laut.de-Kritik
Ein Hoch auf die Liebe, aufwühlend und kathartisch.
Review von Toni HennigAus Årabrot erwuchs, ausgehend von einer klassischen Dreierbesetzung, nach und nach eine musikalische Community mit wechselnden Musikern. Nur eine Konstante gibt es seit 2001 bei den Skandinaviern: der 38-jährige norwegische Sänger, Texter und Gitarrist Kjetil Nernes. Seine Ehefrau, die schwedische Electro-Pop-Künstlerin Karin Park, schloss sich ihnen 2012 an. Ihre letzte Platte, "The Gospel" (2016), ein sperriges, unberechenbares Biest aus Noise-Rock, Post-Punk, Gothic, Avantgarde und Art-Rock, kürte The Quietus zum Album des Jahres. Nun haben Årabrot sich mit "Who Do You Love" wieder einmal selbst übertroffen.
Die Aufnahmen fanden wie beim Vorgänger hauptsächlich in einer ehemaligen Kirche in den schwedischen Wäldern von Dalarna in der Nähe von Djura statt, der "Church Of Årabrot". Dort lebt Nernes mit Karin Park, die bei der Entstehung von "Who Do You Love" eine größere Rolle im Songwritingprozess eingenommen hatte als zuletzt. Sie wuchs in einer christlichen Familie auf und war nicht ganz unschuldig daran, dass ihr Gatte sich während des Schreibprozesses für "The Gospel" zunehmend mit biblischen Inhalten beschäftigte.
Dennoch lässt sich das Religiöse bei Årabrot nur als ein Teilaspekt eines großen lyrischen Mysteriums betrachten. So betonte Nernes in einem Interview: "Ich interessiere mich für Gefühle, sowohl für die leisen als auch die extrem lauten. Was dazwischen liegt, reizt mich nicht." Daher stellen die beiden Themen Sex und Tod respektive Eros und Thanatos seit jeher die Triebfeder seines künstlerischen Schaffens dar.
Auch weil er sich vor vier Jahren mit dem Sterben auseinandersetzen musste, als er die Diagnose Kehlkopfkrebs bekam, steckte er in "The Gospel" sein ganzes Herzblut. Es hätte sein letztes Album sein können. Mit "What Do You Love" richtet er sich musikalisch nach besiegter Erkrankung neu aus. Die Platte erweist sich insgesamt als deutlich zugänglicher und kompakter als der Vorgänger. Sie geizt zusätzlich nicht mit unzähligen Querverweisen auf die lange und traditionsreiche Geschichte der Rock-Musik.
Schon der majestätische Opener "Maldoror's Love" ertönt im knackigen 70er-Jahre-Heavy-Rock-Gewand und weist außerdem mit einer orientalisch anmutenden Melodie deutliche Parallelen zu Led Zeppelins "Kashmir" auf. Vor allem Joakim Johansens Schlagzeugspiel, das Årabrot im Electrical Audio Studio von Steve Albini aufnahmen, treibt die Nummer kraftvoll voran.
Inhaltlich basiert sie auf Comte de Lautréamonts Novelle "Die Gesänge des Maldoror". Nernes erklärte kürzlich, sie sei "für all die Liebenden da draußen, deren Liebe vom puren Bösen beschmutzt, berührt und verdorben wurde. Maldorors Liebe ist so unbefleckt wie Hass. Es ist wahre Liebe." Diese Gedanken lassen sich auf das gesamte Werk übertragen. Auf der Platte hieven die Skandinavier nämlich ihr Spiel mit dem Gegensätzlichen auf ein völlig neues Level.
"The Dome" lässt mit seiner spröden Post-Punk-Rhythmik The-Birthday-Party-Feeling aufkommen, mündet jedoch in einer kraftstrotzenden Hook im Stile Faith No Mores. Demgegenüber klingt "Warning" so rauh und kantig wie Killing Joke in den frühen 80er-Jahren. Bei so viel Dreck, den Årabrot in ihren Songs aufwirblen, dürfte es niemanden mehr verwundern, dass sich ihr Name auf eine Mülldeponie in Haugesund, Nernes Geburtsstadt, bezieht.
