laut.de-Kritik
Der Dickkopf des Protagonisten rettet das Format.
Review von Jeremias HeppelerDie Platte startet stilecht mit vereinzelten Wuhu-Rufen, euphorischen Pfiffen und warmem Applaus. Dann, folgerichtig, die Akustik-Gitarre, ein wenig wacklig, von elektronischen Reibungsfeldern befreit. Trotz aufkeimender peinlicher Berührtheit kommt man nicht umhin, festzustellen, dass sich dieses akustische Kaminflackern fast ein wenig heimelig anfühlt. Schon schiebt sich Marius Müller-Westernhagens eigensinniges Organ ins Setting und verstärkt das irritierende Gefühl. Ein bisschen altbacken es klingt zwar schon, wenn sich "Willst Du Tanzen" zwischen Seefahrer-Song, Country-Romantik und Folk-Ballade aufbaut. Aber eben auch schön knorrig, rührend und berührend.
In Zeiten, in denen völlig deplatzierte Newcomer wie Cro und unsägliche Mainstream-Krampen wie Unheilig, Revolverheld oder jetzt sogar Andreas Gabalier (Was zur Hölle?) bereits "Unplugged"-Konzerte eingespielt haben, blättert der Lack des fast mythischen Ritterschlag-Formats gehörig ab. An dieser Stelle tut es durchaus gut, dass die Macher doch noch einen Künstler ausgegraben haben, der zweifelsohne über die Gravitas, Karriere und Diskografie verfügt, um so einen stromlosen Abend zum Event zu machen.
Eigentlich war dieses Konzert längst überfällig. Tatsächlich hatte Westernhagen schon vor zweieinhalb Jahrzehnten das Angebot abgelehnt, als erster deutscher Musiker die MTV-Reihe zu erweitern. Jetzt rutscht also zusammen, was längst zusammen gehörte, und ja, vielleicht ist das im Juli dieses Jahres aufgezeichnete Westernhagen-Konzert, das im übrigen zusammen mit einer Filmversion von Fatih Akin erscheint, die letzte Chance, den ramponierten Ruf der "MTV Unplugged"-Konzerte wiederherzustellen.
Trotzdem zuckte ich kurz zusammen, als ich die Worte "Unplugged" und "Westernhagen" erstmals kombiniert vernahm. Das liegt einerseits an der Westernhagen zugeschriebenen Charakterisierung als Stadion-füllender Volkssänger, den er mit Herbert Grönemeyer teilt, andererseits an der medialen Einordnung seiner Person als kauziger bis spleeniger Altrocker, die ihn in einem Topf mit Udo Lindenberg vermengt.
So eine "Unplugged"-Show entwickelt sich immer auf einem schmalen Kitsch-Grat. Die Gefahr eines hyper-gefühlvollen Absturz ist absolut immanent. Scheinbar war das aber auch Westernhagen selbst bewusst, der sich mit der Auswahl der Setlist vorab extreme Arbeit machte. Über seinen Go-To-Hymne "Freiheit" sagte er im Stern-Interview: "Ich hatte Angst, dass man diesen Song kaputt macht ... Er ist kein Gassenhauer, den man mitgrölen soll. Ich wollte das dem Lied nicht antun."
Aber "Freiheit", das der 67-Jährige seit zehn Jahren nicht mehr live gespielt hat, schließt die 34-Songs starke Doppel-CD auf der vorletzten Position ab und wischt die Befürchtungen weg. Denn ausgerechnet di Komposition, die förmlich danach schreit, sie mit unnötigen Verzierungen und Pomp aufzuladen, offenbart sich hier in einer feinfühligen, fast kammerspielartigen, kompakten Drei-Minuten-Version: dunkle Streicher, unspektakuläre Pianoanschläge, ein tief brummender Chor und ein Protagonist, der mit seiner massiven Betonung des Buchstaben T am Ende des sich stetig wiederholenden "Freiheit"-Mantras der ganzen Angelegenheit fast spielerisch die Schwere nimmt. Erst im letzten Refrain-Loop fordert Westernhagen sein Publikum dazu auf, mitzusingen, und es ergibt sich ein kleiner, aber feiner Konzertmoment, der sicherlich bundesweit für mit Gänsehaut überzogene Hautpartien sorgen wird.
