laut.de-Kritik
Karaoke, bestenfalls eine Kopfgeburt.
Review von Eberhard Dobler"Ich hatte den Eindruck, dass Scarletts tiefe und bedeckte Stimme eigentlich vor jedem musikalischen Hintergrund grandios klingen würde." David Sitek, seines Zeichens TV On The Radio-Kopf und Johanssons Produzent, hätte Marketingchef werden sollen.
Als fundierte Beurteilung der Gesangsqualitäten des jungen Hollywoodstars ist die Aussage jedenfalls nicht ernst zu nehmen. "Tief" ja, aber "grandios"? Stattdessen muss man der Schönen mit der schwachbrüstigen Stimme schon nach kürzester Zeit zurufen: "Jetzt singt sie auch noch".
Obwohl sich Johansson fürs Albumdebüt eine schöne Sache ausgedacht hat: Eine Tom Waits-Coverplatte inklusive dem eigenen Stück "Song For Jo". Dazu verpasste eine Handvoll lässiger Popmusiker ihren liebsten Waits-Sücken je ein neues, vielgliedrig arrangiertes Antlitz. Mit im Studio waren etwa Yeah Yeah Yeahs-Klampfer Nick Zinner und sogar Sitek-Bewunderer David Bowie sang kurz mit.
Man kann nun Scarletts Anti-Mainstream-Geschmack abfeiern und sich für Siteks musikalisches Talent begeistern, das der New Yorker ideenreich unter Beweis stellt. Programmierungen, Liveinstrumente und Geräuschaufnahmen verschmelzen zu einer Melange, die stilistisch - ähnlich TV On The Radios - kaum Berührungsängste kennt.
Neben den bluesig-folkigen Roots der Originale prägen der New Wave der 80er und schleppendes Tempo die dahin mäandernde Atmosphäre der Platte. Natürlich meint man auch die leichte Schwermut und Melancholie von Johanssons Erfolgsfilm "Lost In Translation" durchzuhören.
In Wahrheit bleibt aber eine unüberhörbare Diskrepanz zwischen Original und Cover bestehen. Dafür ist in erster Linie Scarletts dünne und emotionslose Intonation verantwortlich - kurz: sie kanns nicht. Man stelle zur Beweisführung die beiden "Fannin' Streets" gegenüber.
Den Meister zu kopieren, kommt immer einer Todsünde gleich - dies passiert hier natürlich nicht. Doch wo Tom Waits zumindest theoretisch fähig wäre, mit "Fannin' Street" auf jeder Beerdigung die Herzen bluten zu lassen, liefert Scarlett Karaoke, bestenfalls Kopfgeburt ab. Ihre Leier nervt kolossal. Selbst die Ramones sind Waits' Melancholie mit einem höllenschnell runter gerotzten "I Don't Want To Grow Up" näher.
Sicher, alle Beteiligten hatten musikalisch gesehen fünf interessante und produktive Wochen im Studio in Louisiana - aber das wars. Vorurteile sind bekanntlich dafür da, widerlegt zu werden. Eines lautet: Schauspieler sollten besser nicht zum Mikro greifen. Wer den Gegenbeweis haben möchte, der sehe sich lieber Juliette Lewis live an.
72 Kommentare
Als ich davon hörte, dass die Johansson ein Waits-Album aufnimmt, habe ich zunächst mit nichts relevantem gerechnet. Durch die lobende Äußerung Bowies und dessen Engagement bei der Aufnahme, änderte sich die Erwartungshaltung beträchtlich..
Nun konnte man die gute Scarlett bislang ohnehin nie als Hollywoodteenietussi abtun, die entweder zum H&M-Britney-Beyonce-Lager gehörte, noch zum Emo-Bereich oder Pseudorebellentum a la Avril Lavigne. Sie ist vielmehr mit den ganz großen alten Meistern aufgewachsen, wie Velvet Underground, Stooges, Bowie und Waits. Ebenso schätzt sie die amerikanischen Indie-Alternative-Helden der 80er Jahre sehr. Das Mädchen weiß also gut bescheid für eine 22 jährige.
Und nun auch noch dies! Was bitte ist das für ein Album?
Da ist zunächst der Gesang. Johanssons Stimme hat eine Klangfarbe, die – vollkommen unerwartet – nichts zartes und mädchenhaftes in sich trägt. Sie erinnert eher an eine zeitgenössische Mischung aus Marianne Faithful und Nico. Der Eindruck verstärkt sich mit jedem Song, wobei S.J. stetig zwischen emotions- und teilnahmslosem Sprechgesang a la Lou Reed bzw. Anne Clark einerseits und den dunkelsten Momenten Faithfuls andererseits pendelt.
Entsprechend kühl, metallisch und aus dem off kommend, wurde die Stimme in den Sound gemischt. das musikalische Fundament ist ähnlich anti-waits-artig gestrickt.
