laut.de-Kritik

Wer schreibt diesen Blödsinn? Chat LGPT?

Review von

Stellt euch vor, es ist Hype und keiner geht hin. Anscheinend hat der Rapper, TikToker und Sänger Twenty4Tim im letzten Jahr drei Nummer-Eins-Hits gelandet. Anscheinend, weil das – soweit ich das beurteilen kann – niemand außer zwanzig Leuten, die den offiziellen deutschen Charts auf Facebook folgen, bemerkt hat. Es sieht aus, als wäre er eine kontroverse Figur, er rappt darüber, eine kontroverse Figur zu sein. Nur ist mir trotz der immensen Zahlen weder Lob noch Kritik noch Diskurs zu dem Mann untergekommen. Um es mit Weekend zu sagen: Er ist sowas wie ein geheimer Star. Den keiner kennt. Und keiner mag. Kontrovers wirkt an seinem Debütalbum (ebenfalls Nummer Eins) nämlich nur seine Wackness.

Fassen wir kurz zusammen, was auf "Phoenix" passiert: Twenty4Tim ist schwul und kann nicht rappen. Das soll kein Diss sein, sondern eine vollumfängliche Zusammenfassung aller dargebotenen kreativen Errungenschaften. Letzteres schwebt über diesem Projekt wie ein Damoklesschwert. Ich würde ja gern auf das tolle, emanzipatorische Album eines jungen, selbstbewussten schwulen Mannes eingehen, seine Perspektiven und seine Gedanken loben, aber das Fundament fehlt. Wie bei vielen Influencer-Musikern ist sein Vortrag von Lieblosigkeit und fehlender Routine gezeichnet. Es ist offensichtlich ein Mittel zum Zweck. Wäre Rappen eine Fremdsprache, dann wäre das bestenfalls der halbe Weg zu A1.

Es stellt sich also die Frage: Wo kommt diese Aufmerksamkeit her? Ist er so eine ikonische Figur in der LGBTQIA+-Community? Nun ja. Natürlich ist es cool, mehr queere Popstars in Deutschland zu bekommen. Aber eine bereichernde Perspektive sieht anders aus. Im Jahre 13 nach "Born This Way" schreibt er auf Songs wie "Warum" queere Seifenopern, die kein Klischee auslassen. "All die Vorurteile gibt es doch schon ewig / Wenn zwei Typen sich mal küssen, ist es eklig, mh-mh". Das mag alles stimmen. Aber seine Beobachtungen reichen ungefähr so tief wie ein Sat 1-Beitrag im Juni. "Fuck, Mann, ich komme nicht klar / Doch aufgeben wäre Verrat, ja / Uh, uh-uh, du bist doch mein Schicksal / Das, was ich vermisst hab", reiht er Schmalz und Vorhersehbarkeit aneinander. Wer schreibt diesen Blödsinn? Chat LGPT?

Ansonsten gibt es neben Message-Songs und dem schleimigsten Mama-Song seit 18 Karat eine Menge Partytracks back to back, die irgendwo zwischen Electro und Schlager changieren und nichts zu bieten haben, außer zu glauben, dass ein schwuler Protagonist etwas äußerst Schockierendes wäre. Das Musikalische kann's auf jeden Fall nicht sein, dass hier die Leute ziehen soll. Songs wie "Gönn Dir" oder "Bling Bling" stellen die Frage, wie viele der simpelsten Popformeln und Vocal-Effekte es braucht, um einen Amateur passabel klingen zu lassen. Er gibt die Kleinstadt-Karaoke-Queen. Und wäre das eine Performance bei einer lokalen Dragshow, dann wäre das ja süß und nett. Aber Tim hat einfach diese Art Stimme, die selbst mit dem 400% Reverb-Mic in der sehr gütigen Karaoke-Bar kein Volumen bekommt.

Trotz aller Versuche, diese Platte sehr queer klingen zu lassen, habe ich doch noch nie eine echte queere Person mit so beschissenem Musikgeschmack getroffen. Die Electro-Beats erinnern eher an das, was Sängerinnen wie Mia Julia an den Ballermann bringen, wären aber selbst dort verhältnismäßig unterentwickelt. Mit den Fake-Streichern aus der Dose klingt er auf den Balladen wie jemand, der bei DSDS trotz Sobstory im Viertelfinale fliegt. Nur "Icecream" bringt Dance-Musik mit ein bisschen Energie. Alles andere klingt, wie Influencer-Musik eben klingt: Lieblos, hingeschissen. Beats, die die Hörer*innen für absolute Vollidioten halten, weil sie sowieso fressen werden, was man ihnen vorsetzt.

Twenty4Tim ist ein hochgradig komisches und frustrierendes Phänomen. Er ist ein Musiker, der auf einem Niveau unter der durchschnittlichen Ytitty-Songparodie agiert und seine Queerness als Schild benutzt. Trotzdem hat er auch zu diesem Thema jenseits generischster Klischees nichts beizutragen. Es ist das Jahr 2023 und wir sahen schon Artists wie Mykki Blanco, Saucy Santana, Cakes Da Killa oder Cupcakke. Man freut sich ja generell, wenn Musik die richtigen Leute aufregt. Aber es kann kein Qualitätsmerkmal sein, dass seine Musik so RTL-Core ist, dass sie die letzten Rübenbauern anzieht, die sich darüber aufregen würden.

So stellt sich zum Schluss die Frage, wer all das überhaupt hört; und meine erste Vermutung war, dass es sehr junge Leute sind, was natürlich toll ist, wenn sie früh sichtbare Repräsentation bekommen. Die zweite Vermutung ist, dass das Musik für Menschen ist, die sich freuen, wenn McDonald's ihnen zum Pride Month den McRib in eine Regenbogenflagge wickelt oder wenn die FDP und die CDU einen eigenen Wagen beim CSD bekommen. Aber was, wenn die Musik einfach gar niemand wirklich hört? Twenty4Tims Zahlen sind so offensichtlich frisiert, dass es quietscht und trotzdem scheint niemanden zu interessieren, dass es ihn gibt. Irgendwann in zwanzig Jahren wird man die Liste der Nummer-Eins-Hits in Deutschland scrollen, auf ihn stoßen und mit einem lauten "... Huh?" reagieren. Das ist wohl das ganze Ausmaß seines Vermächtnisses.

Trackliste

  1. 1. Gönn Dir
  2. 2. Boys & Toys
  3. 3. Juckt Nicht
  4. 4. Wissen Wie Das Ist
  5. 5. Warum
  6. 6. Galaxie
  7. 7. Nice Wie Du Bist
  8. 8. Beautiful
  9. 9. Mama
  10. 10. Hot Or Not (feat. Kitty Kat)
  11. 11. Zu Dir Passt
  12. 12. Icecream
  13. 13. Coachella
  14. 14. Bitte Sag Ja
  15. 15. Shut Up And Dance
  16. 16. Bling Bling

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Twenty4tim

"Du musst dein eigenes Ding machen." Das ist das Motto von Twenty4tim, der eigentlich Tim Kampmann heißt. Und das kommt anscheinend gut an, denn Tim …

6 Kommentare mit 8 Antworten