laut.de-Kritik
Die Kraft von früher, vereint mit dem Blickwinkel von heute.
Review von Sven KabelitzJede Person hat eine eigene Art, mit Verlust und Trauer umzugehen. Solange man niemandem dabei schadet oder sich nicht selbst darin verliert, ist jede davon richtig. Musik spielt dabei oft eine große Rolle. Sich von ihr verstanden zu fühlen, sie selbst erschaffen, kann uns berühren und trösten wie kaum etwas anderes.
Tori Amos' sechzehntes Album "Ocean To Ocean" "ist eine Platte über Verluste und wie du mit ihnen umgehst", erklärt die Sängerin selbst. Sie selbst hatte in den letzten Jahren vieles zu verkraften. Auf der einen Seite an Ereignissen rund um den Klimawandel, die Politik und den Corona-Lockdown, die uns alle betrafen. Andererseits auf einem sehr privatem Level mit dem Tod ihrer Mutter. Die in ihrer Arbeit und Seele auf Reisen angewiesene Künstlerin saß mit ihrer Familie in ihrem Haus in Cornwall fest. Für das Bewältigen ihrer Gefühle und ihre Arbeitsweise musste sie eine neue Lösung finden. All dies zusammengefasst, führte zu einer persönlichen Krise.
Den Ausweg suchte sie in Büchern über die Natur. Darüber erzählte sie im laut.de-Interview: "An einem bestimmten Punkt war es jedoch klar, dass die Musen zu mir sagten: 'Du musst von dort aus schreiben, wo du bist. Und weißt du, wo du bist? Du bist in deiner eigenen kleinen privaten Hölle, T. Also musst du von dort aus schreiben.' Und ich suchte nach Kämpfern, denn ich musste das Monster der Niedergeschlagenheit bekämpfen. Also wandte ich mich an Bruce Lee, einen der größten Kämpfer aller Zeiten, und seine Weisheit lautete: Sei wie Wasser. So öffneten sich die Schleusen."
Die Todesfaust des Cheng Li führte Amos aber nicht etwa zu dem introvertiertem Werk, das Künstler*innen in einer solchen Situation oft veröffentlichen. Die Chanteuse zeigt sich nicht alleine und Wunden leckend am Piano in andere Sphären schwingend. Die Faust zeigte ihr die gegenteilige Richtung.
"Ocean To Ocean" verfügt über eine Frische und Leichtigkeit - falls man so etwas in Amos' Musik sehen mag - die man auf den letzten Vorgängeralben nur noch selten fand. In dieser Kompaktheit gab es diese zuletzt auf "Little Earthquakes" und "Under The Pink". Es führt zurück an den Wegepunkt, an dem aus ihr eine abstrakte Songwriterin wurde, die ihre klassische Ausbildung und Kunst zunehmend in den Mittelpunkt ihrer Musik rückte, und stellt die Weichen für einen kurzen Moment noch einmal neu.
"Ocean To Ocean" stellt so das zugänglichere Album dar, das viele Hörer*innen damals anstelle des grandiosen, aber auch herausfordernden "Boys For Pele" lieber gehört hätten. Es ist die alternative Zeitlinie, in die wir für einen Moment schnuppern dürfen.
Dieses Zurückbesinnen lässt den Longplayer nicht scheitern, sondern stellt den emotionalen Kern dar. Eine Basis, aus der eine dynamische Stilvielfalt erwächst. Selbst in den traurigsten Momenten gibt Amos ihrer warmen Melancholie alleine schon durch ihre so vertraute Stimme etwas Versöhnliches und Hoffnungsvolles mit auf den Weg. Ihr Organ hat in den letzten Jahren leider an Dynamik und Range verloren, verfügt aber noch immer über eine herausstechende Ausdrucksstärke.
Die Rückkehr von Jon Evans (Bass) und Matt Chamberlain (Schlagzeug) trägt zum erdigen Sound bei. Der Rest bleibt ein Familienunternehmen. Ehemann Mark Hawley übernimmt wie gehabt die Gitarre und Tochter Nash singt auf drei Stücken ("Devil's Bane", "Addition Of Light Divided", "Speaking With Trees").
Das zuerst für das Album entstandene "Metal Water Wood" stellt den Ausgangspunkt dar, von dem aus es sich "Ocean To Ocean" am besten erschließt. "Be like water, gibt sie im Refrain Lees Tipp wieder, singt "Take away my shattered dreams / Wash them away with the tide". Das Element wird vom klaren Gebirgsbach zum Fluss. Die kalte, klare Metapher, die die einzelnen Songs umfließt und verbindet. Ein stimmungsvoller und verwinkelter Track, dessen unruhiger Aufbau jede Ecke des Liedes erforscht.
