laut.de-Kritik
Kunst siegt über Funktionalität.
Review von Dominik LippeDie Bahn rollt heran. Rumpelnd und scheppernd dreht dieser metallische Albtraum für jeden sinnlichen Menschen seine Runden unter der Stadt. Ein warmes jazziges Instrumental setzt ein, um die repetitive Zumutung behutsam abzulösen. Noch bevor Shacke One seine Stimme erhebt, hat er bereits seine erste zentrale Botschaft unter die Hörerschaft gebracht. "S1" feiert den Sieg der Kunst über die großstädtische Funktionalität. "Mach' den Notausgang auf, ich muss raus hier. Die Luft ist zu verseucht, ich muss atmen, glaub' mir."
"Wart' seit Jahren auf den Frühling, die Stadt bringt mich in Rage", moniert er im abgründigen "Unter Strom", das seine Verse ebenso wie im Posse-Track "Endstation" in einen "Gullydeckel-Sound" hüllt. "Ich will hoch hinaus, doch tief unterm Niveau bleiben", behauptet er zwar mit Berliner Schnauze, doch längst liegen die Tage hinter ihm, in denen er den Fick-deine-Mutter-Kanon um ausgefallene Variationen bereicherte. Augenfällig stellt sich seine Entwicklung dar, ob er nun in "Fame" die Verführungskraft des Erfolgs reflektiert oder aus der "Vogelperspektive" auf die urbanen Abgründe blickt.
Seine Großstadtlyrik weckt immer wieder Assoziationen zu Gerhart Hauptmanns "Bahnwärter Thiel", der die Eisenbahn zur Zeit der heraufziehenden Industrialisierung als bedrohliches Ungetüm skizzierte. Nun bahnt sich die "S1" ihren Weg, während Shacke Ones "Seele eins mit der Stadt" wird. Wie Thiel beschreibt sich der Rapper als Produkt seines Milieus. Auch die Triebhaftigkeit sowie der Kontrast zwischen rabiatem Auftreten und sensiblem Innenleben, das hier vor allem in den Instrumentals seinen Ausdruck findet, überschneidet sich mit der Figur aus Hauptmanns Erzählung.
Mit Achim Funk hat der Nordachse-Rapper den idealen Flügelmann für seinen Ansatz gefunden. Stets wirkt sein Anteil eigenständig und gleichberechtigt, statt wie die bekannten Hit-Fabrikanten nur die Rolle des Dienstleisters auszufüllen. Während Shacke One mit seinem im Battle-Rap geschulten Vortrag zu fast jeder Zeit selbstbewusst klingt, gibt Funk den Songs mit seinen wunderschönen, samplelastigen Instrumentals eine zusätzliche Ebene. "Fame" flötet etwa leicht wie ein softerotischer Agentenstreifen, um dann wiederum hochfrequent und konzentriert die Karriere mit voranzutreiben.
"Nordberliner" überzeugt als Partysong mit klassischem Funk, "Papi Chulo" setzt auf südamerikanische Rhythmen und "Prahlen Und Vorangehen" behält mit seinem Hinterhof-Sound immer ein Bein im Schatten. Von dort aus spottet Shacke One über die üblichen Themen und Probleme seiner Genre-Kollegen. "Die Krux an der Sache ist, ihr seid alle peinlich. Rapper reden von ihren Beefs, aber sind Ende 30", bringt er die infantile Geisteshaltung auf den Punkt und fragt in Anbetracht der herrschenden "künstlerischen Dummheit": "Warum Scheiße, wenn es auch mit Stil geht?"
"Interlude 1" bietet eine instrumentale Pause zum Durchatmen, bis es wieder "Back 2 The Streets" geht. Bei allen Veränderungen, die das Leben mit sich bringt, verlaufen die großen Bahnen dort immer identisch: "Alles ändert sich und alles bleibt gleich, denn die Zeit, sie geht nicht vorbei, nein, sie dreht sich nur im Kreis." Aus diesem gibt es einen endgültigen Ausbruch, den Shacke One gedanklich von sich fern hält ("Langweilt mich zu wissen, wie es ausgeht"), und einen vorübergehenden mithilfe eines radikalen Ortswechsels: "Ich will einmal um die Welt und danach wieder nach Hause."
