laut.de-Kritik

Die Lebenskraft sprudelt wie eine Cola-Mentos-Fontäne.

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Nichts hält mehr. Nach dem grandiosen "Fight The Good Fight" hatte man es sich gerade in der Vorstellung bequem gemacht, dass The Interrupters nun in bester Ramones-Manier über viele Jahre immer wieder dasselbe Album veröffentlichen, und nun das. Mit "In The Wild" entwickeln sie sich einfach weiter. Skandal! Man kann sich heutzutage wirklich auf nichts mehr verlassen.

Greifen sie dafür zur Sitar? Nein. Verkriechen sie sich hinter Synthesizern, um mit einem weiteren Fiee-Fup-Föööp-Longplayer mindestens die Musikwelt zu retten? Auch nicht wirklich. Vielmehr nutzen sie mehrere Stile wie Reggae (naheliegend), Gospel oder Doo Wop und integrieren diese geschickt in ihren bisherigen 2-Tone und Ska-Punk. Was sich dabei nie ändert: Die unglaubliche Energie. Es ist nahezu unverschämt, mit welcher Leichtigkeit sie ein weiteres Mal eine mitreißende Melodie nach der anderen aus dem Ärmel schütteln.

Anstatt die Produktion wieder in die Hände ihres Mentors Tim Armstrong (Rancid) zu legen, bastelten The Interrupters in ihrer Garage an einem eigenen Studio. Gitarrist Kevin Bivona übernahm die Produktion.

Versteckte sich Sängerin Aimee Interrupter vorher hinter Geschichten, geht es diesmal furchtlos ans Eingemachte. Nun handeln die viel dunkleren Texte von ihrer schweren Jugend, dden Misshandlungen der Vergangenheit, ihrer Depression und Trichotillomanie ("Jailbird"). Die persönlichen Texte verleihen ihrer eh bereits kraftvollen Stimme noch mehr Charakter und Leidenschaft.

"I'm thankful for the lessons / But the memories are dark / Good riddance to that home / Where the nightmare had begun", thematisiert sie im sofort abholenden Opener "Anything Was Better" die Flucht vor den Traumata ihrer Jugend. Eine vor Kraft strotzende und für The Interrupters so typische Punk-Hymne, die alleine schon die Energie-Krise lösen könnte. Es folgen allerdings noch dreizehn weitere Stücke, deren Dynamik nur selten nachlässt.

Ganz ohne Tim Armstrong geht es aber nicht. Zusammen mit Roda Dakar von The Bodysnatchers und dem Ska kommt er auf "As We Live" ins Spiel. Ein Hohelied auf das Leben und die Liebe, dessen Höhepunkt klar die Verbindung aus Band und Dakars Stimme während ihrer vier Zeilen darstellt.

Der Punk-Track "Raised By Wolves" dient als Aushängeschild des Albums. Eine Abrechnung mit Aimees Kindheit, in der ihre Familie sie im Stich ließ, sie in einer Pflegefamilie aufwuchs und immer wieder Gewalt ausgesetzt war. "It doesn't matter, my life was shattered / And my heart's got holes / You left a child out in the wild / And I was raised by wolves", singt sie zu Wolfsgeheul, überträgt ihr Leben auf die klassische Wolfskind-Geschichte. Hat man Rancids "...And Out Come The Wolves" im Hinterkopf, bietet sich noch eine weitere Auslegung des Texts an.

Mit "Kiss The Ground" verlässt die Band vertraute Muster, beginnen die Neuerung, denen es aber fast immer gelingt, eine Einheit mit dem bisherigen Sound zu finden. Reggae und Dub stehen so deutlich wie nie im Vordergrund. Ein Stück über das Auf und Ab der Gefühle einer bipolaren Störung, vom höchsten Hoch zum tiefsten Tief und zurück und dem Versuch und dem Kampf, ganz unten nie aufzugeben: "Every tribulation in life is a lesson / If you count your scars, then you're counting your blessings / ... / Sometimes when you're low / You gotta kiss the ground."

"My Heart" überrascht als Doo Wop-Punk-Schnulze deluxe. Ein Wehgesang an Aimee Interrupters 2018 im Alter von 13 Jahren verstorbene Hündin Daisy, die sie durch so viele schlimme Zeiten begleitete. Bei 2:25 hat man fast das Gefühl, Daisy würde jaulend in den Refrain einsteigen. Schnüff. Ich fühl' das so sehr.