"Spies" zählt mit seinem "Breakthru"-sound-a-like-Basslauf wohl zu den leichtfüßigsten Amos-Stücken überhaupt. "29 Years" blickt mit leichtem Reggae-Einschlag weitflächig auf die 29 Jahre seit "Little Earthquakes" zurück. "These tattered bits of me / I've been piecing for 29 years." Der zuerst verträumte Ansatz des Titeltracks als malerische Fischerballade kippt schnell in eine lautstarke Anklage gegen Kapitalismus, Politik und deren Auswirkung auf die Umwelt. "There are those who don't give a goddam / That we're a mass extinction / ... / There are those who only give a goddam / For the profit that they're making." Ein Link zu "Scarlet's Walk", an dessen Ende Tori Amos mit ihrem Glauben strauchelt. Bereits kurz nach "There is a way out of this" lässt sie ein "Faith where have you gone?" folgen.
In der einnehmend emotionale Up-Tempo-Nummer "Speaking With Trees" setzt sich Amos mit dem Tod ihrer Mutter und den damaligen Umständen auseinander. "I've been hiding you ashes / Under the tree house / don't be supries / I cannot let you go." Die über lange Zeit geschaffene Harmonie zwischen ihrem Klavierspiel und der Gitarre des sich zurücknehmenden Hawley wird in diesem dynamischen Stück besonders deutlich. Der selbstbewusste Trennungs-Tango "Birthday Baby" bildet einen bezaubernden Abschied für ein wundervolles Album. "Bring those killer heels with you / Sometimes in life A Girl must tango alone / ... / After all it was you who taught him his dance steps."
Die Person Tori Amos und ihre Musik bilden eine Symbiose, wie man sie nur bei wenigen Acts findet. Sie sind untrennbar miteinander verwoben. In der Kompaktheit und Fokussierung sticht "Ocean To Ocean" aus den letzten Veröffentlichungen der Sängerin jedoch deutlich heraus. Egal ob für sich alleine stehend, oder als Gesamtwerk, überzeugt jeder einzelne Song. "Ocean To Ocean" trägt die Kraft ihrer frühen Veröffentlichungen und den Blickwinkel der heutigen Tori Amos in sich.
6 Kommentare mit 24 Antworten
Schönes Album.
rostiges dach, ocean im keller
...in deinem Fall hier mehr so: "Offene Fontanelle, Lochfraß im Hirn", oder was?
Erinnert jedenfalls gerade so ein bissl an das avatarstiftende Vorbild in seinem Niedergang vom achtbaren Satiriker zum ordinären Comedian, der statt wie früher die eigene Wut mit Fakten fütternd zum kredibilen Bühnenhulk mutierend heutzutage als sehr viel stumpfer pöbelnder Marktschreier inmitten des Pöbels von seinem Bepöbelungsgegenstand oft nur noch marginal unterscheidbar wirkt.
Der Spruch entfaltet sein volles Bouquet erst, wenn man kurz zuvor ein Interview gelesen hat, in dem Tori die an ihr begangene Vergewaltigung und die immerwährende Gefahr, dass das im Zaum gehaltene Trauma jederzeit wieder mit voller Wucht zurückschlagen könnte, thematisiert.
Ist übrigens auch Kernthema des Tracks "29 Years", über den in der Rezi nur berichtet wird, wie reggaehaft der ist und dass er auf die 29 Jahre seit Little Earthquakes zurückblickt. ;/
Klares Versäumnis meinerseits. Ärgert mich jetzt und tut mir leid.
ok, das war mir nicht bewusst. die witz war bodenlos flach, niveaubefreit und in dem zusammenhang natürlich richtig übel. die prügel habe ich verdient. ich werde es stehen lassen, als dokument meines versagens (in keinsterweise ironisch gemeint).
*der
besser als dokument meiner schande.
Du könntest dich dazu auch einfach direkt wieder löschen, weil dich wirklich keine Sau braucht.
Wir alle greifen (insbesondere hier) öfter mal mächtig zu tief ins Klo, umso mehr kann ich deine Einsicht sowie dein Einlenken an dieser respektieren, Danke dafür, @nomi.
*Stelle
(und nicht jede Rolle hier kommt mit genügend Range, um das anzuerkennen, behalt für evtl. anhaltende oder wiederkehrende Scheißeschauer im Hinterkopf )
Guck, auch ein nomi ist nicht unfehlbar, gute Reaktion, Junge, respektabel.
Musik für den lautürnichuser
Magst du deine eigene Unwissenheit bzgl. der Userhistorie noch ein wenig dicker unterstreichen indem du mir vorwirfst, nicht zu wissen, dass hier eigentlich ja nur Rezensionen und überhaupt gar keine Rezessionen fabriziert werden?!
