laut.de-Kritik
Die Definition von Indie-Pop, zum Scheitern verurteilt.
Review von Michael SchuhSie sind zur richtigen Zeit mit dem richtigen Sound am richtigen Ort. In Australien rein in den Flieger und ab nach London, wo 1979 das Post Punk-Fieber grassiert. Auf der Habenseite des Trios stehen melodische Indie-Pop-Songs wie "People Say" und minimalistische Schrammel-Experimente wie "Karen". Im Rough Trade Shop, dem Epizentrum des musikalischen Londoner Hipness-Zirkels, sind die Exoten aus Down Under sofort Stammgäste. Schnell stehen sie im Hinterzimmer des damals noch meritenlosen Rough Trade-Chefs Geoff Travis, der ihr Demo anhört: zu poppig.
Na, um so besser: Dann eben gleich die große Karriere in Reichweite der Charts, dafür hat man schließlich Freunde und Eltern verlassen. Doch gegen die Launenhaftigkeit des Schicksals kamen die letztlich wohl doch irgendwie zu komplexen Go-Betweens in ihrer ganzen fünfjährigen Karrierephase in London nie an. Die beiden Songwriter Robert Forster und Grant McLennan sowie Schlagzeugerin Lindy Morrison wurden in Ermangelung von Single-Hits von einem Label nach dem anderen zur Tür geleitet, in der Publikumsgunst von den Smiths und sogar von Aztec Camera überholt und als sich die Produktionsmethoden der 80er Jahre gegen ihre Art des Komponierens veränderten auch noch von Produzenten gedemütigt.
Echtes Schlagzeug? Lass mal Baby, wir programmieren dir einen Drumcomputer, das ist zeitgemäß. So mussten die Bandmitglieder "abwechselnd ihren Teil an den gigantischen Soundwirbel anpassen, der so kompliziert war, dass zwei Hände ihn niemals hätten entfachen können", wie sich Forster immer noch angeekelt in seinen aktuellen Memoiren "Grant und ich" erinnert.
1987 erscheint "Tallulah", das letzte in London entstandene Go-Betweens-Album und chartet trotz Songs wie "Right Here" und "Bye Bye Pride": natürlich nicht. Das um Bassist Robert Vickers und Violinistin Amanda Brown angewachsene Quintett verlässt das festgefahrene London und nimmt 1988 ein Album in der Sonne Sydneys auf. Dieses Mal scheint sich das Schicksal auf die Gruppe zuzubewegen. Wie immer teilen sich die separat komponierenden McLennan und Forster das Songwriting, doch schreiben dieses Mal beide herzerwärmende und tieftraurige Popsongs über die Liebe. McLennan, weil er bis über beide Ohren in Bandkollegin Brown verliebt ist. Forster, weil er auf der Suche ist.
Kommt noch ein Happy End? "16 Lovers Lane" wird das eingängigste Album der Gruppe. Dabei fällt es auf keiner ihrer Platten schwerer, den Komponisten des Stücks herauszuhören. Das Duo, das sich in Anlehnung an Lennon/McCartney früh auf das Songwriting-Kürzel Forster/McLennan einigt (tatsächlich ist McLennan auch der Go-Betweens-McCartney und Forster Lennon), hat "Streets Of Your Town" im Anschlag, einen todsicheren Hit. Darin sind sich alle einig. Das dank Kylie Minogue in Pop-Fragen geschulte Label macht der Band riesige Versprechungen für die Indie-Pop-Hymne mit der bittersüßen Melancholie der Sorte "There Is A Light That Never Goes Out". Die Go-Betweens sind bereit für den großen Sprung.
