen Verse mehr Raum zu geben. Jene Diskrepanz zwischen den harschen Lyrics und dem schmächtigen, an der Sichelzellenkrankheit leidenden Rapper machen ihn im Laufe der Jahre immer wieder zum Ziel diverser Angriffe von Jay-Z oder Saigon. 1996 spielt Prodigy jedoch in einer eigenen Liga.
Doch Havoc steht ihm in Sachen Härte in nichts nach. "It's the most trifle, 41st Side disciples / Take kindness for a weakness, so I won't be so kind to Niggas comin' through, I gave you birth, kid, I'm sonnin' you". Wir sind die härtesten, wir sind die Originale. Unterschätze uns nicht. Unser Reality Rap ist nicht Hollywood, es ist “Bloodsport". "Yo, this ain't rap, it's bloodsport / Your life cut short, you fell short / The pressure's on high, full-court". Havoc drosselt das Tempo, lässt den Beat lässig bouncen und legt nur ein paar Geigen nach. Beat-Mentor Q-Tip hat in den Jahren zuvor ganze Arbeit geleistet.
Auf "Extortion (featuring Method Man)" zwirbelt er einen verschrobenen, rza-artigen Loop aus der MPC und fügt auch diesen nahtlos in seinen Trademark-Sound ein. Für "Nighttime Vultures (featuring Raekwon)" schenkt Havoc einem Wu-Tanger wieder den heimischen Shaolin-Sound, ohne ihn zu biten. Die Geigen könnten zwar von "Cuban Linx" stammen, die fast stoische, unwirklich hallende Drums-Programmierung zelebriert aber nur Havoc selbst. Ähnlich wie bei DJ Premier Bass-Drum wissen alle nach ein paar Sekunden flach und hart peitschender Snare, ob der Mobb through kommt. Einzig "Man Down (featuring Big Noyd)" boom bapt noch ein wenig wie früher. Der Kopf nickt zwar im Takt, doch der Rucksack ruht, die Entspannung fehlt. Zu heftig penetriert das immer wieder wie aus dem Nichts auftauchende Horror-Sample die Nerven. Dazu überzeugt der ewig unterschätzte Havoc wieder mit Storytelling Skills. "More Trife Life", der Nachfolger von "Trife Life", beschreibt die paranoiden Vorstellungen, wie er seine Ex-Freundin trifft, die mittlerweile mit einer gegnerischen Gang verbandelt ist.
Lyrisch setzt - trotz Havocs Leistungsexplosion - Prodigy dem Album die Krone auf. Sein gesamter Vers auf "Apostle's Warning" spielt so geschickt mit Silben, schlingt sie um Bedeutungen wie Schlangen um ihre Beute. Der zentrale Part findet auf dem mächtigen, Moroder-Scarface-Sample getriebenen "G.O.D. Pt. III" statt. Einen härteren, besseren Part auf einem härteren, besseren Beat kann keiner diggen: "I draw first blood, it's over with and that's that/ You wanna square off, I'm sayin', "Slice that cat" / You get splashed from back of your head to asscrack / Searching for signs of the end, well, I am that / Which bring apocalypse to this game called rap / Not a game, but quite serious and yo, in fact / You'll be running for dear life, so far you might fall off the map / Fuckin' with P, you need the gat / At least you had a opportunity to bust back."
Wie dicht Rap und Realität zusammen liegen, erfahren Mobb Deep am 13. September 1996. Tupac Shakur wird in Las Vegas erschossen. Zu diesem Zeitpunkt läuft Mobb Deeps Single "Drop a Gem on 'Em" noch im Radio. In dem Track antworten Prodigy und Havoc direkt auf 2Pacs Diss-Zeilen im legendären "Hit em Up"-Song ein paar Monate zuvor. P kennt keine Gnade und erinnert Pac an seine Zeit im Knast: "Rikers Island flashbacks of the house you got scufted in / You would think that gettin' your head shot's enough, but then". Und geht später ein weiteres Mal auf die Schüsse auf Pac in New York ein - mit einer klaren Drohung: "Of robberies in Manhattan, you know what happened / Sixty G's worth of gun clappin' / Who shot ya? / You probably screamed louder than an opera / New York got ya / Now you wanna use my Mobb as a crutch / What you think, you can't get bucked again? / Once again". Tja, und once again wurde traurige Realität.
In der Retrospektive schüttelt man den Kopf, wie der Death Row-Bad Boy-Beef zu einem Flächenbrand wurde - oft ohne Sinn und Verstand. 2Pac baute Mobb Deep in seinen Diss-Track gegen Biggie ein, da er dachte, deren Thug Life-Referenz auf "Survival Of The Fittest" von "The Infamous" wäre ein Angriff auf seine Crew - was er nicht war. Wie andere New Yorker unterhielten auch die Queensbridge Finest gute Verbindungen zu LA-Rappern wie Snoop oder Xzibit. Immerhin nahmen Mobb Deep "Drop a Gem on 'Em" nach dem Tod 2Pacs aus dem Radio, ließen ihn jedoch auf dem Album, symbolisieren doch auch diese Zeilen den kompromisslosen Mood des Mobb in jenen Tagen.
In einem Interview mit dem Compex-Magazin 2011 spricht Prodigy über die Gründe für das brutale und kalte "Hell On Earth". "So viele Menschen aus unserem Umfeld starben während der Aufnahmen. Mindestens fünf der engsten Freunde und Familienmitglieder kamen ums Leben. Der Tod um uns herum war allgegenwärtig. Darum geht es auf 'Hell On Earth'. Wir fühlten uns, als würden wir in der Hölle leben."
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
27 Kommentare mit 4 Antworten, davon 26 auf Unterseiten
Yeah. Absolut verdient. War in meinem Umfeld immer ziemlich alleine mit der Meinung Hell On Earth > Infamous.
Direkt ma wieder auflegen.
Sehe ich auch so! Infamous = eigentlich nur Shook Ones, Hell On Earth = Drop A Gem On Em, Bloodsport, Hell On Earth usw, viel hitlastiger!
Whut, mindestens Temperature's Rising und Survival Of The Fittest sind ja wohl zertifizierte Banger, Up North Trip, Cradle To The Grave...
Hell On Earth latürnlich trotzdem verdienter Meilenstein.
Infamous hat vielleicht die paar größeren Hits, aber "Hell On Earth" ist als ganzes Album so viel stärker.
Bin da bei Wudo, sehe auf Infamous mehr standout Tracks, aber vong Gesamtatmosphäre her keine Chance gegen H.O.E.