laut.de-Kritik

Jagd auf die wortgewitzteste Punchline des Jahres.

Review von

"Eine nachgemachte Kunst gedeiht nie". Diese Weisheit aus dem frühen 19. Jahrhundert servierte mir meine Muskotepackung heute zur Guten-Morgen-Zigarette. Im Jahr 2007 wissen wir: Bullshit. Wo man hinblickt, dominieren Kopien von Kopien den ganzen Markt - und deutscher Rap bildet da keine Ausnahme. Den ganzen Markt? Nein. Ein von unbeugsamen Individualisten belagertes Label hört nicht auf, den Fakern Widerstand zu leisten.

Favorite, Kollegah, Slick One und Shiml sind glücklicherweise nicht die einzigen Rapper, die ungeachtet von Trends ihr eigenes Ding vorantreiben. Aber kaum jemand kann einen solchen Aufstieg verzeichnen wie die Jungs von Selfmade. Das Do It Yourself-Prinzip ziehen sie konsequent durch: Bei fast jedem Beat hat Hausproduzent Rizbo seine Finger im Spiel, auf Gastrapper verzichtet das Label gänzlich. Zurecht. Wortakrobaten dieses Formats brauchen keine Features.

Unverzichtbar jedoch: Passende Beats. Während Kollegah über das atemberaubende Gitarrenriff beim Separate-Diss "Ein Guter Tag Zum Sterben" alles plattwalzt, müht er sich beim Versuch, seine gelangweilten Wortkolonnen auf ein hektisches Prodigy-Sample zu packen ("Hater") doch spürbar ab. Deutlich besser funktioniert er über die durch den Reißwolf gezerrte Eurodance-Nummer "Wer Der Boss".

Auch Favorite bekommt nicht immer die Instrumentals vorgesetzt, auf denen er sich voll entfalten kann. Obwohl er dem Sampler mit seinen Solostücken "So Wie Fav Bist Du Doch Nicht" und "16 Bars" zwei Höhepunkte beschert, stoßen mir die Parts auf dem Shiml-Feature "Kein Weg Zurück" und der Single "Weg Nach Oben" unangenehm auf - trotz der genialen Line "Ruf die Feuerwehr und hol deine scheiß Muschi von meinem Ast runter". Sowieso liefern sich Kolle und Favo als Duo Infernale einen erbitterten Kampf um die wortgewitzteste Punchline des Jahres.

Der Labelboss Slick One hat von dem durchgeknallten Quartett seine Füße noch am ehesten auf dem Boden - kein Wunder, bei dieser Statur. Obwohl oder gerade weil er auf opulente Reimsalven und Doubletimepassagen verzichtet, bieten seine Parts doch meistens einen angenehmen Gegenpol zu den komplexen Reimen seiner Kollegen. Nicht jedoch Gelegenheit zum Verschnaufen: Keines seiner Signings legt derart Druck in die Verse wie er. "Slick One / Ich werf meinen Schatten übers Land, wie Big Pun". Ein wahrlich würdiger Opener für "SR Time", einer Collabo der beiden Labelgründer: nicht nur wegen Flipstars orientalischem Mörderbeat mein Favorit der Scheibe.

Erstaunlicherweise präsentiert sich ausgerechnet das bislang unauffälligste Signing am gekonntesten: Shiml. Trotz der musikalischen Zerhackstückelung, die ein Sampler gerne mal mit sich bringt, erschafft der gute Mann oftmals alleine Kraft seiner Stimme eine atemberaubende Atmosphäre. Es dauert eine geraume Weile, bis man seinen Parts angesichts des technischen Wahnsinns seiner Kollegen überhaupt zur Genüge Beachtung schenkt. Aber irgendwann wachsen Tracks wie "Wenn Es Kalt Wird" oder "Geradeaus" förmlich über sich hinaus.

Selfmade Records verkörpern die jungen Wilden in der Rapszene. Das Potenzial ist da. Sie wissen es. Wir wissen es. Sie sind kaltschnäuzig, talentiert, hungrig - was fehlt, ist die Abgebrühtheit. Wenn irgendjemand es derzeit schaffen kann, die Aggro Berlin-Dominanz auszuhebeln, dann das Ruhrpottlabel. Shiml und Favorite haben vorgelegt. Der Würfel könnte fallen, wenn im Herbst das "alles zerberstende" Kollegah-Album "Alphagen" ansteht.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Weg Nach Oben
  3. 3. Hater
  4. 4. So Wie Fav Bist Du Doch Nicht
  5. 5. Wenn Es Kalt Wird
  6. 6. Skit
  7. 7. SR Time
  8. 8. (Zeig Dem Volk) Wer Der Boss
  9. 9. 16 Bars
  10. 10. 327 Strassensound
  11. 11. Dunkelheit Der Nacht
  12. 12. Lauf Aus Dem Club
  13. 13. Nasatruppen
  14. 14. Kein Weg Zurück
  15. 15. Geradeaus
  16. 16. To The Top
  17. 17. Shotgun Selfmade RMX
  18. 18. Outro
  19. 19. Ein Guter Tag Zum Sterben (Bonus)

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