laut.de-Kritik
Die Mitternachtssonne scheint auf die Könige der Einsamkeit.
Review von Manuel BergerSólstafir sind eine dieser Bands, die erstens offenbar nichts Schlechtes abliefern können, und zweitens sich jedesmal selbst übertreffen. Dass die Isländer auch ihre vierte LP "Svartir Sandar" toppen können, war trotzdem nicht unbedingt vorherzusehen. Doch irgendwie haben sie es auch diesmal wieder geschafft.
"Ótta" entfernt sich zwar oberflächlich noch weiter von den (schwarz-)metallischen Wurzeln der Band, die rohe Kälte und Rastlosigkeit dieser Ursprünge verkörpern Sólstafir aber noch immer. Vielleicht sogar mehr denn je. Genres spielen im Kosmos der Formation ohnehin längst keine Rolle mehr.
Stärker als je zuvor rücken die ruhigen Momente in den Mittelpunkt. Der Opener "Lágnætti" verharrt zunächst auf einsamen Klavierakkorden. Aðalbjörn Tryggvason singt mit zerbrechlicher Stimme, im Hintergrund weben Streicher zaghaft einen feingliedrigen Klangteppich. Letztere übernehmen schließlich die Führung und beginnen ein eindrucksvolles Laut-Leise-Spiel, das sich durch das gesamte Album zieht.
Wenn nach gut zweieinhalb Minuten zum ersten Mal Gitarren und Schlagzeug zum Einsatz kommen, offenbart sich eine produktionstechnische Glanzleistung. Während Piano- und Streicherparts voll und schon nahezu warm klingen, brechen die typischen Bandinstrumente rau und ungeschliffen herein. Der harte Kontrast zwischen zarten Harmonien und groben Post Metal-Einschnitten greift jedoch hervorragend die Intention der großflächig angelegten Kompositionen auf.
Wie gewohnt nehmen sich Sólstafir viel Zeit, ihre Stücke zu entwickeln und aufzubauen. Häufig münden akustische Parts in ausufernde Jam-Passagen, aus denen sich wiederum neue Melodien herausschälen. Trotz sperriger Grundlage setzt sich einiges sofort im Gedächtnis fest. Die Hook von beispielsweise "Dagmál" oder die simple, viertönige Noiserock-Melodie in "Miðdegi" hat man bereits nach dem ersten Hören verinnerlicht.
Als weniger griffig, aber nicht weniger herausragend, entpuppt sich "Nón", das mit seiner mächtig wummernden Bass- und Gitarrenwand nach und nach zum straighten Stoner Rocker mutiert. Nur scheint bei den Nordmännern nicht die Wüsten-, sondern – wenn überhaupt – die Mitternachtssonne.
Selbiger kann man im nachfolgenden "Miðaftann" beim Untergang beiwohnen. Der Track verzichtet ausnahmsweise komplett auf die Stromfraktion und hangelt sich an pfeifenden Obertönen und traurigen Klaviermelodien entlang zum verzweifelten Violinenhöhepunkt. "Náttmál" vollendet die von "Lágnætti" begonnene Kreisbahn und fasst "Ótta" in ganzen elf Minuten noch einmal wunderbar zusammen.
Die beiden nachgeschobenen Bonustracks "Tilberi" und "Til Valhallar" sind zum Glück nur das: Bonustracks. Auch diese finden auf hohem Niveau statt und "Tilberi" wartet mit einigen hübschen Drumparts auf. Doch auf klangtechnischer Ebene können die Stücke nicht mit der regulären Titelliste mithalten. Außerdem treffen sie eine andere Grundatmosphäre.
Freunde der frühen Bandtage dürften sich allerdings freuen. Denn hier kommen die Black Metal-Einflüsse der Combo deutlicher zum Tragen. Besonders natürlich in "Til Valhallar", einem alten Song der 1996 veröffentlichten, gleichnamigen 4-Track-EP. Als nette Dreingabe lohnt sich das Zusatzmaterial, das neben den beiden Genannten auch noch einen stimmigen Instrumentalmix des Titeltracks enthält, also allemal.
Doch ob mit oder ohne Bonus – Sólstafir präsentieren auf "Ótta" acht bärenstarke Zeugnisse ihres außergewöhnlichen Schaffens. Schon "Svartir Sandar" war ein Kunstwerk für sich. Der Neuling baut auf diesem Fundament auf, erweitert es und gelangt zu einem noch homogeneren, noch stimmigeren, noch zielgerichteteren Gesamtbild. Wollt ihr karge Schönheit? Wollt ihr grenzüberschreitende Musikalität? Die Könige der Einsamkeit stehen euch zu Diensten.
7 Kommentare mit einer Antwort
'"Svartir Sandar" war ein Kunstwerk für sich.'
...und wurde damals von laut.de einfach übergangen.
Seis drum...
Ótta werd ich mir sicherlich auch zulegen. Gute Band!
große band. bin sehr gespannt auf die platte.
'"Svartir Sandar" habe ich leider relativ schlecht in Erinnerung, da der Sprechgesang oder was das war die Tracks ruiniert hat und der war nun mal auf mehreren Tracks vorhanden. Außerdem war die Single (1. Track der ersten cd?) extrem popig. Muss jedoch zugeben, dass ich es nur ein paar Mal gehört habe. Dagegen war der Vorgänger aber ein Meisterwerk harter Gitarrenmucke.
Auf dem neuen Album von Yann Tiersen findet sich ein fast identischer Part, dem steht sowas bessser.
Ich hab den stream hoch und runter gehört. Was für ein Brett. Morgen wird ein guter Tag!
Neben Lantlos, Agalloch und Alcest wird dies mein Kopfkino bereichern.
Grandioses Werk. Mir scheint ein Eisberg kalbt. 9 von 10