laut.de-Kritik
Im Schweinsgalopp durch alle Beatles-Alben.
Review von Mathias Möller"So haben sie die Beatles noch nicht gehört", wird dem Hörer von "Love" versprochen. Was faktisch natürlich richtig ist, denn ein Remixalbum mit den größten Hits der Fab Four hat noch niemand angefertigt, Danger Mouses "Grey Album" jetzt mal nicht mitgerechnet. Für diese Mischung zeichnet ausgerechnet George Martin verantwortlich, der Haus- und Hofproduzent von John, Paul, George und Ringo, der "Love" zusammen mit seinem Sohn Giles für eine gleichnamige Produktion des "Cirque du Soleil" produzierte.
Ein solches Unterfangen muss für die Projektleiter jedoch einige schwer zu beantwortende Fragen aufwerfen: "Welche Songs nehmen wir?" - "Welche Stücke lassen wir lieber draußen?" - "Mischen wir die Lieder nur an Anfang und Ende ineinander oder machen wir einen richtigen Mashup?" - "Dürfen wir das überhaupt?" - Eines vorweg: Das Abenteuer 'Beatles in the mix' geht zumindest nicht schief, die berechtigte Frage, die am Ende übrig bleibt, ist allerdings die, ob ein "neues" Beatles-Album auch Neues zu Gehör bringen muss.
Das passiert auf "Love" nämlich nur in sehr begrenztem Rahmen. Die Songs sind alle weithin bekannt, allein das Arrangement ist neu. Und durchaus hörenswert, denn Vater und Sohn mischen die Beatles so ab, wie ein guter DJ sein Set aufbaut. Den Einstieg bildet eine Acapella-Version von "Because" von der "Abbey Road". Fast spröde wirkt dieser Opener gegenüber dem, was noch folgt, und aus genau diesem Grund steigern sich die Erwartungen von Sekunde zu Sekunde.
Gegen Ende des Songs baut sich ein Crescendo auf, das im Anfangsakkord von "A Hard Day's Night" mündet. Ringo setzt mit seinem Drumsolo von "The End" ein, das kakophonische Orchester von "A Day In The Life" mischt sich dazu, bevor "Get Back" regulär beginnt. In gut 30 Sekunden von der "Abbey Road" zu "A Hard Days Night" zurück zur "Abbey Road" zu "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" zu "Let It Be". Der Schweinsgalopp durch die Beatles-Alben gewinnt an Geschwindigkeit und beginnt Spaß zu machen.
Ein Großteil des Spaßes besteht neben dem reinen Hörvergnügen natürlich darin, die Songs zu erraten, die hier verbraten werden: Wo kam noch mal diese Trompete her? Und diese Streicher? Bei weitem nicht alles ist aufgeführt, und so muss man von alleine drauf kommen, dass "Fixing A Hole" ("Sgt. Pepper's") "Glass Onion" ("White Album") ergänzt. Dankbarerweise lassen Martin & Martin die allzu abgegriffenen Überhits der Liverpudlians erst einmal außen vor. Stattdessen gibt es mit einer naturbelassenen Version von "Eleanor Rigby" eher harte Kost. "All the lonely people, where do they all come from?" gehörte für mich seit jeher zu den stärksten Zeilen der Beatles. Den Übergang zu "I Am The Walrus" ("Magical Mystery Tour") markiert "Julia" ("White Album").
Das ohnehin opulent trippende Walross kommt ebenfalls ohne allzuviel Veränderung aus, und, das Gekreische aus tausenden Kehlen kündigt es an: die Remixer greifen jetzt tief in die Hitkiste. Das im Vergleich zu späteren Stücken fast schon debil anmutende "I Want To Hold Your Hand" bleibt von Livegeschrei unterlegt, das bei "Drive My Car" zu Gunsten einer Cowbell weicht. In knapp zwei Minuten schwurbeln hier die "Love"-Produzenten den Opener der "Rubber Soul", "The Word" und "What You're Doing" ("Beatles For Sale") aneinander.
Eine rückwärts gespiele Sequenz aus "Sun King" schlägt die Brücke zu einem der schönsten Beatles-Stücke neben "Across The Universe": "Something". Daraufhin drückt sich der "Nowhere Man" im Hintergrund herum und Gelächter verkündet den Auftritt von "Mr. Kite". Dieses Kabinettstückchen der Beatles verbindet sich nahtlos mit dem großartigen "I Want You (She's So Heavy)" und Paul verkündet in seinem rockigsten Moment ("Helter Skelter"): "I'm coming down fast, but I'm miles above you". Hier fühlt man sich an die Experimentierfreudigkeit der späten Beatles selbst erinnert, als sie verspulte Soundcollagen wie "Blue Jay Way" oder "Revolution 9" aufnahmen.