Gemeinsam mit den Veteranen Alex Désert & Greg Lee von Hepcat entstand der wohl interessanteste Song "Burdens", in dem Gospel auf Reggae trifft. Sicher nicht das Erste, mit dem man die vier aus Los Angeles bisher verband. In "Love Never Dies" kommt es zum Aufeinandertreffen mit The Skints. Etwas Sorgen bereitet die abschließende Klavierballade "Alien", die zu sehr nach Pink, Adele und Konsortin klingt und als einziger Song so gar auf "Into The Wild" passen mag. Hoffentlich kein Ausblick auf die weitere Zukunft dieses Acts.

Mehr als einmal kratzt "In The Wild" an Klischees, aber selbst in diesen Momenten wird es nie peinlich. Die Lebenskraft sprudelt wie eine Cola-Mentos-Fontäne aus den Liedern. Nach dem eh schon bockstarken "Fight The Good Fight" gelingt ihnen das Unfassbare: Eine weitere Steigerung.

Trackliste

  1. 1. Anything Was Better
  2. 2. As We Live
  3. 3. Raised By Wolves
  4. 4. In The Mirror
  5. 5. Kiss The Ground
  6. 6. Jailbird
  7. 7. The Hard Way
  8. 8. My Heart
  9. 9. Let 'Em Go
  10. 10. Worst For Me
  11. 11. Burdens
  12. 12. Love Never Dies
  13. 13. Afterthought
  14. 14. Alien

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5 Kommentare

  • Vor 2 Jahren

    Grossartig! Hoffe sie endlich mal live zu erwischen.

  • Vor 2 Jahren

    Einer der wenigen goldenen Momente meiner Hassliebe zu Spotify: als diese Band vor 2 Jahren in meiner Playlist auftauchte. Vinyl wird bestellt, falls verfügbar :D

  • Vor 2 Jahren

    Ich bin echt keine Hater, aber in meinem Ohr sind das sehr schlichte Schunkel-Lieder. Nur in Ska.
    Ich höre sicher nicht viel Ska, aber wenn das 4/5 ist, dürften sich 3/5 Ska Alben nicht verkaufen. OKish.

  • Vor 2 Jahren

    Seh ich anders. Normalerweise ist ja immer das dritte Album das schwache (ja, das ist so, fragt mich nicht!). Aber „Fight the good Fight“ war die Krönung einer musikalischen Entwicklung. Was mit „In the Wild“ angeliefert wurde, ist als nichts anderes zu bezeichnen als Arbeit im Kundenauftrag. Basierend auf dem Fame der popigen Songs (besonders eines Coversongs) ist genau das entstanden: Ska-Pop. Das Album ist für mich ein wildes Buffett. Da liegen Ska und ein bisschen Punk bei den Hauptgerichten und dazu kann man sich dann Reggae, Soul, Swing und sogar Ragga als Beilage aussuchen. Für jeden was dabei, toll! Ne, nich so. Nach wie vor einer meiner absoluten Lieblingsbands, aber keinen der Songs auf dem Album würde ich bei der Zugabe reinbrüllen. Aber die Karriere ist ja noch jung und hoffentlich wird im nächsten Album da weitergemacht, wo man nach „Fight the good Fight“ aufgehört hat. 2,5/5

  • Vor einem Jahr

    Mir geht es ähnlich wie Ranzig. Bis "Fight the good Fight" wurden die Platten stetig besser, diese hier ist leider ein Rückschritt. Man hat das Gefühl, hier wollte eine Band keinem Fan weh tun. Die Melodien sind gefällig, ganz nett, aber irgendwie beliebig, austauschbar - und leider auch wenig neu. Die Soongs sind sich insgesamt zu ähnlich - es gibt quasi nur noch Midtempo und Reggae- wobei letztere Stücke aus meiner Sicht zu viel Raum einnehmen, gerade zum Ende hin. Zudem fehlen die kompositorischen Überraschungen. Strophe und Refrain in unterschiedlichen Tonarten - so wie bei "Gave you everything"? Fehlanzeige. Überhaupt tonartenfremde Töne in einzelnen Songs (Room with a view?). Gibt's nicht. Entsprechend fehlt den Stücken dann auch die Halbwertzeit. Ein schlechtes Album, ist "In the Wild" trotzdem nicht geworden, nur eben kein würdiger Nachfolger des deutlich besseren Vorgängers. Durchschnitt halt. Macht drei Punkte.