laut.de-Kritik

Großer Rock zwischen Dandytum, Dekadenz und Dekonstruktion.

Review von

New York, Sommer, 1973: Roxy Music präsentieren ihr Album "For Your Pleasure" live. Etliche Zuschauer rufen störend dazwischen, sobald Frontman Bryan Ferry die Stimme erhebt, und drücken ihre Zuneigung zum federgeboaten, heftig geschminkten Band-Alien Eno aus. Der verlässt daraufhin die Bühne, um die Situation zu beruhigen. Ferry vermutete, Eno habe die Öffentlichkeit womöglich gegen ihn aufgestachelt, sagte aber nichts.

Die zunächst freundschaftliche, kreativ nützliche Bandrivalität beider Kumpel kippte zuletzt ohnehin langsam aber sicher ins Giftige. Eno, dem eine reinigende, ehrliche Konfrontation lieber gewesen wäre als beleidigtes Schweigen, hatte "die Schnauze so richtig voll" und rief: "Okay, fuck it! Ich gehe!" Mit diesem Paukenschlag verließ Brian Eno Roxy Music.

Vorher jedoch hatten beide zum Glück bereits das im März 1973 erscheinende Opus Magnum der Band, "For Your Pleasure", aufgenommen. Trotz oder gerade wegen der Gegensätzlichkeit beider Vordenker geriet die Platte nicht nur zu ihrem besten Werk, sondern ebenso zu einer der wichtigsten und wegweisenden LPs der 70er. Zwischen Dandytum, Dekadenz und Dekonstruktion waren Roxy Music ihrer Zeit acht Songs lang weit voraus.

"Dance on moonbeams. Slide on rainbows. In furs and blue jeans. Do the strand!" "Do The Strand" ist eine Hymne an ewigen Sommer und einer der besten Opener des Jahrzehnts. Mit glamrockender Bubblegum-Melodie voller Sand in den Schuhen, bereits vorweggenommenem Punk-Rhythmus und der eiswürfelcoolen Attitüde des späteren New Wave zeigen Roxy Music sich ebenso innovativ wie prophetisch. Als besonderes Highlight packt Andy Mackay neben seinem Saxophon auch noch eine im Pop/Rockkontext besonders in jenen Tagen mehr als unübliche Oboe aus.

Ferrys Text holt die unterschiedlichsten, recht speziellen Frauen zu sich auf den Dancefloor, darunter Mona Lisa, die Sphinx und Lolita. Seine Zeilen spielen so nonchalant wie unverkopft mit Anspielungen auf große Kunst (bis hin zu Picasso) und stecken alle Damen in High Heels und enge Jeans, auf dass sie mit ihm den "Tanz des Lebens" (O-Ton Ferry) zelebrieren. Wer kann da widerstehen?

Mit dem launigen "Editions Of You" bieten sie einen weiteren Artpop-Klopper derselben Sorte. Es grenzt an Größenwahn: Statt das Stück als sichere zweite Single hinterher zu schieben, verramschen sie es tatsächlich als B-Seite von "Do The Strand". Der Rest der Platte folgt ohnehin deutlich avangardistischeren Mustern. Ihre Formel ist höchst effektiv: Ferry komponiert die eingängige Basis aller Songs und schreibt dazu ausgefeilte Lyrics. Die Bandkollegen addieren unkonventionelle, oft improvisierte Ideen, die den fertigen Cocktail zum schillernden Gesamtkunstwerk erheben. So ist "For Your Pleasure" trotz nahezu alleiniger Songwritercredits zugunsten Ferrys ein echtes Bandalbum.

Letzteres zeigt sich deutlich in den experimentellen Songs. "The Bogus Man" handelt von einem geistig verwirrten Triebtäter. Entsprechend derangiert legt Ferry den Gesang an. Zehn Minuten lang machen Roxy Music daraus einen Spielplatz des Wahnsinns. Das Saxophon pendelt zwischen Delirium und Freejazz vom linken zum rechten Kanal. Eno nutzt die damals noch taufrische Idee des Loopens für seine Effekte. Manzaneras Gitarre webt psychedelische Sounds ein und die Drums greifen als Symbol der Getriebenheit des Stalkers die ebenfalls brandneue Erfindung des Motorik-Beats von Can und Neu! auf.

Als dritte Säule neben Hits und Avantgarde stellen Roxy Music das große Drama. Hierfür packen die Engländer zwei Meisterwerke aus, die ihren gesamten Katalog überragen: "Strictly Confidential" und "In Every Dream Home A Heartache". Ersteres verkörpert mit britischem Sarkasmus das Gegenteil seines Titels. Zutiefst fatalistisch zeichnet das Lied das Bild des nahenden Todes und der letzten Gedanken gen Nachwelt. Stammen sie von einem Selbstmörder, einem Soldaten oder gar einem Verurteilten in der letzten Nacht vor seiner Exekution? Ferry bleibt vage und entwirft mit diesem letzten Lamento grandiose Zeilen, die simultan nihilistisch und philosophisch anmuten. Ferrys eindringlicher Gesang plus das als Mischung von Kammerpop mit Rock dahingleitende Arrangement saugen die Aufmerksamkeit des Hörers auf wie ein Schwamm.

"In Every Dream Home A Heartache" setzt sogar noch einen drauf: ein Kultsong unter Fans wie Kritikern, der seitdem auf jedem Roxy-Gig den unumstrittenen Höhepunkt markiert. In eisiger Proto-Wave-Atmosphäre seziert Ferry die anonyme Kälte des modernen Lebens. Zynisch gipfelt der Song in der Liebeserklärung an eine aufblasbare Sexpuppe, deren plastinierter Körper längst alles Organische aus dem Leben des Protagonisten verdrängt hat. "I blew up your body. But you blew my mind!" Die musikalische Raffinesse kulminiert im totalen Fadeout kurz vor Schluss, um für einen letzten klanglichen Orgasmus eruptiv zurück zu kehren. Zweifellos eines der besten Lieder aller Zeiten, dessen traurige Aktualität auch nach über 40 Jahren Gänsehaut verschafft.

Das finale Titelstück markiert dann endgültig die letzte Zusammenarbeit von Bryan und Brian für gute 20 Jahre. Erst auf Ferrys "Mamouna" treffen sich beide 1994 wieder. Künstlerisch hinterließ die Trennung keine langen Gesichter. Bereits Ende des Jahres lieferte Roxy Music das sehr gelungene "Stranded". Eno brachte mit "Here Come The Warm Jets" 1974 ebenfalls ein sehr gutes Rockalbum heraus und mutierte kurz darauf zum Ambient-Pionier.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Do The Strand
  2. 2. Beauty Queen
  3. 3. Strictly Confidential
  4. 4. Editions of you
  5. 5. In every dream home a heartache
  6. 6. The Bogus Man
  7. 7. Grey Lagoons
  8. 8. For your pleasure

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