laut.de-Kritik
Endlich: The Empire strikes back!
Review von Ulf KubankeNa endlich! The Empire strikes back! Fast auf den Tag genau ist seit dem letzten Studiorelease dieser international wegweisenden deutschen Protest-Band ein dreckiges Dutzend Jahre vergangen. Die Zeiten sind nicht besser geworden.
Der blutige 'Arab Spring", Europa und die Vereinigten Staaten als bibbernder Konkurs-Flickenteppich im Würgegriff der Banken, weniger Bürgerrechte, mehr Anti-Terror-Gesetze auch hierzulande, Natur- und Atom-Katastrophen reichen einander fröhlich die Staffette. Sogar das sonst eher revolutionsbräsige Deutschland probt den großen 'Stuttgart 21- Aufstand' im Schnapsglas. Für Agitations-König Alec Empire nun also endlich genug Weckrufe, sich aus dem schnurrigen Kokon der gelungenen Soloplatten zu verabschieden.
Mit der alten Mitstreiterin Nic Endo und dem bislang unbekannten Neuzugang MC CX Kidtronik reanimiert der Berliner die scheintote Tante ATR zurück zur fräsend fiesen Stalinorgel. Das ist für sich genommen schon ein kleines Wunder. Denn wer unter den Freunden dieser unbequemen Aufklärungscombo hätte je gedacht, dass ein Werk - auf das man fast so lang wartet wie auf Chinese Democracy - ohne die maßgebend helfenden Hände von Agit-Punk-Göttin Hanin Elias und dem tragisch verstorbenen Carl Crack überhaupt Relevantes zu reißen vermag? Doch mit "Is This Hyperreal?" krönt der leidenschaftliche Wahl-Londoner ganz lässig sein bisheriges Schaffen.
Im Gegensatz zur erwähnten "Golden Foretaste"-Platte, mischt der manische Elektromeister sein teutonisches Pionier-Gekloppe der eigenen Digital Hardcore-Ursuppe mit Spoken Word-Einlagen und stilistisch variablen Klangcollagen zwischen prähistorischem industrial, Noise, EBM und modernen Ambient-Passagen. "Codebreaker" (mit dem australischen Remix-Artist Steve Aoki) schreddert sich so mörtelig wie anno "1995" ins Hirn. Konsequent findet sich in "Collapse Of History" auch ein smart zitierendes Echo auf das Debütalbum.
Die in den USA geborene Deutsch-Japanerin Endo macht ihren Big Point mit dem intensiven "Blood In My Eyes". Ein Nerven zerrendes und gleichzeitig faszinierend hypnotisches Blutgemälde. Flirrender Steckdosenflitter trifft auf gelegentliche Gitarrenpower samt Strobo-Orgie. Vocals zwischen Rotzgöre, apokalyptischer Anklägerin und betäubtem Menschenopfer. Gute Entscheidung, speziell dieses Lied als Auskopplung zu erwählen.
"Black Flags" springt den System und seinen Geldverleihinstituten mit Wucht in Gesicht. "Do ya want it all? Are You ready to testify? Come on!". Die nicht nur hör- sondern schier greifbare Wut, Verachtung und Aggression machte den kompromisslosen Krakeeler Alec seit jeher zu einem legitimen jüngeren Bruder in Tradition des großen - gleichwohl ewig unterschätzten - Elektropunk-Erfinders Tommi Stumpff. Diese aktuellen Tracks sind qualitativ legitime Nachfolger grandios stump(f)fen 1982er Urschleims wie "Mich Kriegt Ihr Nicht" oder "Zu Spät, Ihr Scheißer".
Höhepunkt und absolutes Lehrstück fesselnder Intensität ist dabei sicherlich das ohrwuchernde Titelstück. Vor dem Hintergrund der - auch für Empire alles andere als lustigen - Konfrontation mit den Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft auf einem ATR-Demo-Gig am 1.5. 2000 macht der Song tatsächlich Gänsehaut. Zeit zu agieren, Zeit durch zu kämpfen tönt die mechanische Telefonansagestimme Endos. Nun erst bricht der Vulkan vollends aus, wie nie zuvor in der turbulenten Bandgeschichte.
