laut.de-Kritik

Die große Comeback-Story geht weiter.

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Zwei neue Veröffentlichungen der Cardigans, 19 Jahre nach dem letzten Studioalbum "Super Extra Gravity", und dann nur alte B-Seiten und Demos, was ist denn jetzt passiert? Nichts gegen die hier versammelten Songs, zu denen kommen wir noch, und dass die seit Jahren wieder für Konzerte in Chile und Bulgarien reaktivierte Band Lust auf einen Tonträger verspürte, ist natürlich nachvollziehbar. Eher verwunderlich jedoch, dass dies auch der börsennotierte Konzern Universal so sah, der hier 35 Archivsongs auf kostenintensive zwei Longplayer pressen ließ.

Aber hey, warum sich immer nur mit Taylor Swift oder BTS aufhalten, Nina Perssons Männerclub hat das Label schließlich sehr gut durch die 90er Jahre gebracht, da ist etwas Dankbarkeit nicht verkehrt. Die Comeback-Story der Cardigans geht also weiter. In diesem Sommer betrat die schwedische Band dank gloriosem Maifeld-Team-Booking erstmals nach 18 Jahren wieder deutschen Boden und begeisterte in Mannheim immerhin knapp 2000 Zuschauer, wonach es im Vorverkauf lange nicht aussah. Die bis dato entlegenen Auftrittsorte der wiedervereinigten Band hatten auch damit zu tun, dass mancher Veranstalter in Kerneuropa sich schwer vorstellen konnte, wie ohne ein neues Album und entsprechende Promo die Hallen voll werden sollen. Die Cardigans wiederum spielen nicht komplett in Originalbesetzung: Gitarrist und Hauptsongwriter Peter Svensson arbeitet seit Jahren in Amerika für große Pop-Acts. Seine Abwesenheit dient bisher als Hauptgrund dafür, kein neues Studioalbum aufzunehmen.

So hörte man auch in Mannheim Songs aus den Jahren 1994 bis 2006, und genau hier knüpft "The Rest Of The Best, Vol. 1 & 2" an. Es handelt sich um zwei Doppel-CDs bzw. zwei Doppel-Vinyls mit raren Aufnahmen für alle, die noch physische Tonträger kaufen, und das dürften die meisten aus dieser Zielgruppe sein. Der Missstand, dass die regulären Cardigans-Alben jahrelang out of print waren, wurde ja zuletzt schon behoben, weiter geht's.

Ob man sich nun für "The Rest Of The Best - Vol. 1" oder "The Rest Of The Best - Vol. 2" entscheidet, berührt auch die Grundsatzfrage: Liebt man eher die poppige Easy-Listening-Frühphase der Band mit Hits wie "Rise & Shine" oder dem Welthit "Lovefool", oder die schwermütige Spätphase, die im Karriere-Highlight "Long Gone Before Daylight" (2003) mündete? Kuriose Coverversionen bekommt man auf beiden Editionen serviert. Auf Volume 1 ist es einmal Thin Lizzys "The Boys Are Back In Town", 1994 auf der B-Seite von "Sick & Tired" versteckt als komplett ausgeschwitzter, übertrieben lieblich arrangierter Feelgood-Pop.

Den Cardigans ging es früh um Gegensätze und derart entkernte Rock-Klassiker wie etwa auch Black Sabbaths "Iron Man" (auf "First Band On The Moon"), von säuselnder Frauenstimme vorgetragen, war gut ein Jahrzehnt vor Erfolgsprojekten wie Nouvelle Vague noch ein Wagnis. Auf dem Debüt "Emmerdale" nahmen sie bereits "Sabbath Bloody Sabbath" in die Mangel. Auf "Volume 2" nehmen sie dann Kraftwerks "Das Model" in einer ungewohnt elektronischen, hüftsteifen Bearbeitung auseinander, von der in erster Linie Nina Perssons Aussprache ("und hat hier alle Männer abgescheckt") in Erinnerung bleibt.

