laut.de-Kritik

Über die Liebe, körperliche Nähe und jugendliche Unbeschwertheit.

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Es gibt diese Ausnahmeerscheinungen, die mitunter eine ganze Szene auf den Kopf stellen, ohne richtig greifbar zu sein - und die wahrscheinlich gerade deswegen so interessant sind. So in etwa verhielt es sich vor gar nicht allzu langer Zeit mit dem Österreicher Yung Hurn und der meist sehr humorbefreiten Deutschrap-Landschaft. Gebraucht hat es dafür nicht mal viel: dadaistische Texte, die mehr stürmische Momentaufnahme als verkopfte Silbenzählermanifeste darstellen, eine jugendliche Neuzeit-Larry-Clark-Ästhetik und Produktionen von unverbrauchten Bedroom-Kreativköpfen.

Dass Hurns Schaffen stets von seiner Impulsivität geprägt war, verhinderte bisher ein großes Release, das auch ohne seine Singles funktioniert. "Love Hotel" bricht – wenn auch etwas überraschend – mit dieser Herangehensweise und hievt die Kunstpersona Yung Hurn spätestens jetzt in ungeahnte Sphären. Von Genrekategorien hat sich der Wiener zwar schon immer entschieden distanziert, so offensichtlich wie auf "Love Hotel" wurde seine Multibegabung bis zu diesem Zeitpunkt aber noch nie. Mitverantwortlich an dieser Entwicklung ist DJ Stickle, der als Executive Producer Yung Hurns Kreativfluss für das neue Projekt bündelte.

Entstanden ist eine 30-minütige Hommage an die Liebe, körperliche Nähe und die jugendliche Unbeschwertheit im Allgemeinen. Meist zuckersüß, manchmal frech und doch immer entwaffnend echt manövriert sich "Love Hotel" durch zehn Anspielstationen und trifft dabei den State of the Art wie lange keine deutschsprachige Veröffentlichung mehr, die auch nur entfernt etwas mit der Bezeichnung Deutschrap gemein hat. Die Herzstücke des Albums, Intro und Outro, die den wunderbaren Titel "Gefühle An Dich In Einer Altbauwohnung" tragen, verdeutlichen wahrscheinlich am besten, wie ungeniert sich Yung Hurn von Konventionen löst: auf kitschigem Pianogeklimper singsangt er sich unterlegt von Vocaleffekten durch seinen Liebeskummer: "Babygirl, du weißt, dass ich immer noch zu dir will".

Auf "Rot", der versunkenen Stickle-Produktion, die sich zwischen süßem Future-R'n'B und klebrigem Cloudrap bewegt, träumt Hurn ohne Umschweife von Sex: "Ich fick‘ dich die ganze Nacht wie, so wie, so wie, so wie du das willst". Und auch wenn wohl auszuschließen ist, dass es sich bei dem besungenen Gegenüber, das Hurn konsequent "Baby" nennt, immer um die gleiche Person handelt: wenigstens für diese eine, rotweintrunkene Nacht scheint er sich vollumfänglich hinzugeben. Wie schnell die Liebelei allerdings wieder "Vorbei" sein kann, erzählt Bausa - das einzige wirkliche Feature der Platte - ganz und gar Macho-unlike: "Meine Liebe war echt/ deine Liebe war fake".

Der unumstrittene Hit von "Love Hotel" bleibt aber "Diamant", das ultra-kitschige 80s-Synth-Pop-Revival. Dass der von schmalzigen E-Gitarren durchzogene Song im Kontext nicht mal als Fremdkörper wirkt, spricht wohl für den Künstler. Zwar nimmt Yung Hurn sich auf "Love Hotel" etwas von der eigenen Bandbreite – seien es Stimmungen oder Themen – bündelt dafür aber seine Ideen erstmals kohärent zu einem Ganzen.

Trackliste

  1. 1. Gefühle An Dich In Einer Altbauwohnung, Pt. I
  2. 2. Sag Mir
  3. 3. Diamant (Love Hotel Band)
  4. 4. Rot
  5. 5. Vorbei
  6. 6. Blumé
  7. 7. Ich Will Dich (Piano Amore Edit)
  8. 8. Ja Ich Weiß
  9. 9. Pretty Babé
  10. 10. Gefühle An Dich In Einer Altbauwohnung, Pt. II

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