Empire gibt dazu den Charlottenburger Robespierre. Er stürmt zwar nicht die Bastille, aber immerhin als Partisan den Bundestag. "Achtung, Achtung! Hier spricht ATR. Wir haben uns verbündet und werden über den Rasen zum Bundestag marschieren. Einen Bundestag, der nicht mehr das Volk betrifft, sondern die Konzerne. Hände hoch! Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus. Verbrennen Sie ihre Ausweise. Sie sind verhaftet! Die Ära der Ausbeutung ist vorbei!" Man möchte ihm förmlich den Scherben-Gedächtnispreis am Bande an die Brust heften. Die musikalische Intensität speist sich dabei aus Carlos Peron artiger Collage sowie dem typischen, sehr akzentuierten Sprechgesang der wegweisenden 80er Provokations-Elektroschmiede "Sleep Chamber" aus dem amerikanischen Underground.
Ermutigend, dass zwischen der kulturellen Pestilenz von Quasimodo-Pop, Gaga-Gören und Proll-Rap wieder das zarte Pflänzchen unbequemer und polarisierender Kunst erblüht. Subversiv-intelligente Revolverschnauzen und furchtlose Querdenker mit Anarcho-Appeal à la Empire, Hans Söllner oder Daniel Kahn sind mit ihren Botschaften zwar alles andere als neu. Doch sollte man ihnen dies nicht vorwerfen. Aktuell sind sie in Anbetracht der Gesamtlage mehr denn je.
Ebenso ist es vollkommen unwichtig, ob man den gebrüllten Schlagzeilen zustimmt oder sie ablehnt. Zum eisernen Hammerschlag in die Fresse apathischer Gesellschaftslähmung taugt die CD allemal. "Revolution has been activated!"
15 Kommentare
gelungene rezi zu einem gelungem album. gut gemacht herr anwalt
gelungene rezi zu einem gelungem album. gut gemacht herr anwalt
Ich hab schon gar nicht mehr an ein solches Album geglaubt, vor allem nicht ohne Hanin. Dass es nun sogar ein echtes Juwel in der ATR-Diskografie geworden ist, freut mich um so mehr.
Blood in my eyes und den Titeltrack find ich bislang am eindringlichsten...
"Achtung, Achtung! Hier spricht ATR. Wir haben uns verbündet und werden über den Rasen zum Bundestag marschieren. Einen Bundestag, der nicht mehr das Volk betrifft, sondern die Konzerne. Hände hoch! Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus. Verbrennen Sie ihre Ausweise. Sie sind verhaftet! Die Ära der Ausbeutung ist vorbei!"
loooooool, man möchte ihn förmlich auslachen. "über den rasen marschieren"! was kommt als nächstes? hetzjagd auf garten-nazis?
jaja, atr sind schon legendär und ham nen coolen sound, aber mal ehrlich: bei lyrics wie "Do ya want it all? Are You ready to testify? Come on!" und "Revolution has been activated!" ergreift mich nicht die schiere wut, aggression und verachtung, sondern ein lachkrampf.
atr-lyrics waren immer schon behindert:
"Your corrupted smile
I don't take it anymore! I never did!
Fuck you! Wait when we come for you!
The soulless suppression!
Protect the peace, oh yeah, ya gun piece!
Fuck you gangsta's
With uniforms and dumb beast
Throw me on the wall slowly we brawl
Know me not at all - Stop!
Show me who fall it's me and ya'll
Hold me on the floor - What!"
(aus: your uniform does not impress me)
abgesehen davon: sich vor demos mit hassmuzik in streetfighting-laune vorzuglühen und aufzuputschen, ist was für schwarzhemden...äh, knutbürgern... äh, schwarze-block-mitläufer.
mit daniel kahn ist das kein vergleich (danke dafür übrigens, anwalt).
Auf die Musik muss man sich einlassen können. Die Texte sind teilweise schon sehr gewöhnungsbedürftig und polarisieren aber immerhin beziehen sie Stellung - muss ja nicht jeder mögen. Und so: freies Land, freie Meinungsäußerung. BTW wenn ich viele Texte der "Hip-Hop-Fraktion" höre, da wird mir wirklich schlecht.
Also Toleranz ist das Stichwort.
Super Rezension! Das Album hat wirklich Klasse und man kann mit Fug und Recht behaupten, daß sich ATR (oder was davon übrig ist) wirklich sinnvoll weiterentwickelt haben!
Guter Sound, mehr davon!