Auch heute erscheint es geradezu grotesk, dass es dieser Song nicht einmal in die Top 75 schaffte. Oder wie Forster es gallig formuliert: "Dass unsere Plattenfirmen weltweit gescheitert waren, einen so verflucht eingängigen, luxuriös produzierten Song wie 'Streets' an die Leute zu bringen, legte die Frage nahe, warum wir weiterhin in der Hoffnung, in die Charts zu kommen, mit großem Budget Pop-Platten machen sollten." Bald sollte die Band auch diese Frage beantworten können: Mit der Trennung. Zuvor spielten sie aber noch eine Tournee mit R.E.M., um sich abermals links überholen zu lassen.
Diese Hintergrundgeschichten sind wichtig, vor allem, wenn man sich heute das arg einfallslose Cover von "16 Lovers Lane" betrachtet, das in keinster Weise mit dem ästhetischen Anspruch der Gruppe korrespondiert. Scheinbar wurde im sicheren Gefühl der international einschlagenden Hitsingle sogar dem Cover-Artwork eine nachrangige Wichtigkeit zugewiesen.
Dass Amanda Brown als einziges Bandmitglied komplett zu sehen ist, macht allerdings schon deshalb Sinn, da einige von McLennans besten Songs auf diesem Album für sie geschrieben wurden. Das euphorische Eröffnungsstück "Love Goes On!" wirbelt gleich den kompletten Gefühlshaushalt durcheinander: Will ich fremde Menschen auf der Straße umarmen (ja), über eine Blumenwiese hüpfen (zur Not), jetzt sofort die Frau meines Lebens heiraten (ja, noch einmal) oder weinen, weil ich nach dem Tod von Komponist McLennan 2006 diese großartige Band nach nur einem Konzert nie mehr sehen werde (ja, ausdauernd)?
Kristallklar schieben sich hier sanfte Akustikgitarren ins Klangbild, in einer nie dagewesenen Wärme und Dominanz. Das Break inmitten des Songs beinhaltet sogar eine Flamenco-Referenz. Mit Produzent Mark Wallis hatten die Go-Betweens offenkundig einen echten Glücksgriff gelandet. Der schon auf "Tallulah" im Hintergrund agierende Mann war nach Engagements von U2 ("The Joshua Tree") und Talking Heads ("Naked") zum Superstar aufgestiegen und wäre im Normalfall für die Band nicht bezahlbar gewesen. Doch die Australier schickten ihm trotzdem die "16 Lovers Lane"-Demos und erhielten als Antwort den Satz: "Das ist das beste Demo, das ich je gehört habe.".
Damit dürfte Wallis auch das waidwunde "Quiet Heart" gemeint haben, in dem er der Band sogar (dezent) synthetische Drums und vor allem Streicher unterjubelt, die dem McLennan-Glanzstück ganz neue Welten erschließt. "Love Is A Sign" kommt überraschenderweise aus Forsters Feder und nur wer genau hinhörte, erkannte hier keine sehnsuchtstrunkene Hoffnung auf eine zukünftige Schicksalsbegegnung (die für Forster in Person seiner deutschen Frau Karin schon bald kommen sollte), sondern die Verarbeitung seiner letzten Beziehung ("Me in freezing weather / Snow cuffs on my wrist / You down by the river / London no longer exists).
Überlebensgroß klingt der kantige Sänger gemeinsam mit Backgroundsängerin Brown in "Clouds", einem Song der alles von Belle And Sebastian bis The Shins vorwegnimmt, während man zwei Mal hinschauen muss, um zu glauben, dass dieser edel produzierte Song wirklich aus dem Jahr 1988 stammt. Auch Forsters Ballade "Dive For Your Memory" zählt zu den großen Momenten dieser Platte: Sowohl kitschig als auch dramatisch, ohne den Bogen je zu überspannen.
Romantischer und zugleich kommerzieller Indie-Pop wird auf dieser Platte in solch leuchtenden Großbuchstaben von Anfang bis Ende auserzählt, dass einem wirklich noch 30 Jahre später die Worte fehlen. Was zur Hölle hat Menschen 1988 davon abgehalten, diese Platte zu kaufen? Acid House, würde Forster vielleicht in seiner trockenen Art antworten, denn natürlich lag schon wieder eine neue musikalische Revolution vor der Tür. Aber who cares? Hat sich "Raw Power" oder "Marquee Moon" gut verkauft?