Weitere Konzessionen an die Hitkiste der Beatles stellen die Berücksichtigung von "Help!" und "Yesterday" dar, beide nur getrennt vom zarten Gitarrenstück "Blackbird". Diese beiden Nummern hätten sich die Martins vom künstlerischen Standpunkt gesehen durchaus sparen können, allerdings gehören gerade diese beiden wie sonst wohl nur noch "Let It Be" zum popkulturellen Grundstock der fabulösen Vier. Derjenige, der eher auf die späteren Beatles steht, wird mit einer alternativen Akustik-Americana-Version der Erdbeerfelder entschädigt, durch die auf einmal Sgt. Pepper und seine Band höchstpersönlich marschiert.
Jetzt legen die Martins richtig los. Zu Peppers Band gesellen sich die auf dem weißen Album besungenen "Piggies" und alle zerstampfen das Beet zum Piano von "In My Life". "Turn off your mind, relax and float downstream" ermuntert John den Hörer, als die psychedelische Reise von "Within You Without You" ("Sgt. Pepper") zu "Tomorrow Never Knows" ("Revolver") fließt, und dem folgt man gerne, denn es wartet sogleich eine schöne Teilstrecke auf "Love". Eine drogeninfizierte Version von "Lucy In The Sky With Diamonds" gibt der Legende neue Nahrung, dass Lucy, Sky und Diamonds tatsächlich für LSD stehen sollten. Ebenfalls gut in einen Drogenwahn passen würde auch die Tauchfahrt mit dem "Yellow Submarine" in den "Octopus's Garden".
Von der Tiefe in den Regen geht es vorbei auf einen Besuch bei "Lady Madonna", dem wohl groovigsten Stück der Pilzköpfe, verstärkt durch Orgel- und Gitarrensoli sowie dem Riff von "Hey Bulldog" ("Yellow Submarine"), das wie angegossen passt. Auch "Here Comes The Sun", einer von Georges Geniestreichen, und "The Inner Light" sind unaufdringlich, aber äußerst passend miteinander verwoben. Nach dem großen "Come Together" läuten die Martins natürlich die "Revolution" ein. Nicht nur politisch-historisch, auch musikalisch passt danach "Back In The U.S.S.R." bestens. Ab hier beschränken sich die Mischer vom Dienst allerdings darauf, die Stücke in schlichter DJ-Manier aneinander zu reihen, was deutlich zu entspannterem Hören beiträgt.
Eine Neuerung hat "Love" dann doch noch zu bieten: Sir George Martin hat für George Harrisons anderen Geniestreich "While My Guitar Gently Weeps" einige Streicher arrangiert und aufgenommen, die dem Song zwar die Einsamkeit nehmen, ihm dafür aber eine intime Wärme schenken. Der Rest des Albums ist trotz der hohen Qualität der Songs recht unspektakulär. Natürlich schließt "Love" mit "All You Need Is Love", und am Ende fragt man sich, ob es das wert war. Ja, sicherlich, vor allem die Teile, in denen drei oder vier Songs miteinander vermengt werden, machen "Love" interessant, doch für Puristen ist dies sicherlich nichts. Offenen Pilzkopf-Fans geht dieses Remixalbum mit Sicherheit gut rein.
16 Kommentare
Hörs gerade zum ersten Mal ... wenn ich mich etwas umsehe, gehen die Meinungen dazu stellenweise ziemlich auseinander ... meist aber positiv bis begeistert ... und ich schliess mich bislang an: Absolut hörenswert! Hat sie denn sonst wer hier?
ich bin auch noch etwas zwiegespalten. einerseits habe ich bei den beatles doch v.a. oder gerade wegen der soundmängel so gemocht...ein matschig klingendes schlagzeug...hier und da ein zu leiser bas. "love" ist hingegen nun vollkommen neu abgemischt und klingt schon eine spüur zu poppig.. mancher song...wie "lucy in the sky..." ist extrem vollgepackt mit loops o.ä. schnickschnack. das verstört mich etwas. andererseits haben einige mixe wirklich richtig was neues gebracht. "help!" z.B. ist zu einem noch größeren brecher gemacht worden. insgesamt ein komisches teill...aber es ist ja auch bal weihnachten...brrr
Hmja... Help läuft jetzt bei mir auch grad, einiges gibt wirklich noch mehr her oder fasziniert erneut sehr. Stellenweise wurde aber auch eher an Details 'was geändert, mal vergleichen. Jedenfalls äusserst interessant, dies alles.
Hab's vorhin auf der HiFi-Anlage kurz angehört und die Surround-Soundqualität ist offensichtlich erstklassig, da wurde ganze Arbeit geleistet.
Eine meiner liebsten Stellen ist und bleibt "Being For The Benefit Of Mr Kite / I Want You / Helter Skelter" - vielleicht gar DER Höhepunkt, hervorragend gemacht! Und die Songs sind ohnehin riesig.
hm, heute ganz besonders gern gehört: come together/ dear prudence
super tolle details. man hört erst nach mehrmaligem hören so mehr und mehr wie sehr sich vater und son martin sich hier in die welt der beatlesmusik hineinlebten. für mich als beatles fan ein absoluter höhepunkt zu den bereits bekannten und geliebten alben.
einer meiner lieblingstracks : within you without you/tomorrow never knows
grosartig auch, wie sich in "goodnight" "octopussies garden"
schwindelt.