laut.de-Kritik
Zwischen Hipster-R'n'B, Pop-Ballade und Indietronica.
Review von Matthias MantheToph Taylor spielt so perfekt auf den Klaviaturen von Pabst Blue Ribbon-R&B und Indie-Electronica, dass ich es ihm im Affekt beinahe anlasten will, zu verdammt eingängig zu sein. Als S O H N verflechtet der aus London stammende Wiener die Stränge von James Blake, How To Dress Well und Jamie Woon zu geradezu vollkommenen Dreiminütern.
So viel elaborierte Dunkelpop-Finesse auf einem Debüt ohne viel Vorlauf kann ja gar nicht, denke ich. Und in der Tat trifft zumindest der Debütanten-Aspekt auf Taylors 4AD-Premiere nicht zu. Als Trouble Over Tokyo brach der Engländer schon um 2006 herum auf, zeitgenössischen Hochglanz-R&B mit introspektiven Indie-Befindlichkeiten zu vereinen.
Als einer der ersten trat er mit Justin Timberlakes Falsett unterm Arm durch den Spiegel. Auf der Schattenseite blieb das R&B-Pathos bestehen, hinzu gesellte sich das Indietronica-Alphabet. Inhaltlich rückten Introspektion und Melancholie an die Stelle des notorischen R&B-Sujets Sex.
Insofern tut ihm Unrecht, wer S O H N heute als bloßen Nachzügler des Poststep-R&B begreift. Vielmehr tradiert "Tremors" bedingt den eigenen Genre-Mix. Dabei distanziert sich Taylor jedoch zugleich von Indietronics-Niedlichkeit: Sein jetziges Projekt sei ganz anders als frühere Arbeiten, sagt er.
Was trotz aller verhältnismäßigen Linearität im Soundbild auch zutrifft. S O H N pustet die larmoyanten Songkerzen des vorherigen Projekts aus. Er wandert mittlerweile lieber durch lichtlose Großstadtgassen. Die 4AD-Premiere atmet eine nächtliche Schwere, die durch die Helldunkel-Kontraste im Soundbild noch verstärkt wird.
Denn während Taylor das Falsett ein ganzes Stück weit zurückfährt, unterfüttert er seinen chopped & screwed Neo-Soul wie Woon und Blake mit samtigen Untertönern. So entsteht ein atmosphärischer Raum, der nie überladen wirkt, sondern lyrische Motive, etwa das der Einsamkeit, auch klanglich artikuliert.
Die Auflösung erfolgt, wenn sich Rhythmusabteilung sowie aufgeräumte Synthieflächen aus dem Hintergrund stehlen und den Song auf die Spitze treiben. Mal nach Minimal Techno-Spielart ("Lights"), mal in Glitchcore-Manier ("Bloodflows"), oder durch die harmonische Multiplikation und Modulation der Stimme ("Lessons").
Auf diese Weise erzielt S O H N einen überaus ansprechenden dramaturgischen Effekt, der das Popformat beinahe episch wirken lässt. Wobei der Wahlösterreicher auch nicht zögert, seiner Gesangsstimme allein die Verantwortung für eine reduzierte Pianoballade wie "Paralysed" zu überschreiben.
Das Gesamtbild fällt überaus harmonisch aus. Changierend zwischen Hipster-R&B und Popballade, Diplom in zeitgenössischer Electronica-Produktion in der Hand, macht Taylor fast alles richtig. Sein 4AD-Debüt mischt genau die richtige Menge perkussive Kleinteile unter die zahlreichen Pophooks - es gibt genügend Nährwerte zum Zerkauen, ohne dass die absolute Eingängigkeit von "Tremors" in Frage gestellt würde.
7 Kommentare mit einer Antwort
ich fand ja sein Trouble over tokyo projekt super, mal schaun wie das Album geworden ist
"Balade"? "Ballade"?
Klasse Album.
danke herr Gerner!
"Hipster-R'n'B" ist das jetzt ein euphemismus für Möchtegern R'n'B. Na wie auch immer, diese Formulierung hätte mir Warnung sein sollen. So ziemlich das langweiligste, gleich neben Pharrels "Girl", was ich dieses Jahr gehört habe.
finds auch sehr eingängig. mehr davon.
Starke Platte, noch immer.