Dagegen driften ambiente Orgelsounds und Karin Parks ausdruckstarker Gesang im folgenden "Pygmalion" in ätherische Sphären vor, in die sich mittlerweile nur noch eine Anna von Hausswolff wagt. In "Sons And Daughters", eine Variation dieser Nummer, geht sie mit ihrem Ehemann zu lieblichem Glockenspiel und euphorischen Gitarren- und Schlagzeugklängen ein bittersüßes Duett ein. Die nihilistische und verstörende Atmosphäre, die oftmals das Album prägt, weicht in diesen Momenten einer sakralen Anmut, die sich kaum noch als irdisch bezeichnen lässt.
Da scheint es also nur eine logische Konsequenz zu sein, eine Neueinspielung des amerikanischen Spirituals "Sinnerman", das durch Nina Simones fantastische Zehn-Minuten-Version 1965 weltweit Bekanntheit erlangte, in der Mitte des Werkes zu platzieren. In dem Stück entledigt sich Nernes mit seiner Stimme zu marschierenden Drums und stoischer Gitarrenarbeit in fauchender Nick-Cave-Manier auf so schonungslose Art und Weise seiner Sünden, dass man als Hörer seine Zerrissenheit beinahe am eigenen Leibe spürt. Wer nach diesem vertonten Martyrium an der kathartischen Wirkung von Rock-Musik immer noch ernsthaft zweifelt, hat wahrscheinlich schon längst seine Seele an den Teufel verkauft.
In den restlichen Tracks auf der Scheibe stehen eher literarische und mythologische Aspekte im Vordergrund denn biblische. "A Sacrifice" handelt etwa von einem Schlangengott, der ein Angebot erhält, das Leben eines jungen Mädchens zu führen. Wie das Cover der Platte andeutet, trifft man in den Texten Årabrots sehr viele märchenhafte, obskure Gestalten. Dementsprechend lehnen sich die hellen Klaviertupfer Karin Parks und die monotonen Gitarrenriffs an die Häschenphase der Swans an. Als Hörer wähnt man sich dadurch in einem dunkelromantischen Gothic-Szenario, das zugleich befremdlich anmutet als auch schaurig-schön.
Das große Finale des Albums bildet "Uniform Of A Killer", das mit psychedelischen Mellotron-Klängen, synthetischen Posaunen und Nernes schizophrenem Gesang zunächst in Richtung Wahnsinn Marke The Residents gleitet, um später in ein beschwörendes Mantra überzugehen, das einer bizarren Todeszeremonie gleichkommt. Im Grunde genommen lässt sich diese aufwühlende Scheibe kaum noch intensiver abschließen.
Am Ende bleibt ein Monster von einem Album, das im Titel nicht nur auf die gleichnamige Nummer von Bo Diddley verweist, sondern sowohl musikalisch als auch textlich den Rock'n'Roll auf berauschende Art und Weise zelebriert und um düstere Nuancen bereichert. Årabrot stellen sich mit "Who Do You Love" nun endgültig in eine Reihe mit Nick Cave, Swans und Anna von Hausswolff.
4 Kommentare mit einer Antwort
Habe das neue Album noch nicht gehört, aber es freut mich sehr, dass ihr jetzt auch von der Band berichtet! Auf The Gospel sind auch schon einige tolle Lieder drauf (allein der Opener!) und was hier über das neue Album steht, klingt auch sehr vielversprechend!
Bitte. Dafür Wochenende noch eine Extraschicht geschoben, aber "The Gospel" hatte mich so angefixt, dass ich mir diese Platte absolut nicht entgehen lassen konnte. Leider bisher zu Unrecht unbekannt, die Band. Hoffentlich ändert sich das mit dem Album ein wenig.
Interessant klingt nach einmaligem durchskippen nach „Dauerrotation“....bleibdran!
wahnsinn - absoluter anwärter auf nen platz weit oben in der aoty-liste.
Mal vom beschissenen Englisch des Saengers und davon abgesehen, dass die Unibraue das heillos abfeiert: wie kann man in 2018 solche Musik a) ueberhaupt noch machen und b) sie sich anhoeren, ohne in schallendes Gelaechter zu verfallen? :lol.