laut.de-Kritik
Der Erfinder des Bühnenhorrors sucht Paris heim.
Review von Ulf Kubanke"Well, well, well, what have we here?" Der dämonische Meister heißt sein Publikum in knappen Worten willkommen, macht es zu Spielfiguren seiner Albtraumwelt, während das Piano dazu den gruseligen Puls des Psychokillers "Steven" flackert. "Broken toys forever!" Sekunden später explodieren derbe Heavy Metal-Riffs, entführen die Zuhörer auf den "Brutal Planet". Was für ein Auftakt!
Es ist der 7. Dezember 2017 im ehrwürdigen L'Olympia zu Paris. Und das ghoulische Rock-Gulasch des Mr. Nice Guy passt perfekt in diese heiligen Hallen mit seiner schmackhaften Mischung aus Evergreens und neueren Cooper-Tracks. Besonders Freunde der etwas härteren Gangart kommen auf ihre Kosten.
Das ist kein Zufall. Bewusst kontrastiert der Erfinder des Bühnenhorrors seine theatralische Inszenierung mit stahlhartem Metal, knackigem Hardrock und dynamischem Tempo. Klassiker wie "Billion Dollar Babies" schimmern als Buntmetall im wackenesken Härtegrad. Dabei kommt die Partytauglichkeit nie zu kurz. Als ein Highlight, das womöglich nicht jeder auf dem Cooperzettel hat, präsentiert der Amerikaner seine griffige "Woman Of Mass Distraction" vom 2009er Werk "Dirty Diamonds".
Das aktuelle Album "Paranormal" ist kaum präsent. Lediglich "Paranoiac Personality" gibt die Band zum Besten. Gute Entscheidung! Die Platte war ohnehin kein großer Wurf. Auch hier ist dieser Song der einzige Schwachpunkt im Gefüge.
Selbstverständlich fehlt keiner der gesetzten Hits. "School's Out", "Poison", "I'm Eighteen" - alles am Start. Einfallslos? Nein, sensibel! Cooper im Interview: "So gut wie jeder fordert 'Eighteen' oder 'School's Out'. Dafür geben die Leute eine Menge ihrer sauer verdienten Kohle. Da habe ich Verständnis für eine gewisse Erwartungshaltung."
Für die echten Checker holt er zusätzlich ein paar Nuggets aus dem Leichenkeller, die eigentlichen Stärken des Konzertabends ausmachen. Das galoppierende "Halo Of Flies" oder der skrupellose "Killer" stammen beide vom 1971er Album "Killer". Sie funktionieren im rauhen Metalgewand prächtig. Sogar die nekromantische Hymne "I Love The Dead" ("Billion Dollar Babies" 1973) verliert als angeschredderte Variante nichts von ihrer morbiden Todessehnsucht.
Auch unter diesen gut gewählten Nummern stechen zwei Höhepunkte heraus. "The Ballad Of Dwight Fry" ("Love It To Death" 1971) bietet traditionell Coopers absoluten Psychopathenmoment. Gefangen in einer Zwangsjacke erzählt er die tragische, wahre Geschichte vom gleichnamigen Schauspieler, der sowohl in Bela Lugosis "Dracula" als auch in Boris Karloffs "Frankebnstein" spielte und einen frühen Tod fand.
Für diesen Abend koppelt er den Track mit der bitteren Suizid-Ballade "Only Women Bleed", seinem womöglich besten Lied überhaupt und dem Höhepunkt des Meilensteins "Welcome To My Nightmare". Als besonderen Clou verzichtet Alice hier auf jegliche Streicher oder Pianoklänge. Stattdessen transportiert er die besinnlich-fatalistische Atmosphäre mittels zwei warme Gitarrenläufe, deren Dialog als zünftige Stereospielerei aus den Boxen fließt. Am Ende des Gigs scheint eines gewiss: Alice Cooper hat Paris nicht lediglich besucht. Er hat es heimgesucht.
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