laut.de-Kritik

ZZ Top und The Black Keys auf Acid.

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Das Schlimmste, was Sturgill Simpson sich vorstellen könne, sei ein Konzert für ein Publikum zu spielen, das nur gekommen ist, um einen Song zu hören, erzählt der Sänger dem Vice-Magazin. Er wolle niemals zweimal das gleiche Album machen. Insofern ist der Weg, den der 41-jährige Sänger mit seiner vierten LP geht, absolut konsequent. Nach seinem Grammy-Erfolg mit "A Sailor's Guide To Earth" macht er mit "Sound & Fury" eben genau das was niemand von ihm erwartet hätte: Er kehrt dem Country den Rücken, reist nach Japan, mampft ein paar Magic Mushrooms und stürzt sich kopfüber in die qualmenden Untiefen des Rock'n'Roll. Mit diesem apokalyptischen Härtetest trennt der Südstaatler die Spreu vom Weizen.

"Looking out the window at a world on fire": Das Albumcover reflektiert Simpsons neuen Sound. Rot und Schwarz sind die Klangfarben, mit denen er futuristische Bilder einer fernen Steampunk-Dystopie zeichnet, die lustiger Weise unserer Realität erschreckend ähnelt. Im Hintergrund wirft die Explosionswolke einer Atombombe ein hämisches Grinsen auf die in Flammen stehende Stadt, das Ende ist nah, die Welt am Arsch.

Alleine Simpson, den "Last Man Standing", kümmert das wenig. Den Verstärker auf Maximum gedreht, lehnt er sich zurück und drückt das Gaspedal durch, wissend, dass er nicht derjenige ist, der all die Zeichen ignorierte und den Karren gegen die Wand fuhr: "I'm gonna ride off into the sunset, while it all burns to hell behind me.".

Der Höllenritt beginnt mit "Ronin" und rauschenden Radioaufnahmen des Verschwörungstheoretikers Alex Jones. Simpson wirft seinen Wagen an, lässt die Reifen qualmen und startet seine Flucht gen Nirvana zu den psychedelischen Klängen eines Gitarren-Solos. Dessen Klimax mündet in den fernöstlichen, ersten Tönen von "Remember To Breathe", einer LSD-getränkten, Black Keys-esken Rocky-Hymne, die Bilder eines Strohhalm-kauenden Outlaws evoziert der sich "Let it happen!" schreiend seinem eigenen Niedergang entgegenstellt. Es ist, so dumm es auch klingen mag, der Inbegriff von "cool“.

Doch gerade wenn man denkt, man hätte sich an Simpsons neuen Sound gewöhnt, legt er einen U-turn hin und packt die Disko-Kugel aus. "Sing Along" ist seine Version von 70s-Boogie Rock wie ZZ Top auf Acid: Der Gitarren kreischen lauter als der Motor, der Groove bleibt unwiderstehlich. Dasselbe gilt für "A Good Look". Über blubbernde Bässe singt er "Everybody's worried ‚bout a good look but they need to be worried bout a good hook". Da hat er leicht reden, macht doch gerade ihm ihn Sachen Songwriting so schnell niemand etwas vor.

"Make Art Not Friends" zeigt Simpson von seiner elegischen Seite. Am Mittelpunkt seiner Reise gewährt er sich einen melancholischen Rückblick auf sein Leben als introvertierter Außenseiter. Es ist die klassische Ballade vom einsamen Cowboy, untermalt mit der Soundkulisse eines Mad Max-Films: "Face in the mirror's all skin and bones / Bloodshot eyes and a heart of stone / Over the game, rather be alone / Think I‘m just gonna stay home.

Diese Wehmut zieht sich durch große Teile der zweiten Album-Hälfte. Auch Instrumental schlägt Simpson mit einer Ausnahme ("Last Man Standing") deutlich leisere Töne an. "All Said And Done" und "Mercury In Retrograde" fallen stellenweise sogar so reduziert aus, dass man fast meinen könnte, man höre eines seiner letzten drei Alben. Aber eben nur fast. Denn wenn uns schon nicht die weiter fröhlich vor sich hin blubbernden Bass-Gitarren in das Hier und Jetzt holen, tut es der bedrückende Inhalt. "Mercury In Retrograde" ist nämlich nicht nur eine Ballade über falsche Freunde, sondern auch der zynische Abgesang auf eine Welt, die es verdient hat unterzugehen: "The road to hell is paved with cruel intention. If it's not nuclear war, it's gonna be a divine intervention."

Mit "Fastest Horse In Town" kehren die Gitarren zurück, die Wehmut weicht der Reue und der Angst etwas verpasst zu haben. Simpson drückt die Nadel erneut bis zum Anschlag, dreht den Verstärker auf Max und liefert sich ein Duell mit einer immer schneller werdenden, aufgepeitschten Wand aus Lärm. Vier Minuten lang klebt ihm sein Verderben an den Fersen, doch kurz bevor ihn der riesige Feuerball verschluckt, springt er dem Tod von der Schippe. Still schweigend, endet das Album wie es begonnen hat. Mit dem Geräusch grölender Drehzahlen und der rauschenden Stimme aus dem Radio. Im Hinterkopf hallt das Echo von Sturgills Kampfschrei wider: "Everybody's trying to be the next someone. Look at me, I'm trying to be the first something."

Trackliste

  1. 1. Ronin
  2. 2. Remember To Breathe
  3. 3. Sing Along
  4. 4. A Good Look
  5. 5. Make Art Not Friends
  6. 6. Best Clockmaker On Mars
  7. 7. All Said And Done
  8. 8. Last Man Standing
  9. 9. Mercury In Retrograde
  10. 10. Fastest Horse In Town

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