laut.de-Kritik

Schmelzende Zartbitterklänge aus dem stillen Kämmerlein.

Review von

Der Sommer haucht seine letzten Atemzüge. Vor der Tür weht bereits ein kerniger Herbstwind. In den Köpfen der Menschen machen sich wieder zunehmend melancholische Gefühle breit. Wenn es draußen kühler und schroffer wird, sehnt man sich nach wärmenden Kaminflammen und lauen Kuschelstunden unter Daunendecken. Auch die Musik passt sich an. Hibbelige Sommersounds weichen herbst- und winterfesten Zartbitterklängen.

Im britischen Cornwall wird der Übergang von Warm zu Kalt immer besonders gefeiert. Den Südwestzipfel Englands regiert musikalisch nun schon seit geraumer Zeit eine Frau, die das Melancholie-Zepter genauso fest in den Händen hält wie die Bayern die Meisterschale. Ihr Name: Tori Amos.

Mit "Native Invader" trifft sie wieder einmal den perfekten Zeitpunkt. Abgesehen vom elektronisch angetriebenen "Up The Creek" und der von luftigen Percussions getragenen Wohlfühlnummer "Bats" präsentiert die rothaarige Piano-Queen ausnahmslos Schmelzendes aus dem stillen Kämmerlein.

Die abermals bezirzende Melange aus Toris einzigartigem Organ, wahlweise düster grollenden oder handzahm aufbereiteten Klavierläufen und pointiert eingebunden Streichern führt das Dynamik-Juwel "Reindeer King" an. Es geht hoch und runter. Die obligatorischen Achterbahn-Harmonien, abrupt wechselnde Atmosphären und Toris unnachahmlicher Gesangsstil lassen sieben Minuten wie im Fluge vergehen. Bitte mehr davon!

Tori liefert: Die "From The Choirgirl Hotel"-Erinnerung "Cloud Riders", das poppig arrangierte "Wings", das vielleicht intimste Klang-Stillleben seit "Winter" ("Breakaway"): Hier reiht sich Höhepunkt an Höhepunkt.

Zwischen altbewährten Slow-down-Strukturen, die bereits auf dem letzten Album wieder mehr in den Vordergrund rückten, beeindruckt Tori Amos dieser Tage auch im klassischen Singer/Songwriter-Gewand. Mit Wah-Wah-Spielereien, zarten Akustikgitarren und unterschwelligen Orgelklängen bestückt, kreisen Songs wie "Broken Arrow" und "Cloud Riders" ums knisternde Lagerfeuer wie Musik gewordene Wattewölkchen.

Wenn der Sommer Abschiedsgrüße versendet und die ersten Kaltwinde über die Klippen von Land's End fegen, sitzt Tori Amos in eine kuschelige Decke gewickelt auf ihrer Veranda und blickt mit einem Lächeln im Gesicht in weite Ferne. Zeitgleich macht sich ihr Album "Native Invader" auf die Reise, um in unzähligen Stuben auf der ganzen Welt für wohlige Stimmung zu sorgen. Der Herbst kann kommen.

Trackliste

  1. 1. Reindeer King
  2. 2. Wings
  3. 3. Broken Arrow
  4. 4. Cloud Riders
  5. 5. Up The Creek
  6. 6. Breakaway
  7. 7. Wildwood
  8. 8. Chocolate Song
  9. 9. Bang
  10. 10. Climb
  11. 11. Bats
  12. 12. Benjamin
  13. 13. Mary's Eyes

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