Darin liegt der zweite Widerspruch in der Figur. Hinter dem stets mit losem Mundwerk zur Schau getragenen Lokalpatriotismus verbirgt sich eine für das Genre ungewöhnliche Weltläufigkeit. Songs wie "Papi Chulo" fliehen bereits mit ihren lateinamerikanischen Instrumentierung aus der unkultivierten Heimat. Aber auch textlich strebt er nach einem weltgewandten Ideal, wenn er in "Da Seh Ich Mich" betont: "Ich seh' mich schwer belesen auf 'ner Finca, aber triff' mich an der Ecke, alle drehen krumme Dinger." Als "Diskohengst" sucht er an den entlegenste Orten des Globus nach ausgefallener Musik.
"Erst die Klassiker, dann die Raritäten, dann wird der Sound obskurer. Hör' mal weiter Top 100 wie die anderen Loser", durchstöbert er die Vinyl-Platten im stilecht auf 16-mm-Film gedrehten Video. Anstelle des Digitalen schreibt er der Stofflichkeit eine hohe Bedeutung zu: "Sie erzählen ihm was von Netflix, erzählen ihm was von Rap-Hits, erzählen ihm irgendwas von Insta, doch interessiert ihn nicht letztendlich." Shacke One wehrt sich gegen die leichte Verfügbarkeit von Kunst, die sie doch nur entwertet, und setzt erneut das künstlerische Schaffen über die reine Funktionalität.
9 Kommentare mit 14 Antworten
Die Instrumentalspur ist ja ganz ok bis richtig gut.
Aber diese Stimme geht ja mal gar nicht.
5/5, was zur Hölle.... Ich kann aus Geschmacksgründen nichts mit dem Typen anfangen, aber auch ohne mein persönliches Empfinden ist die Scheibe sicherlich nicht fünf Punkte wert.
Ich mag Shacke ja, aber würde ihm auch niemals 5/5-Potential attestieren.
Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.
Endlich kann ich es auch mal schreiben: Ungehört 5/5.
na siehste, geht auch mit Vielfalt und vorallem mit Passion! gutes Album, auch wenn keine 5/5.
Shacke ist einfach einer der größten im Untergrund, und soll es auch bleiben.
Die Nodachse Cashgroup verdient ohnehin die 5/5. Was die Jungs immer wieder auf die Beine stellen ist schon beachtenswert, mit Shacke und Heiko auch zwei absolute Sympathieträger an Bord. Ausm Kiez fürn Kiez halt. Allein musikalisch für das Beatpicking ist die 5/5 hier hochverdient. In den Podcasts spricht er auch öfters darüber, kann ich empfehlen mal reinzuhören. Ist auch im allgemeinen immer sehr unterhaltsam. Shacke ist zudem einer, der den Namen MC noch absolut verdient. Keine Kopfhörer drin beim Gig, kaum Back-Ups benötigt und jederzeit top verständlich und in Form. Die beiden Konzerte im Astra waren absolute Highlights, kann die Tour jedem nur ans Herz legen (und das nicht nur wegen des Freibiers).
Starke Scheibe, Shacke mehrfach mit schönen Bildern, ohne dass es je verkrampft wirken würde und die Instrumentals von Achim Funk legen auf das ohnehin hohe Niveau von Shakitistan vielleicht sogar nochmal ne Schippe drauf. Kann man schon so sehen, dass auch die Alben überhaupt sich stetig auf diesen (vorläufigen) Höhepunkt gesteigert haben.
5 Sterne sind es für mich trotzdem auch diesmal nicht, weil es dafür entweder thematisch oder in der Ausführung schon was spektakulärer sein dürfte. Sicher, Shacke lässt zwischendurch ein paar ganz gescheite Gedanken zur Entwicklung der (seiner) Großstadt samt Milieus durchblitzen und die eingesträuten Thementracks hat man ganz bestimmt schon vielfach dümmer gehört. Aber im Großen und Ganzen wird halt gesprüht, gesoffen, gebumst und der Geilste in all dem ist man natürlich sowieso. Vielleicht ist er in meiner Wahrnehmung da auch ein bisschen in einem Dilemma gefangen, weil ich zB einem Titel wie Papi Chulo durch die liebevoll-stimmige musikalische Untermalung seine stinklangweilig wiedergekäuten Sexprahlereien erst so richtig übelnehme, während der mit billigstem Puff- und Suffgelaber dargereichte MC Kneipenkrieger-Part auf Endstation gerade dank Trashfaktor mein größter Lacher auf dem Album ist. Kann aber natürlich auch einfach mein ureigener Shizo-Doppelmoralismus sein, kein Plan ¯\_(ツ)_/¯
Im Ergebnis jedenfalls eine kurzweilige, gerade musikalisch wunderbar in den Sommer passende Platte, aber mMn jetzt keine Offenbarung.