laut.de-Kritik
In Bayern ist ein Glas Weißbier umgefallen.
Review von Sven KabelitzWenn man so will, kann man sich darüber freuen, dass man sich in diesen turbulenten Zeiten auf bestimmte Werte verlassen kann. Unter dem leicht irreführenden Namen "Sturm & Stille" veröffentlichen die Heimatfilm-Musikanten Sportfreunde Stiller "Die Gute Seite 6.0". Oder wie man in Preißn sagt: In Bayern ist ein Glas Weißbier umgefallen.
Wenn man so will, kann man sich als Konsument ernst genommen fühlen, da man hier den gewohnten Friede, Freude, Weißwurst-Rock im siebten Aufguss geboten bekommt. Es gilt weiterhin die Devise: Bloß keine Experimente. Auf gar keinen Fall. Das kundenorientierte Produkt klingt dabei so altbacken wie die Beginner auf "Advanced Chemistry". Nur waren die Sportfreunde leider nie weg.
Wenn man so will, kann man froh sein, dass Brugger singt. Zwar bleibt er auch im zwanzigsten Jahr ihres Bestehens das größte Mysterium der Bierzelt-Ausgabe der Hamburger Schule, aber könnte es nicht durchaus schlimmer kommen? Ja, Peter "flowt wie ein Würfel", sagt Mach One. Wie frisch vom Logopäden kommend, betont er in Großbuchstaben munter jede einzelne Silbe: "Mit Ei-Nem Meer Aus Lam-Pi-Ons Leu-Chte Ich Die Stra-Ssen Aus." Da im Normalfall bei einer Bandgründung jedoch über kurz oder lang die Person zum Mikro greift, die am besten singt, ging bei Sportfreunde Stiller entweder etwas gehörig schief, oder man mag die anderen beiden niemals, niemals, niemals singen hören. Da haben wir wohl nochmal Glück gehabt.
Wenn man so will, kann man die leeren Worthülsen über Liebe, Bier und Rock, mit denen Brugger die Lücken zwischen den stadiontauglichen "La-La-La", "Oh-Oh-Oh-Oh" und "Hey-Hey-Heys" füllt, als Texte bezeichnen. Dabei verfügen die Ergüsse von Unheilig über mehr Tiefgang. Es bereitet dem Sänger spürbar Mühe, nicht weiterhin einfach in jedem zweiten Satz über den einzigen weiteren Themenbereich, den die Band kennt, zu singen: über Fußball. Man will ja als Musiker nicht nur auf einen Inhalt reduziert werden.
Wenn man so will, ist es schön zu sehen, dass Brugger seine Obsession doch nicht über die gesamte Spielzeit von "Die Gute Seite 6.0" unterdrücken kann. Im vermeintlichen Titeltrack "Sturm & Stille" verfällt er in typischen Fußballduktus: "Als Wir Ge-fühlt So Rie-Sen-Groß Und Un-Schlag-Bar Wa-Ren." In "Viel Zu Schön" bricht die niedergezwungene Lust dann unterbewusst aus ihm heraus: "Ob All Die, Die Sich Lie-Ben Nach Dem En-De Ihr-Es Le-Bens Auf Ir-Gend-Ein-Em Berg, An Ir-Gend-Ein-Em Strand Zu-Sam-Men Sind?" Sehen wir uns noch einmal genau und in aller Ruhe den Beginn dieser Zeilen an: "O, Ball! Die, die sich lieben."
Wenn man so will, kann man "Rotweinflaschengrün" als Ballade bezeichnen. Das bedeutet hier aber lediglich, dass sie das gleiche Lied wie immer anstatt mit verzerrter Gitarre nun mit einer Akustikklampfe spielen. Denn Sportfreunde Stiller verfügen über die Variationsmöglichkeiten eines Steins. Natürlich bleiben auch hier Bruggers Reime mit der Sprechstange nicht aus: "In Je-Der Kör-Per-Fa-Ser Ge-Lö-Ste At-Mo-Sphä-Ren / In Un-Ser-Er O-Ase O-A-Sis Hö-Ren." Gelöste Atmosphären in Körperfasern? Riecht verdächtig nach Pups.