Der Klang des Albums ist vollkommen anachronistischer Frühachtziger-New-Wave. Klinisch und anorganisch wie weiß gekachelte Räume tönt es aus den Boxen.
„I don’t wanna grow up“ zb könnte sehr wohl von alten Elektrohelden wie John Foxx oder Anne Clark stammen.
„Anywhere i lay my head“ und „who are you“ sind eins zu eins Soundkopie von Peter Gabriel 1980 (biko-phase) inclusive der typischen Percussion und beckenlosen Drums (die schon Phil Collins für „in the air tonight kopierte). Anämisch legt Scarlett - ohne jede reminiszenz an ihre Jugend – ihre vollkommen trostlosen Vocals darüber, was im Zusammenspiel eine total resignative Stimmung erzeugt.
Die gelegentlich auftauchende Voodoo-Orgel vermag dem Sound auch keine Lebendigkeit einzuhauchen und soll dies auch nicht.
„A town with no cheer“ beispielsweise quält sich auf diese Weise wie ein Zombie durch seine untote 5 minütige Existenz..
Auf „Falling down“ und „Fannin’ street“ bildet Bowie mit seinen weichen Backingvocals den warmen Konterpart, das Yang zu Johanssons aseptischem Ying. Das klappt ganz wunderbar. Die Songs werden hier der Eindimensionalität entrissen und beginnen kontrastreich zu funkeln. Ohnehin fällt es angenehm auf, wie diszipliniert Bowie auf jede egozentrische Dominanz verzichtet, der Kleinen großväterlich den nötigen Raum zur Entfaltung lässt und sich selbst vom Duettpartner zum Hintergrundsänger degradiert. Das funktioniert auf dem Album ähnlich gut, wie seinerzeit auf Iggy Pops „Passenger“ bzw „Tonight“ und Placebos „Without you I’m nothing“.
„Green gras“ ist vielleicht das erste Doom Country Stück überhaupt. Grün ist das gras hier schon lange nicht mehr. Da fegt höchstens noch ein Tumbleweed durch die fordernde und verschlingende Wüste. Heraus kommt man da nicht mehr; auch nicht als Hörer. Die Produktion klingt ausnahmsweise nicht wavig, sondern nach Nick Caves Bad Seeds zu Zeiten Blixa Bargelds.
„I wish i was in New Orleans“ befreit sich von dem klassischen Jazzballadenkleid des Originals von 1976. Ein alptraumhaftes Psychoglockenspiel bleibt einziges Begleitinstrument. Dennoch kllingt S.J. hier tatsächlich ein wenig femininer und hoffnungsvoller als auf den anderen Tracks.
„Falling down“ löst sich genauso vom original (Big Time 1988) und macht Waits krächzenden Blues zum einbeinigen Walzer.
Der von Johansson selbst verfasste „Song for Jo“ muß sich gar nicht hinter den anderen Tracks verstecken; ein ruhiges Landschaftsbild an dessen Ende man sogar Vogelzwitschern vernehmen kann steht im Kontrast zu Scarletts Telefonzeitansagestimme..
That’s real Gothic!
Das alles beraubt Tom Waits’ Kompositionen komplett ihrer typischerweise innewohnenden Kauzigkeit. Die oft sehr melancholischen berührenden Melodien werden hier zur waschechten Depression, die keinen Platz lässt für Waits’sche Selbstironie oder das ihm eigene humorvolle Augenzwinkern. Und das ist gut so; möglicherweise sogar die einzig gehaltvolle Art, das Unkopierbare zu interpretierbaren.
Rod Stewart hat „Downtown Train“ und „Tom Traubert’s Blues“ fast hingerichtet.
Springsteen hat „Jersey Girl“ seine romantische Intimität geraubt.
Da muß dann erst so eine 22 jährige Göre kommen, die viel mehr verstanden hat, auf welche Art man überhaupt covern darf und wie man die Hörerwartungen des Mainstream vor die Wand fährt.
Onkel Tom wird seine diebische Freude daran haben.
Er wohnt nicht in diesem Album. Aber er sitzt hinterm Haus in Scarletts Garten. Gemeinsam trinken sie entkoffeinierten Kaffee und lachen über jene, die solche Kunst nicht verstehen.
Mhh
ich weiss ja nicht, was ich von der Musik halten soll. Ich hab zugegebnermaßen nur über Myspace reingehört, aber da fand ich das ganze alles etwas zu flach vom Sound zu nichtssagend.
Werd bei Zeiten mal ausgiebiger reinhören, aber bisher hat mich Scarlett Johanssons Waits Interpreation noch nicht so vom Hocker gehauen.
glaub ich dir aufs wort.
aber nach 3 maligem hören wächst das.
.z
ist an mir ein bisschen vorbeigegangen.
kenne nur "falling down".
und finds ziemlich grandios...
@dein_boeser_Anwalt (« ein kompliment ?
oder ein dokument deiner ahnungslosigkeit ? »):
Ein Komoliment! Aufjedenfall!!! Ich hab dich doch sehr lieb!