Aber verweilen wir noch kurz bei "Volume 1", dieser unbeschwerten Zeit, in der fünf schwedische Teenager in ihrem Proberaum in Jönköping Ohrwurm-Kleinode wie den Blockflötenpop "Pooh Song" fabrizieren und ihn für eine Albumveröffentlichung als zu schlecht befinden. Vier Jahre später stehen sie bei David Letterman auf der Bühne und erreichen per Kurzauftritt in "Beverly Hills, 90210" ein Millionenpublikum. Auch die Non-Album-Tracks "Plain Parade" und "Happy Meal I" sind absolutes Zuckermaterial und eine Akustikversion des 1996er-Welthits "Lovefool (Puck Version)" muss sowieso jeder Fan im Schrank stehen haben.

Sofern man sich, wie gesagt, noch für physische Tonträger interessiert. Hierfür haben Persson, Svensson, Sveningsson, Johansson und Lagerberg jetzt zwar kein dickes Booklet, aber immerhin alle Lyrics zusammengetragen, ferner lässt sich anhand der Credits verfolgen, wer all das tolle Material geschrieben hat. Das waren bis 1998 noch häufig Svensson, Persson und Basser Svenningsson in trauter Eintracht, die letzten zwei Alben komponierten der Gitarrist (Musik) und die Sängerin (Texte) quasi im Alleingang.

"Volume 2" ist daher auch absolutes Pflichtprogramm für Fans von melancholischem Singer/Songwriter-Pop, selbst wenn uns Demoversionen von "Erase/Rewind" und "My Favourite Game" leider vorenthalten werden. Dafür ist das Cardigans-Juwel "You're The Storm" absolut zurecht in gleich zwei Versionen vertreten (First Demo, Sandkvie Session), und spätestens bei "War" und "Deuce" aus den Film-Soundtracks zu "A Life Less Ordinary" und "X Files" ist klar, was die Band zu dieser Doppelveröffentlichung bewogen hat. Wieso sollte man sich an neue Songs setzen, wenn derartiges, der breiten Masse unbekanntes Goldmaterial in den Archiven verstaubt?

Die Tom Jones-Kollabo "Burning Down The House" hätte 1999 ein weiteres Karriere-Sprungbrett bedeuten können, stattdessen geht sich die Band vier Jahre lang aus dem Weg und die Cardigans-Karriere knickt allmählich ein. Vom Folk-Großwerk "Long Gone Before Daylight" und dem rockigeren Sequel "Super Extra Gravity" erfahren seinerzeit nur die Unbeugsamsten, aber es ist reine Spekulation, ob kommerzieller Erfolg ihren Weg verlängert hätte. Die meisten gründeten Familien, Svensson zog nach Amerika und wurde Hitlieferant für Avril Lavigne, The Weeknd und Ariana Grande.

So stehen zwei der besten Cardigans-Alben am Ende ihres Studioschaffens, was sich auch an der Tracklist von "Volume 2" verfolgen lässt: Sonst wären kaum so hochklassige Songs wie "The Road" und "Slow" liegen geblieben. Was für eine Band!

Trackliste

  1. 1. Pooh Song
  2. 2. I Figured Out (Demo '93)
  3. 3. After All... Demo '93
  4. 4. Plain Parade
  5. 5. Laika
  6. 6. The Boys Are Back In Town
  7. 7. Mr. Crowley
  8. 8. Rise & Shine (UK Life Version)
  9. 9. Carnival (Puck Version)
  10. 10. Happy Meal I
  11. 11. Nasty Sunny Beam
  12. 12. Iron Man (First Try)
  13. 13. Emmerdale
  14. 14. Blah Blah Blah
  15. 15. Losers (First Try)
  16. 16. Lovefool (Puck Version)
  17. 17. Country Hell
  18. 18. Great Divide (Demo ’96)
  19. 19. War (First Try)
  20. 20. Cocktail Party Bloody Cocktail Party

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