laut.de-Kritik

Nerdish by Nature.

Review von

Eigentlich hätte dieses Album schon viel früher erscheinen sollen. Unter kommerziellen Gesichtspunkten vermutlich sogar müssen: Anzunehmen, dass Rockstah, als er als gehypeter Newcomer im Frühjahr 2012 in aller Munde und zusammen mit Ahzumjot und Cro auf Crockstahzumjot-Tour war, die eine oder andere Kopie mehr hätte absetzen können. Nur kümmert sich die Realität eben traditionell einen Scheißdreck um hätte-wäre-wenn.

"Mein Album ist nur ein Jahr zu spät." Na, wenns weiter nichts ist ... Irgendwie passt ja auch wieder zur schlurigen Selbstdarstellung, dass ein Fehlgriff bei der Wahl des Labels den Veröffentlichungsprozess um Monate zurück warf. Der Vorteil daran: Das Etikett "neue Reimgeneration", das Rockstah und etliche andere Vertreter seiner Zunft aufgeklebt bekommen haben, hat sich mittlerweile fast wieder abgelöst. Er surft so zwar nicht mehr auf der großen Welle mit, die Cro losgetreten hat, bekommt abseits davon nun aber Gelegenheit, sich komplett frei zu schwimmen.

In die sonnige Schublade, die der Pandamaskenträger für sich und seinen "Raop" gezimmert hat, passte Rockstah ohnehin nie wirklich hinein. Er zeichnet sich seit jeher in ganz anderen Farben: als miesepetrigen, menschenscheuen, desillusionierten Verlierertypen, als "Imagerapper", der sein ganz und gar unglamouröses "Image leider auch noch lebt". "Wir sind nicht schön und reich und werden es auch nie." Statt dessen: Nerdish by Nature.

So, und jetzt passt mal gut auf, ihr aufgepumpten, augenbrauengezupften Sonnenbank-Klone da draußen: Gerade aus völlig fehlender Selbstüberschätzung und entwaffnender Ehrlichkeit schöpft Rockstah seinen Charme. "Hallo, ich bin Rockstah. Das Gegenteil von männlich." Oh, keine Sorge, Junge. Ganz unabhängig vom Testosteronspiegel wirkt Realness, wie sie "Pubertät" im allerbesten Wortsinne zelebriert, schlicht und ergreifend elend sexy.

Mit etwas gutem Willen kann man den Gesang, mit dem Rockstah die eine oder andere Hookline verziert, gerade so als mittelprächtig durchgehen lassen. Ein begnadeter Sänger ist an ihm genau so wenig verloren gegangen wie ein besonders ausgefuchster Rap-Techniker. Stimme: leicht nölig. Flow: noch nicht einmal besonders abwechslungsreich.

Jetzt reichts aber mit den Gemeinheiten. Rockstah macht nämlich trotzdem alles richtig und nutzt seine Möglichkeiten virtuos aus. Konsequent zieht er sein eigenes Ding durch, wohl wissend, dass ein Versuch, auf einen bereits fahrenden Zug aufzuspringen allein schon seiner mangelnden Sportlichkeit wegen zu grandiosem Scheitern verurteilt wäre.

Lieber erzählt er aus dem richtigen, weil seinem Leben, von einer auftragsgemäß mit Daddelei, Comics und Fernsehserien verschwendeten Dorfpunk-Jugend, einer Existenz als "König Außenseiter", als "Pausenclown der New School", der weder bei den Frauen an- noch am Türsteher des In-Schuppens vorbeikommt. Er berichtet vom Aufenthalt im "Hotel Mama", vom drängenden Willen zum Aufstand, der sich dann doch im Aufstehen von der Couch erschöpft, von hochfliegenden Träumen und von Bauchlandungen.

"Echt Erkennt Echt". Ungeschönt zeigt Rockstah seine Welt, schonungslos breitet er sein Innenleben aus und bietet dabei weit mehr Identifikationspotenzial als die Abziehbild-Typen, die mit ihren immer gleichen Geschwätz vom schnellen Geld, dem schnellen Auto und dem schnellen Sex Wunschträume wecken, hinter denen dann doch wieder nur die gähnende Leere lauert.

Leere gibt es bei Rockstah ebenfalls, noch nicht einmal knapp. Er hat allerdings längst auch die auf Hochglanz polierten Fassaden darum herum eingerissen. Zwischen den rauchenden Trümmern seiner apokalyptischen Day-After-Chaostage-Szenarien wohnt dann aber nicht nur trostlose Einsamkeit, sondern eben auch die grenzenlose Freiheit, zu tun, wonach immer der Sinn steht, inhaltlich wie musikalisch.

Schnarrende, scheppernde Gitarrenklänge illustrieren im Titeltrack die "stumpfe Rebellion". Chopped, aber nicht screwed, schrappt der Beat von "Pubertät" über die Trommelfelle. Gitarren dengeln und rocken, wohin man horcht, und gehen kompromisslos originelle Verbindungen mit Synthie- und Computerspielsounds ein. Hier und da, etwa im zarteren "Astronaut", gewinnt Melodieseligkeit die Oberhand. In erster Linie haut diese Platte aber auf die Zwölf, aufmüpfig, anarchisch und vor allem laut.

Dazu hagelt es, was immer Rockstah gerade einfällt. Der Kerl hat nicht nur "Scrubs" und "Star Wars", sondern auch "Tron" und "Wall-E" gesehen, "Sing Star", "Guitar Hero" und unzählige pixelige Jump&Run-Spiele gespielt, Plan B und Casper gehört, die Marvel- und DC-Universen und Mittelerde besucht, und "Der Wal" muss ja wohl direkt aus einem Douglas Adams-Reisehandbuch geplumpst sein. Alles andere würde mich jedenfalls schwer wundern.

Zwischen Gitarreninferno und Zitateschauer passt auch noch eine Liebeserklärung: "Wir hassen jeden, aber wir lieben ja uns." So schnell gründet sich "Die Kleinste Sekte Der Welt". Dass der "Ganzjahresgrinch" ein butterweiches Herz in der Brust spazieren trägt, hat diese anstrengende, aber auch erfrischend unangepasste Platte ohnehin schon vorher offenbart. Jetzt aber: Cape um, Helm auf - und ab zu den Sternen.

Trackliste

  1. 1. Pubertät
  2. 2. Echt Erkennt Echt
  3. 3. Astronaut
  4. 4. V.U.P. Lounge
  5. 5. LOL
  6. 6. Die Kleinste Sekte Der Welt
  7. 7. Hotel Mama
  8. 8. Auftrag: Verschwende Deine Jugend
  9. 9. König Außenseiter
  10. 10. Die Brennende Stadt (Ein Weltuntergang Pt. 1)
  11. 11. Der Wal (Ein Weltuntergang Pt. 2)
  12. 12. Superheldenanzug

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