laut.de-Kritik

Zwischen Nine Inch Nails und innovativem Hip Hop.

Review von

Ähnlich wie Radioheads "In Rainbows" entschieden sich Trent Reznor und Saul Williams ihr gemeinsames love child "Niggy Tardust" übers Netz zu vertreiben (Bezugsquelle s. Link oben).

Mit zwei Unterschieden: "The Inevitable Rise And Liberation Of Niggy Tardust" kann nur übers WWW bezogen werden, und man kann beim zu zahlenden Betrag zwischen zwei Varianten wählen. Entweder drückt man äußerst günstige fünf Dollar ab oder gar nix.

Und dann kommt wieder unweigerlich die Frage auf: Was kann ein Album, das ausschließlich im Internet erscheint? Man erwischt sich dabei, dem Album voreingenommen den Status eines hingerotzten Nebenprojekts zu attestieren. Und übersieht, dass zwei hochtalentierte Superfreaks am Werk sind, die einem gleich mit dem Opener gehörig einschenken.

"Black History Month" mit seinen Maschinengewehr-Beats, in bester NIN-Tradition gebitcrusht, um so richtig schön dreckig zu klingen, durchdringt den Hörer in kürzester Zeit vollständig. Sonic warfare galore, diesen Song kann man eigentlich gar nicht laut genug hören. Herkömmliche Technik und das menschliche Gehör lassen es nicht zu.

Der wundersame Rapper-Poet Williams fließt locker, aber mit einer gewissen Dringlichkeit und stets gut verständlich über dieses Inferno aus Drums und Bass. Die Lautstärke kann man in der Folge getrost oben lassen, denn auch "Convict Colony" hämmert ganz schön, wenn auch diesmal mit einem klassischen Band-Setup inklusive Drums und Synthesizern.

Williams und Reznors "Niggy Tardust" bewegt sich also irgendwo zwischen den düsteren Soundflächen der Nine Inch Nails und mehr oder weniger innovativem Hip Hop. "Tr(n)igger" sampelt über einen oldschooligen Beat Public Enemys "Welcome To The Terrordome". Bis hier her ist alles großartig.

Doch dann vergreifen die beiden sich an U2s "Sunday Bloody Sunday", einer Nummer, die ohne Bonos ikonenhaftem Gesang kaum zu denken ist. Musikalisch interessant umgesetzt, kann Saul dem Lied leider nicht gerecht werden.

Dafür packt das langsame, aber unglaublich dichte "Break" den Hörer sofort wieder. Überdeutlich trägt dieser Track die Handschrift Reznors, der sich nun erstmals selbst am Mikrofon zu Wort meldet. Den Wechsel zwischen aggressiver, lauter Hookline und ruhiger, flächiger Strophe zelebriert der NIN-Mastermind nahezu in Perfektion.

Im Quasi-Titeltrack ist es dann genau anders herum. Williams Stimme steht im Vordergrund, hier spürt man deutlich die Präsenz, die in seinem Organ liegt. In "DNA" ist dieses mit einem fiesen Effekt belegt, so dass sie gerade eben nicht mehr natürlich klingt. "WTF!" zeigt die beiden von einer ruhigen Seite. Zum Klavier singen sie im Duett, und erst gegen Ende wächst die Nummer zu einer kontrollierten Noiseattacke an.

"Scared Money" bezieht seinen Charme aus dem Bläsersample, den Percussions und dem alles dominierenden Flow des Wortakrobaten. Musikalisch sicher einer der ungewöhnlichsten Tracks auf "Niggy Tardust". Superreduziert wird Williams auf "Raw" nur von ein paar zurückgenommenen Beats begleitet.

Auch "Skin Of A Drum" (hier merkt man, wie sehr die Gesangslinie Reznors Handschrift trägt - ein Eindruck, der sich des Öfteren aufdrängt) und "No One Ever Does" (auf dem Williams wie ein alternativer Seal klingt) nehmen Geschwindigkeit und Intensität zu Gunsten von mehr Atmosphäre heraus.

"Banged And Blown Through" geht unter "wenig spektakulär" durch, das hervorragend arrangierte und inszenierte "Raised To Be Lowered" sorgt nach hinten raus aber noch mal für Begeisterung. "The Ritual" lebt vor allem von Reznors Elektronikarmada und einem anspruchsvollem Beat. Nach fast einer Stunde Spielzeit bleibt ein intensives Album mit minimalen Anteilen an Füllmaterial zurück.

Reznor und Williams wirken auf "Niggy Tardust" wie zwei, die sich gesucht und gefunden haben. Ob diese Kollaboration Zukunft hat, entscheiden die beiden, ihr love child ist definitiv eines der besseren Alben des Jahres. Der Download kommt übrigens mit "Cover"-Foto und einem 33-seitigen, liebevoll gestalteten Artwork-pdf.

Trackliste

  1. 1. Black History Month
  2. 2. Convict Colony
  3. 3. Tr(n)igger
  4. 4. Sunday Bloody Sunday
  5. 5. Break
  6. 6. Niggy Tardust
  7. 7. DNA
  8. 8. WTF!
  9. 9. Scared Money
  10. 10. Raw
  11. 11. Skin Of A Drum
  12. 12. No One Ever Does
  13. 13. Banged And Blown Through
  14. 14. Raised To Be Lowered
  15. 15. The Ritual

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Sternzeit 1986, Planet Erde, Chicago. Im Umfeld der Arbeiter- und Punkszene der nordamerikanischen Metropole (im "Green Mill" Jazzclub, von Marc Smith …

7 Kommentare

  • Vor 17 Jahren

    Gestern für 0€ heruntergeladen, heute für 3,47€ über PayPal gekauft. So lasse ich mir Musikkauf gefallen.

    Klasse Album, dass in keine Schublade passt!

  • Vor 17 Jahren

    Dieses Album ist wirklich sehr geil - und wirft daher die Frage auf, weshalb Schund zu Höchstpreisen in Massen abgesetzt wird, während Kunst offenbar VERSCHENKT werden muss, um überhaupt jemanden zu erreichen.

    Ehrlich gesagt hätte ich dieses Album gerne als "echte" Cd mit schöner Hülle und für 16 EUR gekauft ... meines Gewissens wegen.

    Geile Mucke, konstatiert:
    Christian Stenger, der das "Sunday-Bloody-Sunday"-Cover eigentlich ziemlich hot findet.

  • Vor 17 Jahren

    Ich war überrascht wie gut dieses Album ist. Dachte mir, ich lad es mal runter und hör es mir an, wenns gefällt kann man ja immer noch bezahlen. Und bei diesem Album hätte ich auch gerne 16-18 Euro im Laden mit Hülle und Booklet bezahlt.

    P.S.: Fand es viel eifnacher dieses Album runterzuladen als das von Radiohead