laut.de-Kritik

Feel the passion burning!

Review von

Bei Ann Wilson muss man ein Wort sagen: "Barracuda"! Geht es um Westcoast- und weibliche Repräsentanz im Classic Rock der 70er und 80er, waren die Wilson-Schwestern unter dem Bandnamen Heart eine zuverlässige Größe und eine der wenigen mit Reichweite. Etliche Hits hielten sich bis in die frühen Nuller-Jahre als Referenzen des zünftigen Gitarrenrocks ("These Dreams", "Crazy On You", "Magic Man"). Die Ballade "Never" ist wohl eine der besten und langlebigsten Synthiepop-Hymnen. Seither wurde es relativ still um die großartige und geradlinige Riff-Zauberei der Wilsons. Auf "Fierce Bliss" kehrt Ann sowohl mit Farbfreude im Artwork als auch mit strukturstarken Songs zurück.

Das Keys-Intro von "Black Wing" kann sich ebenso hören lassen wie die heavy grunzenden Amplifier in "Bridge Of Sighs", das expressive Betonen jeder Silbe in den Vocals von "Fighten For Life" oder die messerscharfe Electric Bluesrock-Aufmachung in "Missionary Man". Alle Tracks behaupten sich durch starken Charakter und geschmackvolle Gestaltung. Dem alten Heart-Sound am nächsten klingt die in den Seventies und bei Led Zeppelin und Hendrix wurzelnde Dramatik des langen Stücks "Gladiators". Sechs Minuten zu füllen war stets eine der leichtesten Übungen Ann Wilsons, und vernimmt man ihren neuen "Angel's Blues", wäre kürzer auch schade.

"Pain and loneliness", "feel the passion burning" und "heart is beating fast", solche Probleme und Zustände setzt die dynamische Interpretin mit den bebenden Sopran-Stimmbändern wirkungsvoll, dick aufgetragen und durchdringend in Szene. Die Gitarrensaiten glühen, kreischen, schreien um Hilfe, die Rock-Orgel übersteuert fast in Ausreizung des Spektrums von Inbrunst, Leid, schmerzlichen Erinnerungen und Kampf gegen Enttäuschungen. "The world tu-hu-u-urns, gniedelt Ann wehmütig und besingt in graziös gedehnten Klage-Akkorden, warum eine Trennung das ehrlichste sein kann ("As The World Turns").

Neben Pluspunkten in der Kategorie 'epische bluesy Rockballade' arbeitet Ann Wilson gekonnt auch die Programminhalte Jukebox-Mitgröler mit Vocoder-Refrain ("A Moment In Heaven"), Hardrock ("Greed", "Missionary Man"), gefühlvolles Queen-Cover mit Klavier ("Love Of My Life"), (endloses) vehementes 70er-Gitarrensolo ("Bridge Of Sighs"), mysteriösen Rock-Soul mit psychedelischer Orgel-Einlage mit implosiver Spannung ("Fighten For Life"), sowie hard'n'heavy Soul mit Surfrock-Mittelteil ("Forget Her") ab.

Dass hier eine routinierte Könnerin ihres Fachs am Werke ist, tut der Platte kein bisschen Abbruch. Sicher schwingt mit, dass "Fierce Bliss" ein Alterswerk ist - das unterstreicht, wie man solche Mucke von damals auch heute noch fertigen kann, als wäre die Zeit stehen geblieben. Was man durchaus gut finden darf.

"Fierce Of Bliss" reißt vor allem wegen der faszinierend modulierbaren Stimme der Haupt-Akteurin mit. Deren Intensität steht einer Beth Hart in nichts nach. Daneben spricht aber noch etliches mehr an, etwa das federnde Schlagzeugspiel, das klingt, als würde der ein oder andere Krater in eine Sanddüne getrümmert und Staub und Gestein aufwirbeln. Eine interessante Spieltechnik, die sehr heavy und sehr lässig-locker rüber kommt. Gut macht Ann auch, dass sie der Musik immer wieder Zeit zum Atmen lässt und beim Hören Zeit zum Verdauen der vielen krassen Emotionsgewitter.

Über Ausdruck, Handwerk und Dramaturgie hinaus macht die CD auch Spaß, bietet Intros, Soli und Outros mit Hingabe und Ideenreichtum und vermittelt, dass die dargebotene Perfekton nicht glatt, sondern Ausdrucksmittel einer komplexen Botschaft ist: Dass Lebenserfahrung aus Groll, Verzicht, Aushalten und Ausfechten von Konflikten, Fehlern, Auseinandersetzung mit überwältigenden Gefühlen, Entscheiden, wann man nachtragend ist, wann man verzeiht, wächst. Dass andererseits oft die Worte nicht ausreichen, um die durchlebten Erfahrungen zu artikulieren, wofür dann Kunstpausen zwischen den Worten, schmetternde E-Gitarren-Soli und Intros, die es spannend machen, herhalten. Oft sagen diese Momente, in denen nichts gesagt und nichts gesungen wird, gerade am meisten, weil sie das Unsagbare, das zwischen den Worten mitschwingt, transportieren.

Dass Metal mal aus Blues hervorging und mit Soul kompatibel ist, und dass Hardrock mehr zu sein scheint als eine Vokuhila-Mode, sondern eine 2022 funktionierende Stilistik: Das sind weitere Erkenntnisse der Scheibe, die man auch optisch in ihrer aufklappbaren Mediabook-Gestaltung gerne in die Hand nimmt. Wen das alles noch zögern lässt, der sollte bei Vorliebe für Blues, Jazzrock, Drama-Pop- und Fantasy-Metal mit "Fighten For Life" als Hörprobe starten.

Wem Stimmen und Storytelling wichtig sind und Amanda Marshall, Alannah Myles und Melissa Etheridge näher stehen, der kann in "Black Wing" regelrecht abtauchen und auf dem Grund des violettfarbenen Gewässers, das hier auch klanglich Wellen schlägt, (Sound-)Farben schön wie Korallenriffs entdecken. Schillerndster Track der LP ist für mich "Forget Her". Wie alle Songs hier verbindet dieser Track geschickt hart und zart, dieses Mal aber so sehr rhythmisch schwebend, dass er mich auch als Offbeat-geneigter Hörer verzaubert. Hoffentlich macht die bald 72-Jährige noch ganz lange Musik.

Trackliste

  1. 1. Greed
  2. 2. Black Wing
  3. 3. Bridge Of Sighs
  4. 4. Fighten For Life
  5. 5. Love Of My Life
  6. 6. Missionary Man
  7. 7. Gladiator
  8. 8. Forget Her
  9. 9. A Moment In Heaven
  10. 10. Angel's Blues
  11. 11. As The World Turns

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