laut.de-Kritik

Das '82er Album mit Bonustracks.

Review von

Tom Pettys Nachlass ist so fruchtbar wie vielseitig: Der College-Rock'n'Roll, den er mit seinen Heartbreakers in den 70ern aufnahm, hat im Rückblick fast so viel Charme wie sein Classic Rock-Pop mit ordentlich Keyboards in den späten 70ern und frühen 80ern, einem Sound, der in einer Zusammenarbeit mit Dave Stewart von den Eurythmics gipfelte. "Long After Dark" entstand noch vorher als Eigenproduktion der Herzensbrecher, im Jahr 1982.

Es ist Pettys fünftes Album, und das erste in der Besetzung mit Howie Epstein am Bass, der für den Hit "You Got Lucky" eine ganz wesentliche Rolle spielt. Die Bassline aus diesem Song wurde eines der Markenzeichen der Band. Benmont Tench bespielt alles, was Tasten hat: Hammond-Orgel, E-Piano und einen Synthesizer Marke Oberheim. Stan Lynch trommelt, Mike Campbell lässt die Lead-Gitarre jaulen.

Campbell war ihm stets ein treuer Begleiter über die Jahrzehnte. Ihm überließ Petty meist die Melodie-Gitarre. Auf dem Cover ist sie schwarz und hat sechs Saiten, der Musiker besaß aber mehrere schwarze, darunter eine Rickenbacker 660-12, für deren Spiel er auch bekannt wurde. Dieser Zwölfsaitigen sagt man einen Jangle-Sound im Stile des psychedelischen Sixties-Flowerpower-Folk nach. Hier wären wir auch schon beim ersten Befund. "Long After Dark" datiert zwar auf den 2. November 1982, die Takes aus den Sessions atmen aber jede Menge Sechziger-Spurenelemente.

Die Deluxe Edition von "Long After Dark" ist ein Re-Release, der sich richtig lohnt. Der erste Hauptgewinn lässt nicht lange auf sich warten, in Form des zielstrebigen Gitarrenstücks "Turning Point (Original Drums Version)" mit The Byrds-Anleihen. Posthum nun erstmals zu hören ist "Don't Make Me Walk The Line". Im Upper Midtempo groovt die Nummer im Stile von Erfolgen wie "Here Comes My Girl" oder eben "You Got Lucky". Die "Heartbreakers Beach Party" war eine Live-Nummer, die kurze Zeit als zweiminütige B-Seite verkauft wurde. Mit ihrer Orgel-Darbietung und in Pettys angetrunken klingender Stimme mutet die "Heartbreakers Beach Party (Extended)" düster wie ein Doors-Tune an. Steht man auf die humorvolle Seite von Petty Band, ist diese Aufnahme ein Must-Have.

"Ways To Be Wicked (Denver Sessions)" existierte nie als offizielle Studio-Aufnahme. Die Qualität hier übertrifft an Schwung und Spontaneität jeden offiziellen Album-Cut. Den Song wollt ihr als Rock-Fans nicht missen, wenn ihr ihn mal gehört habt. Denn der zündet senkrecht. Das Troggs-Cover "Wild Thing" steht den Heartbreakers sehr gut. Hier gibt's die nächste belastbare Brücke in die 60er, Prä-Garage at its best, insbesondere weil Benmont Tench einfach genial an der Hammond agiert.

In "Straight Into Darkness" sind die Gitarren entweder vom grassierenden New Wave geprägt oder nehmen vorweg, was Steve Earle später einführen würde. "One On One" ist ein netter E-Gitarren-Reiter aus den Nachbar-Genres Hardrock und AOR. Das satt aufbrandende "Keeping Me Alive" beweist im "Keeping Me Alive (French TV)"-Mitschnitt das tolle Zusammenspiel der Gruppe. Diese Version fand sich bisher nirgends. Eine kürzere flutschte in drei teure Box-Sets hinein. Die "Finding Out (French TV)"-Version klingt weniger hell als das Original, füllt die Boxen aber mit mehr Wumms, bluesigem Unterton und schleicht sich nicht feige im Fade-Out aus. Das französische Fernsehen bewahrte die Filmaufnahme zum Glück auf, auf der man die Band im Studio sieht. Hier haben wir genau die Minute mehr, die das Material mit 80 Minuten und 53 Sekunden übers Limit hob und zu lang für einen einzelnen Silberling war.

Zum ursprünglichen Album: Es umfasst mit dem rhythmisch attraktiven "We Stand A Chance" ein weiteres locker vibendes Stück nach dem Strickmuster von "You Got Lucky". "We Stand A Chance" ist wohl das Petty-Stück, das sowohl am meisten New Wave- wie auch Pop-Anteile enthält. Aber es ist in meinen Ohren ein so eingängiger Tune, dass es seltsam ist, wie er nie auf Compilations übernommen wurde und dass er nur in den USA chartete. Dort erreichte er immerhin Rang 21 in den Billboard Top 100, zu einer Zeit, als sich dahinter noch eine sechsstellige Verkaufszahl verbarg. Das unveröffentlichte "Never Be You" lebt insbesondere durch die intensiven Vocals und den Text. Toms Protagonist erklärt zwischen den Zeilen, nach einer Trennung zwar nach vorne geschaut und sich eine neue Partnerin angelacht zu haben. Erfüllend fühle sich das aber nicht an, denn "she could never be you". Selten komponierte Petty so zarte, ausgeruhte Balladen wie "A Wasted Life" oder das mit viel E-Piano ausgestattete "Stories We Could Tell", das sie nur live zum Besten gaben. Als "Stories We Could Tell (French TV)"-Aufnahme ist die an CSNY erinnernde Nummer nun endlich erhältlich.

Die Neuauflage enthält eine BluRay-Scheibe mit allen 22 Tracks in Dolby Atmos und 24bit-Dynamik. Für das Ausgrabungsprojekt zeichnet Ryan Ulyate veranwortlich, der schon mit dem Electric Light Orchestra arbeitete und von Jeff Lynne auch Traveling Wilbury Petty vorgestellt wurde. Ulyate mischte das letzte George Harrison-Album "Brainwashed" ab und arbeitete 13 Jahre lang mit Tom Petty im Studio. Auch hier holt er aus dem alten Material enorm viel raus.

Trackliste

CD1

  1. 1. A One Story Town
  2. 2. You Got Lucky
  3. 3. Deliver Me
  4. 4. Change Of Heart
  5. 5. Finding Out
  6. 6. We Stand A Chance
  7. 7. Straight Into Darkness
  8. 8. The Same Old You
  9. 9. Between Two Worlds
  10. 10. A Wasted Life

CD2

  1. 1. Stories We Could Tell (French TV)
  2. 2. Never Be You
  3. 3. Turning Point (Original Drums Version)
  4. 4. Don't Make Me Walk The Line
  5. 5. I'm Finding Out (French TV)
  6. 6. Heartbreakers Beach Party (Extended)
  7. 7. Keeping Me Alive (French TV)
  8. 8. Straight Into Darkness (French TV)
  9. 9. Ways To Be Wicked (Denver Sessions)
  10. 10. Between Two Worlds (French TV)
  11. 11. One On One
  12. 12. Wild Thing

BluRay 24bit-Dolby Atmos

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