laut.de-Kritik
Vom rappenden Hausmann keine Spur.
Review von David Maurer"Ant produced this thing. Slug wrote and spit these raps", heißt es im Booklet zum achten Atmosphere-Album. Klar, alles beim Alten. Genauso wenig hat sich auf "Southsiders" hinsichtlich der Qualität getan. Im Fall von Atmosphere eine durchaus positive Nachricht.
Auch auf seinem neuesten Werk setzt sich das Duo aus Minneapolis wieder mit Themen von unumgänglicher Präsenz auseinander. Missgunst, Bitterkeit, Liebe, Alkohol, Tod - wie gewohnt zeichnet Rapper Slug ein lyrisches Bild von den Dingen, die jeden früher oder später, mehr oder weniger betreffen. Willkommen im Alltag.
Seit jeher beeindrucken Slugs Texte nicht mit mehrdeutigen Wortspielen oder aufregend anspruchsvollen Reimkonstruktionen, sondern mit bittersüßem Sarkasmus, tiefgründigen Erzählungen und komplexer Metaphorik. Erbaut aus diesen Stilmitteln versetzt "Camera Thief" den Hörer gleich zu Beginn wieder mitten in die Southside von Minneapolis, die er nach "The Family Sign" verlassen hatte.
Beschäftigte sich Slug damals noch mit der Gründung und Bedeutung einer Familie, machen ihm nun Verlust und Vergänglichkeit zu schaffen, wie das mit Vocal-Samples und bluesigen Piano-Klängen untermalte "Arthur's Song" zeigt: "I wish that everyone could leave a mark / But every part wasn’t meant to be a piece of art / You either carpe diem or fade away into the dark / While everybody else watches waiting for the stop to start."
Sein eigenes Dilemma bringt Sean Daley eigentlich ganz gut auf den Punkt: "I still kick it with angels / The difference is instead of the bar, I’m at my kitchen table." Glücklicherweise ist er bei Weitem nicht der erste, der beweist, dass sich auch mit Familie, Wohlstand und allgemeiner Zufriedenheit noch gute Texte schreiben lassen.
Ob "Kanye West", das eine schmerzhaft hingebungsvolle Liebe beschreibt, oder die erste Single "Bitter", die von Neid, Unzufriedenheit und Missgunst handelt - an Auffassungs- und Ausdrucksvermögen hat Slug nichts eingebüßt. Vom rappenden Hausmann keine Spur.
Während der MC meist erfolgreich zwischen Beobachtung seiner Mitmenschen und bodenständiger Introspektion balanciert, stellt "Flicker" einen der wenigen ausnahmslos persönlichen Songs dar. Voller Selbstvorwürfe und Trauer blickt er hier auf den Tod seines Labelkollegen und Freundes Eyedea zurück. Dabei versackt der Track zu keinem Zeitpunkt in einer kitschigen Heulnummer, sondern beweist mit nostalgischen Erinnerungen und blanker Ehrlichkeit beeindruckendes Feingefühl.
Eyedea selbst, der stets sehr komplexe Lyrics zu Papier brachte, hätte den Song aufgrund seiner Geradlinigkeit und Einfachheit gehasst, gibt Slug mit einem Augenzwinkern zu: "I’m certain if you were here right now / You’d ridicule these lyrics, you’d hate this chorus / You’d probably tell me that the concept is too straight forward." Gerade diese Momente, gepaart mit der gewollten Simplizität, machen "Flicker" zu einer rührenden Widmung.
Ansonsten erfordert "Southsiders" mit seiner vertrackten Symbolik und den Anspielungen auf ältere Stücke des Duos nicht nur große Aufmerksamkeit, sondern auch eine gewisse Kenntnis anderer Atmosphere-Werke. Oft lassen sich die Zeilen nur so einordnen und deuten. Dass das Album dennoch nicht zur mühsamen Lektüre verkommt, liegt einmal mehr an Anthony "Ant" Davis.
Ant erschafft aus teils live eingespielten Gitarren und Pianos sowie dröhnenden Basslines eine melodische Mixtur, der so mancher Produzent seit Jahren nacheifert. Scratches, Vocal-Samples und Straßenbahn-Klänge runden die Arrangements atmosphärisch ab und erwecken die Stadt am Mississippi zum Leben. Kein Wunder, dass sich das Duo bei derart perfektioniertem Zusammenspiel auf seine eigenen Stärken verlässt und ohne Features auskommt.
Deutlich abheben kann sich "Southsiders" von früheren Atmosphere-Werken nicht. Jedes einzelne Stück klingt irgendwie vertraut, wirkliche Neuerungen bleiben genauso aus wie Überraschungen. Dennoch offenbart besonders Rapper Slug seit Jahren, dass ihm im Laufe der Zeit weder die Themen noch die Originalität seiner Texte abhanden gekommen sind.
Jedes Atmosphere-Album schrieb er in einer anderen Lebensphase, und immer kreierte er daraus relevante und durchdachte Texte. Im Gegensatz zum Labelkollegen Grieves verliert er sich dabei zu keinem Zeitpunkt in Phrasen und Lebensweisheiten. Das verdient auch nach der mittlerweile achten Platte weiterhin großen Respekt.
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