Wenn man so will, beantwortet Schlagzeuger Florian Weber, der oberbayerische DJ Mad der Sportfreunde Stiller, in "Lumpi (L.U.M.P.I.)" schrecklicherweise doch noch die Frage, warum Brugger singt. Der Refrain der vertonten Nachdenkliche Sprüche mit Bilder "Zwischen Den Welten" übertritt endgültig die Grenze zum Schlager.
Wenn man so will, verneigen sich Sportfreunde Stiller inmitten der großen Mordsgaudi "Die Gute Seite 6.0" gutgelaunt vor dem Rolling Stones-Gitarristen Richards und der Ende 2015 verstorbenen Legende Kilmister. "Wir Al-Le Se-Hen Wie Keith Ri-Chards Aus / Ir-Gend-Wann / Wir Al-Le Ge-Hen Wie Lem-My Raus / Ir-Gend-Wann." Aber wenn das hier alles Rock sein soll, dann sind Bon Jovi Motörhead.
Wenn man so will, ist "Sturm & Stille" eine lange Reise, die Perfektion der besten Art und Weise, in stillen Momenten leise. Will man aber nicht.
19 Kommentare mit 10 Antworten
mit migrationshintergrund würde es 3/5 geben, mh moment.
Diese Geschenk-Single muss einfach so ne Art Selbstparodie sein. Früher warn die nicht so scheiße, oder? ODER?
Nachdem ich raus in den rausch gehört habe, kann ich mit sicherheit sagen, dass sie früher nicht so schlimm waren, teilweise finde ich Songs von denen heute noch gut. 995er tief z.B. oder von eher früher: Fahrt ins Grüne.
Also die Sachen die ich früher gut fand, sind definitiv immer noch toll anzuhören. Hab mich grad selbst davon überzeugt. Was natürlich sein kann: Man findet die alten Sachen nur deshalb gut, weil man div. persönliche (meist positive) Erlebnisse damit verbindet. Würde man die alten Sachen heute das erste mal hören, würde man sie wahrscheinlich genauso Scheisse finden, wie jedes neue Album seit (mindestens) "Burli".
Wahrscheinlich hat das echt viel mit Nostalgie zu tun. Weiß noch, dass ich mit 12 oder 13 einen Sommerurlaub lang "Die Gute Seite" und "Wir Wollen Nur Deine Seele" von den Ärzten auf Dauerrotation im Discman hatte. Ich mein, die Ärzte gehen immer, aber manche Dinge sind ganz gut in der Nostalgie-Schublade aufgehoben und sollten auch nicht mehr herausgeholt werden... GTA Vice City sah SO gut aus in meiner Erinnerung.
Die waren schon immer scheiße, nur nicht so offenkundig.
Wenn Band's wie Revolverheld ect. zerplückt werden die z.T. wirklich schöne Songs machen und die Sänger den Namen verdienen, ist der eine Stern für die Sportfreund fast schon geschmeichelt.
Die Sportfreunde sind zwar zweifelsfrei scheiße, aber Revolverheld sind beim besten Willen nicht im Mindesten weniger Drecksband....
Muss die Band nicht in den Himmel loben. Aber um klassen besser wie die Sportfreunde.
Im Vergleich zu Revolverheld sind die Sportfreunde ja fast schon Götter. Mehr Schmalz als bei dem Strate geht nun beim besten Willen nicht...
Applaus Applaus SK, für deiné Worté!
Die bereits mehrfach erwähnte Single muss doch gegen irgendwelche UNO-Konventionen verstoßen. Unfassbar.
"Die gute Seite 6.0" ist das garantiert nicht, denn "Die gute Seite" und besonders "Ein Kompliment" finde ich nach wie vor super, während mir von den Sportfreunden die folgenden ca. 15 Jahre so ziemlich nichts was ich gehört habe gefallen hat.
Bis auf "Raus in den Rausch", das ist finde ich mal wieder ein tolles Lied und auch etwas anderes als die anderen. Ansonsten habe ich noch einmal "Geschenk" gehört, was mir dann wieder zu schmalzig ist.
Dass der Sänger nicht wirklich gut ist wird kaum jemand bestreiten, aber bei Musik kommt es aufs Gesamtbild an, man ist ja nicht bei einem Instrumentalwettbewerb.
Alles in allem eine typische "laut-Vorurteil-Review".
+1
Natürlich fehlt Brugger der letzte Schliff, was die Gesangsqualitäten angeht. Allerdings macht eben genau das den Charme der Sportis aus.
Und live machen sie einfach nur Spaß...