Ich möchte den Text nicht abschließen, ohne auf Forsters großartiges "You Can't Say No Forever" zu verweisen, das dem Rock-Puristen nur zu Beginn aufgrund des Drumcomputer-Einsatzes kurz den Atem nehmen dürfte. Die leicht schräge Phrasierung in den Strophen trägt diese Nummer in die Ewigkeit hinweg, bevor McLennan unbeeindruckt "The Devil's Eye" folgen lässt, eine Lehrstunde des zartfühlenden Balladen-Handwerks.
Es gibt Go-Betweens-Fanatiker, die das anders sehen, weil die Gruppe zu Beginn des Jahrzehnts weitaus störrischere Songs komponierte. Und wie es sich für eingeschworene Nerd-Zirkel gehört, existieren die wildesten Verschwörungstheorien, etwa um das Geheimnis der "L-Albumtitel". Von Beginn an hatte nämlich jedes Go-Betweens-Album ein Wort mit einem doppelten "L" im Titel. 1988 stellte sogar ein MTV-Moderator die Frage, warum mit "16 Lovers Lane" erstmals beide Ls auseinander gebrochen wurden. Weil es wie Lois Lane klingt, antwortete McLennan trocken. Und witzelte weiter: Auch LL Cool J habe man über die Jahre sicher sehr beeinflusst.
"There's bad blood between us / What did I say / That made you cry?" singt er in "Quiet Heart", an Freundin Amanda gerichtet. Das böse Blut kam dann schneller als erwünscht: 1990 teilt McLennan ihr in erschreckender Missdeutung möglicher Folgen die von ihm und Forster insgeheim beschlossene Entscheidung mit, die Go-Betweens aufzulösen. Brown verlässt ihn sofort und stürzt den Songwriter in eine jahrelang währende Verzweiflung, die seinen Alkoholkonsum auf die Spitze treibt. Bevor er 2006 stirbt, kommt es zu drei großartigen Go-Betweens-Studioalben mit neuen Bandkollegen, von denen das Abschlusswerk "Oceans Apart" ganz oben auf dem Thron neben dieser Platte liegt.
Von der Hochachtung und Liebe, die Forster und McLennan bis heute entgegen schlägt, erzählen die gängigen Musik-Enzyklopädien wenig. Man trifft eher zufällig auf sie, fast so, als lebte man noch in den Tagen der Mund-zu-Mund-Propaganda vor dem Internet, wenn einen Freunde voller Stolz in ein Geheimnis einweihen, weil sie es aus irgendeinem Grund erleben durften, diese Lieder zu hören.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
6 Kommentare
Ja! Danke!
The Go-Betweens....wer braucht da noch die Smiths
Klar, als Fanatiker hätte ich hier lieber das Liberty Belle Album gesehen, seis drum.
Trotzdem schön, diese Rezi hier zu sehen.
Absoluter Meilenstein für mich. Hab das Album durch Zufall zur Zeit von "Automatic for the people" kennen und lieben gelernt. Die Melodien fand ich damals und bis heute grandios!
Danke für den Stein. Kannte ich gar nicht.
Gleich mal durch Alle Alben „arbeiten“.
Fällige Rezi. Besten Dank.
Das Album strahlt noch nach fast 30 Jahren. Unbegreiflich das der Band nie der richtige Durchbruch gelang.
Mit Oceans Apart ist ihnen dann auch noch eine geniale letzte Scheibe gelungen.
Vielen Dank.Höre ich immer noch gern.Mir wurde erst neulich nicht geglaubt,wie alt das Album schon ist.Kannte keiner,aber Alle fanden`s gut.
Apropos `Lovers`:Wieso finde ich bei Euch eigentlich überhaupt nichts von `The House of Love`? Beatles and the Stones ist für mich ein absoluter Meilenstein...