Deine augenscheinlich verausgabenden Bemühungen jedenfalls, die bodenlose jeromsche Niveausenke zu untertunneln, tragen erste Früchte und die limpster-Verdachtsmomente könnten die ersten im Board kolportierten Vorwürfe werden, die sich nicht als völlig haltlos herausstellen - auch weil du bis heute die Userhistorie zu schlecht kennst um zu wissen, wie die hier auf dem einen existierenden Königsweg angemessen zu parieren sind.
Ach jetzt komm, du weißt doch ganz genau, dass ich NICHT Limpster bin. Das spüre ich zwischen den Zeilen, du willst mir das nur ankleben du As(s)i!
Du bist intelligent genug, um die Korrelation zwischen Intelligenz und Faulheit korrekt zu erfassen, leider aber zu wenig intelligent, um mit dem Maß an Faulheit durchzukommen, was dir am bequemsten fürs eigene Leben erscheint. Das entbehrt nicht einem gewissen Hauch an Tragik, der wiederum zu kurzatmig in der Umgebungsatmosphäre schwebt, um dir gefangen in deiner Situation Hilfe leisten oder wenigstens aufrichtiges Beileid spenden zu wollen.
Viel zu hartes Urteil mal wieder. Aber faul bin ich schon, das stimmt. Nur ist es in Deutschland sehr schwierig bei selbst maximaler Intelligenz und Faulheit überhaupt durchzukommen, von daher werde ich diesen Traum niemals erreichen können, selbst wenn ich so intelligent wäre. Damit habe ich mich früh abfinden müssen. Meinen Ist-Zustand daher an einer Utopie zu bemessen ist daher wiederum maximal ungerecht! *pööh*
PS: Neue Slipknot Single ist Online.
Nicht (mehr) die Musik, die ich beim Bügeln und Wäsche falten bevorzugt höre.
Darüber hinaus natürlich nicht ganz unrichtig und wie gesagt alles auch ein bissl tragisch, aber dich deswegen mit samtigeren Handschuhen anpacken als den Rest? Meh, eher nicht.
Was mir an dem Album besonders auffällt (und sehr gut gefällt!), ist die etwas herbstlich-herbere Stimme die mit dem Alter zum Vorschein kommt. Obwohl ich sie immer mochte, war mir ihre Stimme manchmal zu hell/klar/sirenenhaft...
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
Mehrfach gehört 4/5, ein wirklich sehr schönes Album! Den einen Punkt Abzug gibt es für den m.E. zu übertriebenen Einsatz von diesem Zittern in der Stimme (k.A. wie ein Auskenner das nennt..).
Beim Hören fiel mir auf, dass ich von ihr eigentlich nur diesen Überhit "Cornflake Girl" (von 94) kenne und dann gucke ich und sehe, dass sie seitdem foookin 17 Alben gemacht hat, die ich alle nicht kenne. Mag mal wer seine Favorite Alben von ihr empfehlen, bin geneigt viel mehr von ihr zu hören!
Hat halt in den Neunzigern 3 Überalben nacheinander rausgebracht (Little Earthquakes, Under the Pink und Boys for Pele.)
Hör dir die erstmal einige Zeit in Dauerschleife an bevor du dich an die, eher experimentellen, Werke der 00er Jahre rantraust.
Gerne auch (gucke ich immer wieder) ihr Unplugged Konzert damals bei MTV!
Für mich, und da bediene ich mich mal deines Duktus, tatsächlich eine Göttin!
"Einsatz von diesem Zittern in der Stimme (k.A. wie ein Auskenner das nennt..)."
Citerio.
Sündi! Danke für Deine Tipps! So werde ich das handhaben, inkl. unplugged Konzert!
Gleep, Du mieser Fieser!
vibrato
Thx, Capsi. Wollte ich schon fast so schreiben, war mir aber unsicher, ob es das wirklich ist.
@WeinbauMC: Also *mein* sicherer Favorit für alle Zeiten ist »Night of Hunters«!
Gefolgt von »Under the Pink«, »Little Earthquakes« und »Gold Dust«. Aber es gibt auf den anderen Alben soviele schöne einzelne Stücke, die herausragen … als Tori Amos Fan muß man wohl einfach alle Alben haben. Und dazu gehört dann ganz sicher auch ihr wohl am schwerstes zugängliches, »Boys for Pele«.
»Night of Hunters« aber sticht nicht nur wegen seiner völlig anderen Art heraus - ist ja viel mehr ein klassischer Liederzyklus als ein typisches Tori Amos Album. Aber was für einer! Ihre Stimme und ihr Gefühl sie passend einzusetzen kommt dort am besten herüber. Letzteres gilt übrigens auch für ihre Tochter auf diesem Album. Was für eine Entdeckung!
From the choirgirl Hotel -richtig gut