Da wir jetzt ohnehin dabei sind, das Pferd von hinten aufzuzäumen, nehmen wir uns gleich das abschließende "Johnny W." zur Brust: Auch diesen Song kann man ja durchaus in die Kategorie "Gassenschlager" schieben, doch trotz unzähliger Folterungen seitens Coverbands auf Dorffesten hat die Säuferhymne nie ihren ranzigen Charme verloren. Auch unplugged geht die Hymne voll auf, weil Westernhagen sie total unprätentiös und kaum theatralisch runterspielt. Dabei begleitet ihn fast ausschließlich summendes Gitarrengepicke, später dezent mitsingende Publikumsstimmen. Da kommt ehrliche und angenehme Lagerfeuerstimmung auf.
Insgesamt überzeugt die Playlist mit stilsicherem Pacing, das einen lohnenden Einblick in Westernhagens analysierende Selbsteinschätzung der eigenen Laufbahn ermöglicht. Selbstverständlich zeichnet eine solche "Unplugged"-Show zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine umfassende Retrospektive von Westernhagens beispielloser Karriere. Selbige seziert der Sänger in einem Querschnitt, der auch die ein oder andere Peinlichkeit nicht ausspart und die unzähligen Hits selbstironisch auseinanderfrickelt.
Die dezente, aber durchgehend atmosphärische Instrumentierung drängt sich nur ganz selten in den Vordergrund. Die wenigen Ausnahmen wie das mächtig aufgeblasene "Halt Mich Noch Einmal" geraten dafür ziemlich unerträglich. Auch die astreine Rock'n'Roll-Nummer "Mit Pfefferminz Bin Ich Dein Prinz", bei der Udo Lindenberg am Schlagzeug schlegelt, zündet nicht so richtig und wirkt ein wenig aufgesetzt.
Die restliche Gästeliste fällt im Übrigen ziemlich familiär aus: Westernhagens Lebensgefährtin Lindiwe Suttle schmettert ordentlich auf "Luft Um Zu Atmen", seine Tochter MiMi gibt auf "Lass Uns Leben" einen merkwürdig nerdigen, aber durchaus interessanten Auftritt. Sogar Selig-Sänger Jan Plewka wirkt auf dem von Mundharmonika-Soli aufgebauschten "Mit 18" irgendwie nicht komplett fehl am Platz. Das will schon was heißen.
Außerdem Pflicht: die vielschichtig und mitreißend aufgemischten Dudelsack-und-Saxophon Versionen von "Willenlos" und "Sexy". Die Alltime-Klassiker, wenn man so will, haben ihre eigene Anziehungskraft. Ob es das David Bowie-"Heroes"-Cover indes wirklich gebraucht hätte, muss wohl jeder für sich selbst entscheiden.
Westernhagens musikalische Entwicklung in den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren ist ohne Zweifel streitbar und miefig. Besonders viel Aufregendes und Aufrichtiges hat er hier nicht mehr an die Oberfläche gespült. Viele Anhänger der ersten Stunde und Pop-Fans im Allgemeinen werden diese Live-Platte deswegen meiden. Zu Unrecht: Das Teil macht wirklich Spaß. Weil der Starrsinn und die Dickköpfigkeit des Protagonisten anhaltend durchschimmern und weil Westernhagen allein mit seiner strangen Superstar-Aura den verloren geglaubten "Unplugged"-Spirit reanimiert. Die hierbei hell aufflammende Nostalgie übermalt den ein oder anderen Fremdscham-Moment mit Leichtigkeit.
10 Kommentare mit 4 Antworten
"andererseits an der medialen Einordnung seiner Person als kauziger bis spleeniger Altrocker, die ihn in einem Topf mit Udo Lindenberg vermengt."
Stimmt doch auch!!
Wo bleibt das Heino-Unplugged?
allein für das unschlagbare "geiler is' schon" und den "taximann" hat sich das gelohnt. der hat so viele top-songs alein zwischen 74 und 86 gemacht. mmw lohnt viel ehr als man glaubt. da verzeihe ich ihm auch quark wie "willenlos".
Taximann ❤️
so is es ! War positiv überrascht beim MDR-Viewing.
Sehe ich auch so. Hätte peinlich werden können - kurze Momente sind es auch - aber insgesamt doch gelungen.
Die Gäste hätte es nicht gebraucht.
Singen konnte der noch nie, aber seine Songs waren trotzdem geil. Die Platte fand ich nicht so pralle.
Gute Platte, die durchaus etwas mutiger hätte sein können.
Das schreibt der VINYLIST zur Westernhagen unplugged: http://bit.ly/2eENiSG
Hey, endlich eine Seite, auf der man was über Aufmachung, Verpackung, Besetzungs- und Tracklisten lernen kann! Super! Musik wird überbewertet und ist ohnehin nur Beiwerk, da braucht man kein einziges Wort drüber zu verlieren; Hauptsache VERPACKUNG!
Gruß
Skywise