laut.de-Kritik
Mit verschwommenem Sound zurück zur klaren Linie.
Review von Kay SchierObwohl sie schon vorher im Ruch standen, sich gern interdisziplinär auszutoben (der bunte, visuell-musikalische Trip "Oddsac" bewies es), den Kurs "Malen mit Animal Collective" machte dann niemand mit wirklicher Begeisterung mit.
Die Musiker erklärten "Painting With" im Vorfeld vielmeinend. Von prähistorischer Energie war die Rede, von Mammuts und Höhlenmalereien. Wenn man sich darauf einließ, stand die Musik auch grundsolide auf ihren gedanklichen Krücken, nur dass diese hier eben deutlich nötiger erschienen als bei den meisten Alben davor.
Mochten sich die Songs live auch noch einmal neu erschließen, für ihren Platz in der Setlist hätte sich danach wohl immer noch niemand geprügelt. Andere Rezensenten nannten das Album, deutlich weniger diplomatisch, frei heraus komplette Hundescheiße.
"Tangerine Reef" ist, wie "Oddsac", abermals als audiovisuelles Gesamtwerk angelegt, wobei die Hälfte dieser Arbeit, der Film nämlich, hier nicht berücksichtigt wird. Er erst zum offiziellen Releasedatum am 17. August, und Animal Collective machen für niedere Presseschergen keine Ausnahme. Es soll wohl, der Name deutet es an, um Korallen gehen. In abstrakter Form. Wird sicher wieder bunt.
Was hätte also, alles Obige im Hinterkopf, schlimmstenfalls daraus werden können? Drei arrivierte Hipster um die 40 (Panda Bear konnte an dem Wochenende leider nicht) unternehmen eine LSD-Séance auf die alten Zeiten, fernab von trautem Heim und Familie, und nehmen zur Sicherheit ihre Synthesizer mit. Dann unterbreiten sie das maue Ergebnis der so psychedelisch-kumpelhaften wie unambitionierten Landpartie der Plattenfirma mit den Worten: "Wird schon irgendwer kaufen."
Dass das nicht auch wirklich teilweise so gelaufen ist, kann wohl niemand ausschließen. Ein ansatzweise vergleichbar abgeschotteter bis meditativer Zustand befördert sicherlich den Genuss dieses Albums, und eine zumindest theoretische Aufgeschlossenheit Ambient gegenüber ist wohl Voraussetzung. Die einzelnen Teile machen, aus dem Zusammenhang gerissen, ebenfalls nur begrenzt Sinn. Die Zeit, sich das Album am Stück bewusst anzuhören, sollte man schon mitbringen.
Fordernde alte Säcke, plärrt der NME und so mach anderer schon über "Tangerine Reef". Aber erfreulicherweise klingt es nicht danach. Sondern vielmehr nach drei Musikern, die schon so Einiges ausgereizt haben und nun im Verschwommenen auf die Suche nach neuen Formen gehen. Den alten König Brian Wilson in seinem ewigen Exil am kalifornischen Strand lassen sie dort zurück, mit ihm sein Erbe, das vielfarbig funkelnde Popinstrumentarium, die mehrstimmigen Melodien, generell das meiste, das zu sehr nach Song klingt. Sie schwimmen weit raus und tauchen in die Tiefe. Vergleicht man "Tangerine Reef" mit einem bombastischen Trip wie "Merriweather Post Pavilion", ist es aufs Nötigste reduziert, aber eben nicht oberflächlich.
Man sollte sich vom Referenzpunkt beziehungsweise Reizwort "Ambient" nicht zu sehr abschrecken lassen. Ungenüsslich experimenteller Spülmaschinensound findet nicht statt. Statt nach Seminar am Klangforschungsinstitut klingen die Synthesizer immer noch, als stehen sie in einem abgedunkelten Studio auf Orientteppichen und werden von Autodidakten bedient.
Für den akademischen musikalischen Laborversuch haben Animal Collective einfach zu viele Emotionen in ihrer Musik. Diese hervorzurufen, bleibt auch auf "Tangerine Reef" ihr Kerngeschäft, auch wenn die evozierten Stimmungen fließender und weniger knallig sind. Die Band bleibt das ganze Album über unter Wasser, wo der Schall nicht partytauglich trägt. Man darf eben auch nicht vergessen, dass diese Musik gedacht und gefühlt ist, um zu untermalen, anstatt allein im Zentrum zu stehen.
Was nicht heißt, dass die Musik in die Falle der schlechten Soundtracks tappt und dramaturgiefrei vor sich hinblubbert, auf dass die Bilder dem Ganzen schon einen Zusammenhang geben mögen. Oftmals bilden nur zwei oder drei Loops die Grundlage der Tracks, um die herum ein Riff aus Effekten erwächst. Sie funktionieren mehr nach dem Prinzip von Ebbe und Flut und wieder Ebbe als nach herkömmlichen Songstrukturen, aber sie funktionieren. "Inspector Gadget" ist zum Beispiel ein fröhlich verlorener Trip mit freundlichen Fischen, "Coral Realization" vertont hingegen die nächste Ölpest. Das Kopfkino läuft auch ohne Film.
Wie aber schon erwähnt, sind das keine Anspieltipps in dem Sinne, sondern sollen nur verdeutlichen, dass "Tangerine Reef" bei aller vom Konzept vorgegebenen Homogenität in den Details genug Konturen aufweist, um nicht beliebig zu wirken. Wichtig hierbei ist die Stimme von Avey Tare, sein mit Effekten verwassertes Singen und Wehklagen. Er macht oft den entscheidenden Unterschied und vereint die Idee einer Tagung von Meeresbiologen, die unerwartet LSD-technisch eskaliert, mit der eines Animal Collective-Albums.
Einzig "Hip Sponge" ist, höchst subjektiv betrachtet, so etwas wie ein "Post-Pavilion"-Pop-Moment unter tausend Metern Tiefsee, und wirft in meinem von diesem Album zart berauschten Hirn die Frage auf, wie es nun weitergeht, mit dem Kollektiv. Auf "Tangerine Reef" haben sich Animal Collective der Rohheit des "Painting With"-Sounds erneut angenommen, um ihn einerseits noch stärker zu reduzieren, diesen so aber auch stringenter und zielführender zu machen.
Das Konzept geht auf, wie es soll, bringt man denn die Bereitschaft mit, sich davon überzeugen zu lassen. In der Form endlos wogender Korallen finden sie wieder zu einer klaren Linie. Was den Fan als nächstes interessiert ist: Wie klingt es wohl, wenn sie vom Tauchgang zurückkehren, vielleicht zu Vadder Wilson, vielleicht auch zu einem ganz anderen Strand aufbrechen? Ob sie sich das nochmal antun wollen, Songs zu schreiben? Animal Collective bleiben spannend.
2 Kommentare
Cover so unsagbar scheußlich wie eh und je. Kann mir schwer vorstellen, dass die nochmal die Kurve bekommen, zumal die Platten nach "Merriweather Post Pavillon" immer schlechter wurden, aber mal schauen.
Totgemischtes Album, Schade.