laut.de-Kritik
Wohl dem, der solche Freunde hat!
Review von Kai Kopp"Ich hätte geschworen, dass ich nie mehr ins Studio zurück kehren werde, um Lieder aufzunehmen". Fast zwanzig Jahre nach seinem '85er Album "Narrenlieder" lässt André Heller sich von einem sympathischen jungen Plattenmanager um den Finger wickeln. Mit List und Schmeicheleien lockt er den Verwandlungsreisenden kurze Zeit später ins Plattenstudio um "Ruf und Echo" aufzunehmen.
"Wir musizierten und feierten. Dann besuchten mich Freunde wie Brian Eno und Laurie Anderson und fügten spontan Splitter ihrer Handschrift hinzu". Wohl dem, der solche Freunde hat! Zu den Leuten, die beim Musizieren und Feiern halfen, zählen neben Xavier Naidoo und Thomas D auch Edo Zanki und die Walkabouts. Das Ergebnis der Orgie ist ein 170-minütiger Liedermacher-Orgasmus, der die Bedeutung so sehr schwängert, dass sie ihm einen schwermütigen Sohn schenkt.
Die 3 CD-Box "Ruf und Echo" erinnert an die Zeit, als Ludwig Hirsch ein Techtelmechtel mit Madame Pathos hatte und uns daraufhin vom großen schwarzen Vogel erzählte. In ähnlicher Manier und mit entsprechendem Tiefgang serviert uns André Heller seinen "Ruf", der sich als erste der drei CDs hauptsächlich mit neuen Liedern beschäftigt.
Die zwischen seinem 55. und 56. Lebensjahr entstandenen Songs malen mit bedeutungsschweren Pinseln grandiose Stimmungen in mein Wohnzimmer, die trotz Tiefsinnigkeit immer in hoffnungsvollen Farben schimmern. Mit "Für Immer Jung", der 83er Wolfgang Ambros/Andre Heller - Hymne, und seinem frühesten Lied überhaupt, "Du, du, du", befinden sich zusätzlich zwei neu interpretierte Klassiker auf CD 1.
Das "Echo" präsentiert sich im Gegensatz zum chillig-ambienten "Ruf" groovebetont und elektronisch modern. Die "Umwandlungen, Neudeutungen und gelegentlichen Deformationen alter Lieder durch Meister von heute" sind nicht einfach nur Lieder. Es sind Geschichten, Märchen und Mythen.
Sie erzählen von der Wirklichkeit, die anderen Wirklichkeiten auflauert, von den wahren Abenteuern in deinem Kopf und davon, dass im neuen Testament kein einziges Mal geschrieben steht: "Jesus lachte"! Themen für Thomas D und Xavier Naidoo, die sich dem Hellerschen Liedgut auf ihre ganz persönliche Weise nähern.
Auch hier stehen die Texte deutlich im Vordergrund des Geschehens. Ihre nachdenkliche und aufwühlende Stimmung entfalten sie auf dem rhythmisch teils gewagten, immer aber anspruchsvollen Boden, den die Electrogrooves liefern.
Harmonisch steht auch auf CD 2 die Musik im Dienst der Message. "Lieder sind bei mir meistens Notausgänge für melancholische Drucksituationen. Deswegen ist mein Liedschaffen sehr viel düsterer als die anderen Projekte".
CD 3 ist "mit 22 der mir heute noch am wenigsten fremd seienden Originalaufnahmen plus einem bisher unveröffentlichten Live-Mitschnitt" das Bonusschmankerl. Da der Rezensent leider nicht in den Genuss dieser Musikpraline kommen durfte, verlässt er sich auf Andrés persönliches Urteil. "Ich schäme mich für das Ergebnis nicht. Manches ist etwas abseits von dem Ton, auf den ich selbst gestimmt bin, aber alles erscheint mir zumindest Diskussionen wert".
Insgesamt eine ausgiebige Zeit mit André Hellers vielsagenden Gedanken. Seine Lieder zwingen zum zuhören, was sich bei seinen Texten immer lohnt. Sie stimmen nicht fröhlich, schärfen dafür aber einen klaren Blick und machen Hoffnung auf eine bessere, weil bewusstere Welt.
André Heller hat auch auf dem Liedermacher-Feld noch einiges zu sagen: "Es muss sich niemand fürchten, dass ich an ein Comeback glaube. Ich werde nicht wieder Konzerte veranstalten, ich gehe nicht in eine Fernsehsendung und singe dort ein Lied von mir. Ich denke nicht daran."
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