laut.de-Kritik
Pop-Punk-Butterfahrt mit willkommenen Abgründen.
Review von Sebastian BerlichFeedback. Eine übersteuerte Gitarre. Plötzlich gesellt sich noch ein pumpender Bass dazu. Für einen kurzen Moment darf man hoffen, dass The Thermals den rauen Ansatz des Vorgängers "Desperate Ground" noch weiter ausbauen, dass sie mal wieder richtig anecken wollen. Aber dann machen Hutch Harris und seine Kollegen sich wieder zielsicher auf den Weg in Richtung Wohlfühlzonen-Punk.
Gemessen daran, dass es hier um das Verschwinden im Allgemeinen und den Tod im Speziellen geht, ist "We Disappear" oft recht behäbig. Wo der Opener "Into The Code" noch nach leicht angeschlagener Hymne klingt, ist man mit "My Heart Went Cold" schon mittendrin im Pop-Punk. "Wo-ho-ho"-Chöre im Refrain, beherzte Power-Chords, Befindlichkeiten: The Thermals haben das natürlich drauf, treten aber nicht so recht aus ihrem eigenen Schatten heraus. Ähnliches gilt für das vorab veröffentlichte "Thinking Of You".
Dabei eröffnet "Into The Code" sogar textlich ein interessantes Feld: Pointiert setzt sich Harris mit der Rolle des Individuums in der digitalen Welt auseinander, gerade mit Blick auf unsere Sterblichkeit. Ob man die Zeilen "Into the code, we stay alive/We will be whole, we will survive" eher als Drohung oder Verheißung auffassen möchte, bleibt dabei ganz dem Rezipienten überlassen. Die Musik lässt beide Möglichkeiten offen.
Im weiteren Verlauf des Albums wird das Thema immer wieder aufgegriffen, jedoch nicht in der Konsequenz, die man sich von einer eigentlich recht ambitionierten Band wünscht. Hinzu kommt eine Schere zwischen Ton und Text: Wenn "Hey You" etwa erneut auf den "Code" verweist, wird eine mögliche Schärfe durch den blassen Garagenrock im Hintergrund neutralisiert. The Thermals klingen an dieser Stelle ein wenig nach Green Day auf ihren letzten Alben, als man ihrem lahmen Pop-Punk die Millionen dahinter allzu deutlich anhörte. Allerdings hat man bei Green Day ohnehin das Gefühl, dass sie einfach keine Ambitionen mehr haben, irgendetwas an ihrer Musik zu ändern oder zu verbessern.
Auf "We Disappear" blitzt hingegen wiederholt der Wille zum Stilbruch auf, und gerade die daraus resultierenden ruhigeren Stücke gelingen dem Trio ausgezeichnet. Besonders hängen bleibt das sphärische Finale "Years In A Day", das Produzent Chris Walla mit ordentlich Schlieren auf der Gitarre versieht, so dass The Thermals hier mehr nach Shoegaze denn Punk klingen lässt.
Doch schon im Herzen der Platte befindet sich mit "If We Don't Die" und "The Great Dying" ein atmosphärisches wie thematisches Doppel, das absolut überzeugt. Während Ersteres sich in sanfter Melancholie übt, wirkt der Quasi-Titeltrack mit der resignierenden Wiederholung der Zeilen "We Disappear" überraschend trist. Der Sound ist rau, der Rhythmus schleppend, und am Ende übersteuert die Gitarre heillos. Die Band gibt auf, verschwindet tatsächlich und lässt endlich das Feedback regieren. Mehr von diesen Momenten, und "We Disappear" hätte endlich mal wieder ein überdurchschnittliches The Thermals-Albums werden können. So reicht es unterm Strich nur für das obere Genre-Mittelfeld.
5 Kommentare mit 3 Antworten
Ich sehe, molten hat schon mit all seinen Fakes die 5/5 gezückt.
hab es bislang nich gehört. die rezi lässt ja wenig gutes vermuten
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Das Cover hat mich sehr an Blood Red Shoes' selbstbetiteltes Album erinnert.
Zweimal durch. Finde das Album ingesamt recht solide, aber die Review liegt nicht so falsch (richtig full Green Day gehen sie mMn aber nur bei "Thinking Of You"). Kommt man mit den gelegentlichen songwritingtechnischen Klischees klar, geht das Album aber schon klar. Feeling und Sound stimmen jedenfalls. Jetzt muss ich noch den Vorgänger nachholen...
der auf jedenfall wesentlich besser ist (hier glaub gar nich so gut weggekommen)
schließe mich da aber an. bei den ersten takten des openers bist du noch in seeliger vorfreude und auch der song an sich lässt aufn eher gradliniges album hoffen. aber es folgt halt auch viel geplänkel und spiel mit angezogener handbremse.
es gibt songs die trotzdem überzeugen können (zB Hey You oder If We Don't Die Today)
aber warum dann eben so luschen drauf sind, wie das von dir erwähnte "Thinking of You"? warum?
die band hat eh schon einige gute alben rausgebracht, nen markanten sänger und auch sound, der halt immer am besten funktioniert, wenn sie einfachen punk spielen. mehr desperate ground, weniger das hier und ich feiere auch noch die nächsten 5 alben
Da schau her:
https://youtu.be/IsggEBgSu7I?t=12m57s
Falls du die volle Ladung cringe haben willst, spul ein bisschen zurück zum Soundcheck und Ansage... aber gut, besser dort als bei ner Apple Keynote denk ich. Hab sie trotzdem noch lieb.